[ Minho ]

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Für: @zebrochen

× × ×

Die Lichtung liegt still und verlassen da, keine Sterbensseele treibt sich noch dort draußen herum. Vorsichtig spähe ich um die Ecke der Hütte, um ganz sicher zu gehen, dass mich auch wirklich niemand sieht. Das wäre sonst etwas... peinlich.

Okay Natalie, kein Stress.
Du hast das schon öfter gemacht, warum also nervös werden?
Ganz einfach: Ich werde das unangenehme Gefühl nicht los, beobachtet zu werden.

Ich verdrehe über meine eigene Dummheit die Augen und schleiche lautlos an den schnarchenden Jungs vorbei, die reglos in ihren Hängematten schaukeln. Als ich an Newt vorbeikomme, der laut gurgelnd und mit offenem Mund vor sich hin träumt, stielt sich ein schwaches Lächeln auf meine Lippen und ich muss an den sonst immer so selbstbeherrschten zweiten Anführer denken, den er so deutlich tagsüber verkörpert. Doch nun wirkt er wie ein einfacher Teenager, der eine sehr exotische Art zu Schlafen hat.
Vorsichtig lege ich eine Hand unter sein Kinn und drücke seinen Kiefer hoch, sodass sich sein Mund schließt. Das merkwürdige Grunzgeräusch verstummt und er murmelt etwas Unverständliches, ehe er sich auf die andere Seite wälzt und mir somit den Rücken zeigt. Erfahrungsgemäß weiß ich, dass nichts, aber auch wirklich gar nichts, Newt aus seinem Schlaf reißen kann, es sei denn, es ist Frühstückszeit, oder es ist etwas Wichtiges passiert. Dann, komischerweise, weckt ihn schon der kleinster Stupser, das leiseste Flüstern.

Still schmunzelnd jogge ich weiter, schlängel mich durch den Irrgarten aus Hängematten und Schlafsäcken, und komme schließlich am Waldrand an. Noch einen letzten Blick über die Schulter, dann laufe ich los, zwischen den Bäumen hindurch in die Natur hinein.

Der kleine See liegt glitzernd und spiegelglatt vor mir. Eigentlich ist es kein echter See, eher ein XXL Teich, doch letzterer Begriff erinnert mich eher an ein schlammiges, von Fröschen und Libellen wimmelndes Biotop, mit Schilf und Algen und all diesem ekeligem Zeug. Dieses Gewässer hier ist jedoch kristallklar bis auf den Grund, die einzigen Pflanzen sind eine Hand voll Seerosen, die mit geschlossenen Blüten auf der stillen Wasseroberfläche treiben.
Bestimmt wurde der See künstlich angelegt, von den Schöpfern, aber das ist mir egal. Alles ist mir lieber als das stinkende Bad der Jungs, wo an manchen Ecken schon der Schimmel wuchert.

Ich ziehe mir hastig Schuhe und Socken aus und laufe Barfuß zum Ufer, Kiesel pieksen mich in die Fußsole und knirschen leise unter meinen Schritten. Dann wate ich ins Wasser hinein, bis das kühle Nass sachte meine Knöchel umspühlt, und packe den Saum meines Shirts, um es mir über den Kopf zu ziehen.

"Guten Abend!"

Mir bleibt vor Schreck das Herz stehen.

Ganz, ganz langsam drehe ich mich um, immer noch den Stoff meines Hemds zwischen den Fingern, und erkenne eine große, dunkle Gestalt, die lässig gegen einen Baum gelehnt dasteht und mich beobachtet. Nachdem ich den ersten Schock überstanden habe, steigt Wut in mir auf und ich atme scharf ein.

"Wolltest du mich etwa begaffen?", fauche ich aufgebracht, höre mich aber nur halb so wütend an, wie ich bin. Meine Stimme versagt mir beinahe, einmal stocke ich kurz. Verflucht sei das fehlende Selbstvertrauen!

Die mir immer noch unbekannte Person lacht leise auf.
"Hm, ja gerne. Aber ich war so höflich und habe dich vorher auf meine Anwesenheit aufmerksam gemacht."

Da hat er recht. Hätte er mich wirklich nackt sehen wollen, hätte er nur warten müssen, bis ich mich ausziehe.

Etwas peinlich berührt stehe ich starr im Wasser, nicht wissend, was ich noch hätte sagen oder tun sollen. Solange dieser Strunk hier ist, kann ich ja kaum schwimmen gehen.

Oneshots +Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt