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ALESSIA

Freitagabend, ist es kühler als den Rest der Woche. Den ganzen Tag schon hängt eine graue Wolke über dem Hafen. Mag sein, dass ich sie als böses Omen nehmen sollte. Seit Romeo mich abgepasst hat, gibt es solch eine Wolke nämlich auch in meinem Kopf. Das ist jetzt fast fünf Tage her. Seitdem muss ich pausenlos daran denken, dass was er sagte und der Ausdruck in seinem Gesicht, der immer vor meinem inneren Auge auftaucht, wenn ich abschalten will. Wenn ich versuche einzuschlafen, mich zu Pause setze oder esse. Es ist zum Verzweifeln und ich weiß nicht, was ich tun kann, u sein Gesicht aus meinem Gedächtnis zu vertreiben. Die letzten Jahre war ich recht gut darin doch seit unserer ersten Begegnung auf der Gala, herrscht Chaos in meinem Hirn.

»Dieser Bürgermeister ist das Grauen. Kriecht den Reichen fast in den Arsch, damit sie seinen Wahlkampf fördern«, meckert Maria neben mir. Mit verschränkten Armen lehne ich mich gegen die Küchentheke und neige meinen Kopf in ihre Richtung. »Was hast du gegen den Bürgermeister?«, frage ich sie. Die schwarzhaarige Frau Ende zwanzig, schüttelt bloß den Kopf und stapelt Getränke auf ihr rundes Tablett. »Vor ein paar Jahren hatten wir mal was. Dann musste er unbedingt an dieser Bürgermeistersache festhalten und mich verlassen, weil er meinte ich würde nicht hinter ihm stehen. Idiot. Ich krieche sicher nicht, so wie er, in die Schöße dieser reichen Säcke, nur um seine Position zu halten«, erklärt sie mir grummelnd. Überrascht schnellen meine Brauen in die Höhe. Maria und ich kennen uns jetzt zwei Jahre, trotzdem würde ich sie als meine beste Freundin bezeichnen. Wir treffen uns nicht jeden Tag oder telefonieren stundenlang so wie andere, dass vielleicht tun. Wir können uns immer aufeinander verlassen und das weiß ich zu schätzen. So wie auch jetzt. Ich drehe mich in der Bediensteten Küche auf dem Absatz und beginne, mein Tablett ebenfalls mit Champagner zu füllen, die mir gereicht werden. »Das wusste ich nicht, wieso hast du nie etwas gesagt?«

»Ach komm schon Sia, du weißt doch wie das ist. Ich erwähne Parisi schließlich auch nicht. Übrigens habe ich gehört, dass sein Vater wohl heute Abend anwesend sein soll«, berichtet sie mir. Jegliche Farbe weicht augenblicklich aus meinem Gesicht, bei seinem Namen. Antonio ist das pure Böse. Wie Satan in Menschenfigur. Die Dinge, zu denen er fähig ist, traue ich mich nicht in Worte zu fassen. Jeder in der Stadt und auf der Insel kennt ihn. Weiß, was er getan hat. Trotzdem besitzt er mehr Macht als manch anderer. Vermutlich jeder Politiker und der Bürgermeister. Ausgerechnet er ist hier. Der Mann, der mir das Leben zur Hölle machen wollte und es auch tat, weil er nicht verkraftet hat, dass sein Sohn mit mir zusammen war. Am Ende hat er ja bekommen, was er wollte. Das tut er immer. Jedes verdammte Mal. Niemand, nicht mal die Behörden auf dem Festland würden es wagen, ihn zu stürzen. Seine Macht reicht weit über Sizilien hinaus.
»Hättest du mir das nicht früher sagen können?« Dann wäre ich nicht aufgetaucht.
Maria wirft mir einen entschuldigenden Blick zu, bevor sie sich mit dem Tablett in den Händen aus dem Staub macht. Na super.
Seufzend greife ich meins und folge ihr in die Richtung des großen Saals, in dem die Party stattfindet. Anscheinend hat der Bürgermeister morgen Geburtstag und feiert mit der Elite der Stadt in seinen Ehrentag herein.

Seine Villa ist imposant und zeugt von seinem Reichtum. Teure Artefakte schmücken die Wände. Auf weißen Sockeln stehen teure Vasen und Museumsstücken in den Fluren und Zimmern. Kristallkronleuchter, uralte Gemälde, Perserteppiche. An Geld mangelt es ihm nicht, trotzdem schleimt er sich bei Parisi und co. ein wie ein bettelarmer Sack. Verstehen muss ich das nicht, oder?
Sanfte Klavierklänge begleiten mich in den Saal hinein. Überall Männer in Anzügen und Frauen in schicken Abendkleidern. So wie auf der Gala im Bürgerhaus, trage ich wie alle Angestellten eine schwarze Hose und schwarze Bluse, dazu High Heels. Sie sind schrecklich unbequem aber ein nötiges Übel, um hier arbeiten zu dürfen. Die Bediensteten dürfen keinen Schmuck tragen und lediglich dezentes Make-up. Kein Lippenstift, kein Lidschatten. Mehr als Wimperntusche und Concealer um meine Augenringe zu kaschieren, trage ich ohnehin nicht. Maria hingegen fällt das deutlich schwerer. Ich kenne sie nur mit rotem Lippenstift auf den Lippen. Sie so dezent geschminkt auf den Events zu sehen, überrascht mich immer wieder. Es verändert sie so. Das rot, meine ich. Sie schaut damit aus wie eine elegante Italienerin. Die schwarzen Haare, dunklen Augen und gebräunte Haut geben einen hübschen Kontrast zum rot ihrer Lippen. Ich hingegen bin eher blass, obwohl meine Mutter ebenfalls reicht, gebräunt war. Ich erinnere mich an die Sommer, an denen ihre Haut eine warme Farbe annahm, wenn wir abends draußen essen würden. Wie schön ihre Haare waren, die Augen und Lippen. Ich war auch mal so, bevor man mich ruinierte. Nun ist nur noch eine Hülle meiner selbst übrig, die Stück für Stück zerfällt wie ein marodes Haus.

King of Palermo | 18+Where stories live. Discover now