Nichts ist mehr wie früher...

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Ich verließ sein Zimmer und holte meinen Laptop. Eigentlich hatte ich nur vorgehabt kurz die Jobangebote zu checken, doch es endete damit, dass ich den ganzen Tag damit verbrachte meinen Lebenslauf zu korrigieren und Motivationsschreiben für diverse Jobs zu verfassen. Am Abend war ich völlig erschöpft, aber hatte Hoffnung. Irgendeine Arbeit musste ich doch bekommen.

Meine Eltern hatte ich ja nur zum Essen gesehen und weil sie sich beklagten, dass sie nicht genug Zeit mit mir verbringen konnten, überredeten sie mich mit ihnen für zwei Nächte nach Brighton zu fahren. Dort hatten wir früher gerne Urlaub gemacht. Am Strand. Der kühle Wind wehte einem durch das Haar, brachte die salzige Meeresprise bis an die Lippen. Hm, herrlich. Ich freute mich darauf. Diese Gedanken erhellten mich und daher schaffte ich es einzuschlafen ohne an Shawn denken zu müssen. Na gut, ohne weniger an ihn zu denken, aber von meinen Träumen hielt er sich diesmal sogar wirklich fern.

Nächsten Morgen hatte ich dann kein Bedürfnis Sport zu machen. Meine Glieder brannten bei jeder Bewegung und ließen mich so wissen, dass nicht nur mein Herz Schmerzen hatte. Beim Frühstück aß ich einen Apfel, mehr brachte ich nicht runter, doch zum Glück mussten meine Eltern arbeiten; das hieß, es störte niemanden, was ich tat oder nicht tat.

An diesem Tag schaute ich mir alte Videos von uns in Brighton an. Mein Bruder und ich tollten am Strand herum, wir hatten versucht eine Möwe zu streicheln, die jedoch überhaupt nichts davon wissen wollte. Es wurde viel gelacht. Ich grinste mein junges Ich durch den Bildschirm an. Wie süß war ich da noch gewesen? Unschuldig. Ich hatte keine schlechten Beziehungen hinter mir, hatte keine Angst vor Liebe, davor verletzt zu werden.

Oh nein, ich musste schnell abschalten! Ich wurde schon wieder traurig. Waren Erinnerungen immer so schmerzhaft? Nein, nur für jemanden, der die Vergangenheit angenehmer als die Gegenwart fand. Der sich dorthin flüchten wollte, weil im Leben nichts so lief wie erwartet.

Ich brauchte echt mehr Beschäftigung. So hatte ich mir die Zeit bei meiner Familie nicht vorgestellt. Von all diesen dunklen Gedanken überschattet. War es immer so gewesen, der Herzschmerz? Bei meinen Exfreunden? Nein, damals hatte ich nie wirklich den Personen nachgetrauert, sondern mich mehr über meine eigene Dummheit geärgert. Langsam musste ich doch endlich aufhören mich in Selbstmitleid zu baden.

Ich drehte den Fernseher ab und beschloss meine Emails zu checken. Eine Absage hatte ich schon bekommen. Ich löschte die Nachricht und zeigte dem Bildschirm den Mittelfinger.

Es klingelte an der Türe und ich machte Michael auf. Er war gerade bei einer Vorlesung gewesen, denn der Kleine studierte ja Kunst als Lehramt.

„Wie war es?", fragte ich ihn aufziehend. Er verzog das Gesicht.

„Langweilig. Ich kann gar nicht glauben, dass ich so etwas einmal unterrichten muss." Ich kicherte. Auch wenn er so tat, ich wusste, dass er ein guter Lehrer werden würde.

„Du musst solchen Stoff ja gar nicht unterrichten. Wenn es nicht einmal dich interessiert, dann werden die Kinder ja erst recht nicht aufpassen." Er schmunzelte und holte sich aus dem Kühlschrank eine Schüssel Nudeln, die er in die Mikrowelle stellte.

„Ja, das denke ich auch. Ich will nicht so werden wie die Lehrer, die ich früher einmal gehasst habe." Selbst wenn er es versuchte, er konnte vermutlich nicht einmal so sein.

„Das wirst du sicher nicht. Du bist nicht so. Und falls du es einmal doch werden solltest, dann trete ich dir in den Arsch", versprach ich. Er lachte kurz auf.

„Gut zu wissen." Als unsere Eltern dann am Abend nach Hause kamen, trichterten sie ihm ein, was er zu tun hatte, während wir weg waren. Er konnte ja nicht mit uns kommen, da er sonst seine wichtigen Vorlesungen verpassen würde. Mich schickten sie währenddessen Koffer packen. Da es aber nur zwei Tage waren, stopfte ich alles einfach in eine Umhängetasche. Das würde genügen.

So lag ich mit freudiger Erwartung im Bett. Doch lange hielt das Glück nicht an. Wieder wanderten meine Gedanken zu Shawn. Wie er mich Flughafen angesehen hatte. Sein Schmerz. Und mein großer Fehler. Warum war ich gegangen? Still kullerten die Tränen meine Wangen herunter. Ich unterdrückte die Schluchzer, die in der meiner Kehle darauf warteten heraus gelassen zu werden. Der Schlaf erlöste mich von dem dumpfen Schmerz und brachte mir Ruhe.

Nur das Pochen in meinen Schläfen erinnerte mich an gestern Nacht, als ich aufstand und mir einen Zopf flechtete. Heute würden wir nach Brighton fahren. Ob wir vorher noch kurz bei Beachy Head stoppen könnten? Die Luft dort war einfach der Wahnsinn. Könnte ich hier meinen Kopf frei bekommen?

Ich setzte mich zu meinen Eltern an den Frühstückstisch, die mich voller Vorfreude anstrahlten. Ich grinste ihnen zu und nahm mir eine Schüssel mit Joghurt, Müsli und Beeren. Meine Mutter atmete erleichtert auf und ich verdrehte unauffällig die Augen. Ja, auch ich konnte essen. Wenn mir die Gedanken an Shawn, der sich vermutlich im Moment irgendwo amüsierte, nicht gerade den Appetit verdarben. 

Als wir dann alle gemütlich im Auto saßen, atmete ich wie befreit aus. Eine lange Autofahrt. Das war gut, um ruhig aus dem Fenster zu blicken und nachzudenken. Oder würde das meinen Kummer nur verstärken? Schließlich konnte ich ja kaum vor meinen Eltern zu weinen beginnen. Nein, ich würde nicht in meine Gedanken versinken können. Vielleicht sollte ich einfach schlafen.

Doch da spielte mein Körper nicht ganz mit. Ich war putzmunter und redete stattdessen mit meinen Eltern. Fragte sie aus nach allen möglichen Verwandten, obwohl es mich eigentlich recht wenig interessierte, was sie so taten. Doch es war schön meine Eltern reden zu hören. Es würde schwer für mich werden, wenn ich wieder nach Chicago musste. Sie waren Teil meines Lebens. Sogar ein sehr wichtiger Teil, den ich nicht missen wollte. Ich musste mich in Chicago öfter bei ihnen melden.

Während der gemütlichen Autofahrt hatte ich sie von einem Zwischenstopp in Eastbourne bei Beachy Head überzeugen können und so strömte mir schon die leicht salzige, kühle Luft entgegen, als ich die Türe öffnete und vor mir meine wunderschönen Erinnerungen zum Leben erwachen sah.

Hattet ihr schon einmal Liebeskummer?
Wäre echt süß von euch, wenn ihr das kleine Sternchen drückt und mir einen Kommentar hinterlasst ❤️

Dirty FriendsWhere stories live. Discover now