• 69 Die Schöne und das Biest •

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'Lass dir von der Vergangenheit nicht dein Leben diktieren, aber lass sie dir für die Zukunft einen guten Ratgeber sein.'

'Setze nie ein Fragezeichen hinter Dinge, hinter die das Schicksal schon längst einen Punkt gemacht hat.'

"Miss Cramford. Miss Cramford. Bitte wachen Sie auf!", riss mich eine unbekannte Stimme aus meinen Träumen, während ich mich widerwillig in ihre Richtung drehte. "Miss Cramford. Ich soll Sie von Ihrer Mutter aus mit zur Vorlesestunde nehmen!", erklärte mir die kleine, zierliche Krankenschwester namens Roswitha, zumindest stand es auf ihrem Namensschild. Sie trug wie die meisten Schwestern einen schlichten, weißen Kittel, der mit dem grellen Licht meine Augen zum Blinzeln brachte. Wollte ich überhaupt wissen, was meine Mutter da schon wieder verzapft hatte? Okay vielleicht. "Welche Vorlesestunde? Sehe ich aus wie 8?" , "Na die Vorlesestunde für die Kinder. Uns ist eine Mutter kurzfristig abgesprungen wegen ihrem Kind und da meinte Ihre Mutter, Sie könnten das übernehmen." , "Ich und vorlesen? Kindern?" , "Ja. So schlimm ist es nicht, die meisten sind ganz brav." , "Die Meisten? Da sind also auch Kinder dabei, die nicht brav sind?" , "Miss Cramford. Alle Kinder dort haben Krebs. Ich denke Sie können sich vorstellen, dass die nicht Braven nicht gerade viel anrichten können." , "Oh." , "Heute lesen wir 'Die Schöne und das Biest'. Also sind Sie dabei?" , "Wenn das unbedingt sein muss Roswitha." , "Vielen Dank Emily! Sie tun den Kindern einen großen Gefallen. Sie können sich gerne noch frisch machen und dann warten wir in dem Spielzimmer. Wissen Sie wo es ist?" , "Ich glaube schon. Wenn nicht, werde ich es schon irgendwie finden."

Mit diesem Satz verschwand die zierliche Krankenschwester mit einem Lächeln auf den Lippen aus meinem Zimmer. Sie war natürlich kein Vergleich zu Helen, aber wenigstens tat sie etwas, um mich abzulenken, auch wenn eine Vorlesestunde vielleicht nicht zu meiner Top 3 gehörte. Es dauerte geschlagene fünfzehn Minuten, bis ich mit aufrappeln konnte und mit frisch geputzten Zähnen den kleinen Raum betrat, wo schon mehrere Kinder warteten. Die meisten davon kannte ich bereits vom Sehen, doch ein Junge, circa in meinem Alter, war mir unbekannt. Er hatte auch eine Glatze, vermutlich schon mehrere Chemos hinter sich, doch sein Gesicht wirkte freundlich. Die Kinder hingegen plapperten wild durcheinander, wahrscheinlich waren sie froh einmal aus der Quarantäne gekommen zu sein. Die kleinste Patientin war ungefähr drei Jahre alt. Niemand hatte verdient das alles in diesem jungen Alter durchmachen zu müssen. Ich meinte, der Tod war in keinem Alter schön, doch wenigstens konnte ich sagen, dass ich einiges erlebt hatte. Ich hatte meinen ersten Schultag bereits hinter mir, meine unzähligen Geburtstage, die ich mit vielen Geschenken und meiner Familie genießen konnte, aber dieses Mädchen hatte all dies noch nicht. Sie war eindeutig noch viel zu jung und saß zusammengekauert in einer Ecke auf einen dunkelblauen Sitzsack, als ich mich widerwillig in den braunen Ledersessel in der Mitte des Stuhlkreises fallen ließ und das bereitgelegte Buch flüchtig durchblätterte. Als ich klein war, hatte ich oft das Märchen mit meiner Mutter angeschaut. Ich war immer so fasziniert von den Figuren, den sprechenden Teetassen und der verzauberten Uhr. Die Disneyverfilmung war wunderschön, ich hätte sie heute noch anschauen können.

"Du bist jetzt aber nicht die Vorleserin oder? Nur die Vorleser dürfen in den braunen Sessel!", protestierte ein Junge, geschätzte fünf Jahre alt, während er mich vorwurfsvoll musterte. Seine dunklen Glubschaugen zogen sich verschwörerisch zusammen, sodass die anderen Kinder mich regelrecht mit ihren Blicken durchbohrten. Fazit war, dass ich noch nie sonderlich gut im Umgang mit anderen Menschen, geschweige denn Kindern, war. Vielleicht wollte ich auch einmal eigene haben, wenn ich nicht gerade zu beschäftigt mit meiner angehenden Weltherrschaft war, aber dieses Thema konnte ich ja nun abhacken.

"Meine Mama sagt immer, Menschen, die nicht antworten sind unhöflich, also bist du unhöflich!", riss mich der kleine Junge erneut aus meinen Gedanken, sodass ich ihm kurz einen genervten Blick schenkte. Sowas hätte ich mich als kleines Kind nie getraut, dieses Balg war ja schon recht frech. Ich und unhöflich, wer es glaubte.

Das wahre Leben hat kein Happy EndWo Geschichten leben. Entdecke jetzt