• 44 Der nach Neuwagen stinkende VW-Bus •

2.7K 155 15
                                    

'Momente können Schlüssel sein zu Türen, die entweder auf- oder zugehen und uns in Korridore führen, die unserem Leben eine vollkommen neue Richtung geben können...'

"Rutsch doch mal Veronika, du blockierst den ganzen Eingang!" , "Jimmy! Ich habe dir schonmal gesagt, rede nicht so mit mir! Und vor allem nicht vor anderen!" , "Das ist mir so Latte! Geh jetzt da rein und setze dich eben mal ans Fenster, was ist denn so schlimm daran?" , "Das ist immer so kalt!" , "Warum ist ein Fenster kalt?" , "Wenn man sich dran lehnt, dann ist es kalt!" , "Hat jemand gesagt, dass du dich da dran lehnen musst?!" , "Du bist doof Jimmy! Lass mich in Ruhe!", schnaufte Veronika wütend und setzte sich ans 'kalte' Fenster, daneben kam die Eule und Tom. Liz ließ sich erschöpft auf den Beifahrersitz des VW-Buses fallen und die drei von der Tankstelle alias Samantha, der Chihuahua und ich saßen hinten. Gute Position. So konnte man das ganze heitere Treiben beobachten. Man erfuhr die heiligen Geheimnisse und ich konnte die Eule dabei beobachten, wie er Veronika nervte und das war zugegeben recht amüsant. Immer wieder piekste er sie in ihre Seite und erntete dafür den Todesblick. Das musste wahre Liebe sein.

Wahre Liebe, ich glaubte das Thema hatten wir schon einmal im Krankenhaus. Es konnte nie eine Garantie geben, ob man auch wirklich mit einem Menschen sein ganzes Leben lang zusammen sein konnte. Es konnte nie eine Garantie geben, ob man überhaupt glücklich war. Im Leben gab es keine Garantie. Zum ersten Mal seit Monaten dachte ich an die Verkündung meiner Diagnose. Ich glaubte, sie war an einem Montag, mitten im Sommer. Wir bekamen einen Anruf. Meine Mutter sauste wie ein Hühnchen durch das Haus. Ich glaubte, sie wusste schon früher als ich, was dieser einzige Bluttest damals für mich bedeuten würde. Sie wusste es ab den Moment des Anrufes.

"An was denkst du so angestrengt Fräulein?", riss mich der Chihuahua sanft aus meinen Gedanken, während er behutsam in mein rechtes Ohr flüsterte. Vorsichtig strich er eine blonde Haarsträhne meiner Perücke hinter mein Ohr. Sein Gesicht war entspannt, es schien fast so, als sei er glücklich. "Ach an nichts wichtiges...", antwortete ich und zwang mir ein kleines Lächeln auf die Lippen. Ich wusste, dass er nicht ganz zufrieden mit dieser Antwort war, doch was sollte ich ihm anderes sagen? Hätte ich ihm davon erzählt, dass ich die ganze Zeit an nichts anderes als meine Krankheit und den Bluttest dachte, dann hätte er vermutlich seinen 'Das kann doch nicht wahr sein'-Blick aufgesetzt und ich hätte ihn rund um die Uhr an der Backe mit seinem Ziel mich abzulenken. Er wäre wie meine Mutter gewesen, die mich ja auch zur Therapie zwang. Tief, ganz tief in meinem Herzen wusste ich, dass sie Recht hatte.

Einmal las ich in einem Buch, dass viele Krebspatienten in Depressionen verfielen. Es war damals im Krankenhaus. Sie verfielen nicht in Depressionen, sie waren lediglich realistisch. Sie sahen die Welt nicht in Schwarz oder Weiß, sie sahen sie in allen kunterbunten Farben, doch sie sahen das Trügerische, was dahinter lauerte. Sie erkannten, dass nichts für immer währte. Sie merkten, wie zerbrechlich unsere kleine Welt doch war und wie rücksichtslos wir damit umgingen. Somit war der Begriff 'Depression', wie er in so vielen Broschüren für Krebshilfe stand, rein überflüssig. Man konnte auch niemanden Therapieren, der wusste, dass er sterben würde. Was konnte man schon dagegen tun, wenn es die grausame Wahrheit war? Eine Wahrheit konnte man noch nie entkräften.

...Brr...Brr...Brr...Brr... Erschrocken vom Vibrieren meines Handys bohrte ich meine Hände in den Oberschenkel des Chihuahuas, der mich erschrocken musterte: "Was ist los Em, hast du Schmerzen?" , "Nein, nein, ich habe mich nur erschrocken. Mein Handy hat vibriert! Entschuldigung." , "Dann schau am Besten mal nach, wer dir da geschrieben hat! Ich wette, die Person sieht bestimmt hinreißend aus und ist überaus klug und intelligent. Ach, man kann gar nicht so viel aufzählen, so toll wie sie ist!", schwärmte der Troll aus Trollhausen vor sich hin bis ich misstrauisch mein iPhone aus der Hosentasche krammte.

Das wahre Leben hat kein Happy EndWo Geschichten leben. Entdecke jetzt