• 71 Zwielichtige sentimentale Dinge •

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'Wir brauchen nur die Gegenwart ertragen. Weder Vergangenheit noch Zukunft können uns bedrücken, da die eine nicht mehr existiert und die andere noch nicht existiert.'

Ich machte mir noch eine ganze Weile darüber Gedanken, wie ich am Besten Jimmys Brief anfangen sollte. Der Chihuahua war immer noch spurlos auf der Suche nach Popcorn in den Katakomben des Krankenhauses verschwunden, sodass ich allein in diesem langweiligen sowie kalten Zimmer versauern musste. Immer wieder bewegte ich den Stift geschickt durch meine Finger ehe er wieder zum Stillstand kam, als ich krampfhaft überlegte, was ich schreiben sollte. Jimmy war eine besondere Person für mich. Obwohl wir nicht miteinander verwandt waren, glich er dem Bruder, den ich nie hatte. Gut, wir vergaßen dabei mal schön die Zeit, wo ich für ihn geschwärmt hatte, doch selbst als er es erfahren hatte, sah er mich nicht komisch an, sondern unternahm noch mehr mit Veronika und mir, als er es zuvor getan hatte. Ich hatte mich in seiner Nähe immer wohl gefühlt, immer hin konnte ich mit ihm über alles reden, wie damals bei diesem beschissenen Astronomieausflug. Er war derjenige, der mir helfen wollte, als ich unglücklicherweise mit dem Chihuahua in ein Team gekommen bin. Er wollte tauschen und nicht Tom oder Veronika. Ich wusste nicht, was für Gefühle zwischen uns schon immer waren, aber sie gaben mir, so dumm es sich auch anhören mochte, einen Zufluchtsort. Ich wusste, ich konnte immer zu Jimmy, wenn ich Probleme hatte und genau deshalb war ich ihm unendlich dankbar. Es war mir egal, was die anderen Mädchen sagten oder nicht, Jimmy war ein Seelenverwandter, wie eigentlich alle meiner engeren Freunde. Wie von Geisteshand kritzelte ich all diese Wörter auf ein Stück Briefpapier und warf es in meine persönliche Box, die meine Eltern später einmal öffnen durften, um den ganzen Kram zu sortieren...
"Also, es gab kein Salziges Popcorn, aber ich habe Süß und Karamell im Angebot!", plapperte der wieder gefundene Guru des Popcorns fröhlich drauf los, als er vollbepackt mit etlichen Plastikdosen den kleinen Raum betrat. Seine Lippen zogen sich leicht nach oben mit diesem echten Lachen, welches ich so an ihm liebte. Es machte jeden Menschen glücklich, genau wie mich. Seufzend ließ sich der Chihuahua neben mich auf mein Bett sinken und streifte seine Schuhe halbherzig von seinen Füßen. Wie Prinz Babo früher meine Gemüsechips geklaut hatte, schnappte ich mir nun die Popcornpackungen und stopfte eine Hand nach der anderen in meinen hungrigen Mund. Es war das erste Mal seit Tagen, wo ich wieder so etwas wie Appetit verspürte. Die Ärzte gaben mir etliche Schmerzmittel, die meinen Körper betäubten. Er verlangte und wollte nichts. Im Grunde genommen lag er schon im Sterben, nur noch mein Geist erhielt uns am Leben.

"Chihuahua?", unterbrach ich die Ruhe beim Einspielen unseres Filmes. Wir schauten irgendeine 0815-Komödie, die vor etlichen Jahren einmal ein Hit gewesen war, es nun aber schon lange nicht mehr so gut lief. Tja, das Krankenhaus hatte wohl nichts besseres zu bieten. Ich konnte froh sein, dass wir wenigstens einen zur Auswahl bekommen hatten.

"Hmm?" , "Tom hat gesagt, als er da war, dass du etwas mit deiner Mutter klären musstest. Was denn?" , "Ach nichts wichtiges." , "Ich halte es aber für wichtig!" , "Es ist aber nicht von Belangen, wir haben nur etwas Unwichtiges besprochen." , "Wenn es so unwichtig wäre, hättest du es mir doch schon längst gesagt du Idiot!" Stille. Nachdenklich wendete der Troll aus Trollhausen seinen Blick zu Boden, ehe er ihn nach einigen Sekunden entschlossen zu mir drehte. Irgendwie war ich gespannt, was er sagen wollte. Vielleicht ging es ja um einen Alienfund, was die Welt erobern wollte oder noch schlimmer, sie hatten schon seinen Körper eingenommen! Doch wie es nun einmal kommen sollte, war es nicht so. Es war meiner Meinung nach noch schlimmer als meine hochüberlegte Theorie zuvor, denn ich hatte versagt.

"Na schön. Es ging um das Probespiel vom Football, sie hatte es sich angesehen." , "Oh." , "Jap." , "Ich bin so blöd!" , "Nein bist du nicht. Du hast in letzter Zeit einfach wichtigere Dinge im Kopf, als an so ein lächerliches Probespiel zu denken." , "Du bist ein Idiot, wenn du so von mir denkst. Es tut mir Leid, ich habe es vergessen. Wie war es denn?" , "Naja. Die Nachricht kommt erst in ein paar Tagen, aber der Coach meinte Josh und ich seien in die nähere Auswahl gerückt!" , "Das ist doch klasse Chihuahua! Ich freue mich so unheimlich für dich!" , "Ach, es steht doch noch gar nichts richtig fest." , "Doch. Für mich schon. Für mich steht fest, dass du der talentierteste Mensch bist, den ich kenne. Du schaffst alles und egal, was du tust, ich bin so unheimlich stolz auf dich. Du hast es mehr als jeder andere verdient glücklich zu sein und ich hoffe so sehr für dich, dass du darin das findest, was du suchst. Und wenn ich einmal nicht mehr..." , "Hey Fräulein, sei still. Sowas will ich nicht hören." , "Nein, jetzt bist du still, ich versuche dir gerade zu sagen, was ich empfinde und da das nicht alle Tage passiert, hältst du jetzt deine Klappe und hörst mir zu! Verstanden?!" , "Na schön." , "Okay, also wo war ich stehen geblieben? Achja. Wenn ich einmal nicht mehr sein sollte, was bald sein wird, du weißt es und ich weiß es, dann vergeude deine Zeit nicht und versinke in Trauer. Du musst stark bleiben und an dein Leben denken. Du hast es noch vor dir, also mach was draus. Und wenn du jemanden kennenlernst, dann pass auf, dass die Person nicht zwielichtig ist, aber vielleicht kann ich sie ja mit meinen Geister-Ninja-Kämpferfähigkeiten durchleuchten und dich warnen, falls es ein vollkommener Freak sein sollte."

Mein werter Freund sagte nichts, als ich es von ihm erwartete. Er saß lediglich da, auf diesem weißen Bettlacken und starrte ins Leere. Dabei war meine Hand, die fest in seiner Bärentatze lag. Ich konnte seinen Puls fühlen. Er war schnell, wie ein Sportwagen auf der Autobahn, wenn er all die langsamen Schlitten überholte. Ich wusste nicht genau warum, doch irgendwie fühlte ich mich besser, nachdem ich dem Hans-Peter da drüben alles gesagt hatte. Er musste einfach wissen, dass er auf sich achten sollte, nur auf sich.

"Es ist so unfair Em. Ich darf dich doch nicht verlieren!!", flüsterte der Chihuahua langsam, während er mit seiner freien Hand einzelne Haarsträhnen nach hinten strich. Zum ersten Mal in meinem Leben sah ich Tränen in seinen Augen. Nein, ich sah mehr. Schmerz, Trauer, Wut. Vielleicht mochten viele denken, es sei ungerecht, doch ich empfand es nicht so, zumindest nicht mehr. Ich war aus der Phase der Wut hinaus. Ich akzeptierte mittlerweile alles bedingungslos, was blieb mir schon anderes übrig? Wie sollten alle in meinem Umfeld damit zurechtkommen, wenn ich es nicht einmal selbst tat? Was sollte ich sonst tun? Irritiert strich ich durch seine braunen Haare, als er sich in meinen Schoß fallen ließ und aufgeregt unnötige Körperflüssigkeit vergeudete. Das schlimmste an der ganzen Situation war jedoch, dass ich rein gar nichts tun konnte. Ich war eine schlechte Freundin, das stand fest. Wie konnte ich nur dieses beschissene Probespiel vergessen, also wirklich! Es war doch alles zum Mäuse melken hier. Das Hauptproblem an der ganzen Sache war jedoch meine Kompetenzen bezüglich sentimentalen Dingen. Ich wusste nicht, wie ich mit einem weinenden Chihuahua umgehen sollte... Ich wusste rein gar nichts mehr außer die Tatsache, dass es mir Leid tat, von Tag zu Tag mehr.

"Psst. Beruhige dich!" , "Ich will mich nicht beruhigen!" , "Du musst Chihuahua. Für mich.", flüsterte ich, während ich seine Haare leicht um meine Finger kringelte. Sie waren länger als früher und lockiger. Ich liebte sie und irgendwie beruhigte es mich sie gemächlich um meine Finger zu wickeln. Es ließ mich meine Schmerzen für einen Moment vergessen, die das Schmerzmittel nicht vollkommen erloschen konnte. Ich war schon wieder müde und in meinem Kopf fuhr nonstop ein Panzer über mein Gehirn. Vermutlich fuhr er jedoch gerade von seiner Mittagspause bei McDonalds weiter, denn auf einmal durchströmte ein stechender Schmerz meinen Körper. "Em, was hast du?", riss ich den Chihuahua aus seinem sentimentalen Ding, sodass er mich nun besorgt musterte. Er schaute in mein Gesicht, stand auf, öffnete die Tür und rannte nach draußen. Es kam mir vor wie eine Ewigkeit, dabei waren es höchstens 10 Sekunden, die er benötigte, um einen Arzt zu holen. Der Schmerz wurde schlimmer, mein Körper fing sogar von selbst an zu schreien. Es war naiv zu glauben, dass es den Schmerz irgendwie lindern konnte, dafür war er zu stark. Den Arzt kannte ich nicht. Er war jünger als Schniefnase, drückte meinen Körper in das weiche Kissen und sah mit einem Licht in meine Augen, bis er letztendlich eine Schwester rief und mir ein Mittel verabreichte, was mich zum einschlafen brachte. Es wurde dunkel. Es gab nichts außer mich und das eine ganze Weile...

Genau in diesem Moment stellte ich mir den Tod vor. Er war genauso. Er tat nicht weh, im Gegenteil, er nahm mir meinen Schmerz und heilte ihn in gewisser Art und Weise. Ich stellte mir schon bildlich vor, wie meine Mutter wieder einmal panisch im Kreis rannte und einen halben Aufstand machen würde, wenn sie von dieser Sache erfahren würde. Es war immer schon eine schwierige Situation, aber langsam glaubte ich, dass sie damit lernte zurechtzukommen. Ich wusste nicht, wie viele Tage ich offiziell noch hatte, doch meinem Gefühl nach, waren es nicht mehr viele. Jeden Tag kam eine andere Problemzone meines Körpers, die behandelt werden musste. Es war beschissen und ich schämte mich es zu glauben, doch zum ersten Mal dachte ich, dass es besser wäre, wenn es endlich zu Ende war. Es war besser für mich und meine Freunde, die nicht mehr die ganze Zeit mit ansehen mussten, wie ich versagte.

Das schwerste an einem Tod war immer das Loslassen, doch es half nichts, man musste es tun, um selbst sein eigenes Leben weiterleben zu können. Und wer wusste schon, was das Schicksal noch so auf Lager hatte? Ich für meinen Teil, hatte es in dieser Sekunde getan. Ich gestand mir ein, dass es keinen Sinn machte weiter zu kämpfen. Ich wollte gehen. Ich hatte losgelassen, für mich und meine Liebsten.

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Naaaaaaaaa meine Freunde der Sonne! :D :D Ich hoffe meinen Schäfchen geht es gut und euch hat dieses kleine Kapitel gefallen #buhjaaaaaaa

Im Ernst: Wie immer freue ich mich tieeeeeerisch über Votes, Kommentare oder einfach nur Leser, denn ihr motiviert mich immer wieder aufs Neue... ;)

Also verbringt eine wunderschöne Zeit mit euren Einhörnern und Schokokeksen, die ich euch mit LKWs hinterher werfe *Wuhuuuuu*

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