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ALESSIA
zwei Jahre später...

Palermo war die Heimat meiner Mutter, dabei verbrachte ich mein ganzes Leben in Rom. In der Stadt, die nie schlief und mir stets selbst den Atem raubte. In einer kleine Wohnung über den Dächern mit Ausblick auf die Altstadt, verbrachte ich meine Kindheit. Es war schön dort, so unglaublich friedlich und doch Terror zugleich.
Nachdem meine Mom gestorben war, kehrte ich der Stadt, die ich bis dahin mein Zuhause genannt hatte, den Rücken. Ich konnte nicht mehr zurückkehren, da all die bösen Erinnerungen an ihre letzten Monate daran hafteten. Ich kann mich gut daran erinnern, wie sie schwächer wurde und ihr die Kraft entwich. Wie ihre Haut fahl und die Augen milchig wurden. Wie sie von Tag zu Tag lebloser und nicht mehr sie selbst war. Ich werde es nicht vergessen. Erst recht nicht jetzt. Die Krankheit, die ihr das Leben gekostet hatte, holte auch mich ein. Es war egal wie weit ich mich von Rom entfernte, das Pech schien sich an mich gehaftet zu haben wie ein Virus. Palermo entpuppte sich ebenfalls als Albtraum. Ich glaubte zu lieben und wurde besseren belehrt. Stattdessen war es der Teufel, der mich verführte und mir vorgaukelte, etwas anderes zu sein. Ein Engel mit schwarzen Locken und den schönsten Augen der Welt. Ein Engel der mich tief ins Verderben ritt. Ich konnte ihm nicht entfliehen und die Stadt nicht verlassen. Sie ist das Einzige, was mich noch mit meiner Mom verbindet. Ich schulde es ihr, hier zu bleiben.

»Es tut mir sehr leid, aber ihre Werte haben sich verschlechtert. Die einzige Chance, die sie noch haben, ist eine Transplantation.«
Ich höre die Stimme des Arztes jeden Tag in meinen Ohren. Manchmal in den merkwürdigsten Momenten. In der Bahn, in der Bibliothek oder beim Bäcker. Kleine Flashbacks an diesen Moment vor einigen Monaten lassen mich nicht los. So auch jetzt nicht.
In der Umkleidekabine des schicken Hotels ist es voll mit jungen Menschen in meinem Alter. Wir alle tragen dieselben Uniformen. Schwarze schicke Hemden und Blusen, passend zu den Hosen. Ich schiele an mir hinab. Die schwarzen High Heels sind unbequem und reiben an meinen Fersen. Leider sind sie Teil des Jobs. Die Cateringfirma, für die ich in der Stadt arbeite, wurde angeheuert, um eine schicke Benefizgala zu beliefern. Viel weiß ich nicht darüber, aber es geht wohl um ein Projekt des Bürgermeisters. Da es eine gute Summe Geld bringt, konnte ich dieses Angebot heute Abend hier zu arbeiten nicht ausschlagen. Jeder Cent, der in meine Tasche wandert, führt mich ein Stück näher zu meinem Ziel. Einem neuen Leben. Ich möchte endlich wieder Leben können und Palermo endgültig den Rücken kehren. Sobald alles überstanden ist, möchte ich weg. Spanien oder Griechenland vielleicht. Dort wo das Wetter diesem hier ähnelt und sich mein Zustand dank der warmen Meeresluft nicht verschlechtert. Im Moment ist noch alles offen. Nur eins weiß ich genau - so weit weg von diesem Ort wie möglich.
»Alessia? Es geht los«, reißt mich meine Kollegin aus den Gedanken. Ich drehe mich auf dem Absatz herum, streiche mir ein letztes Mal meine Uniform glatt und folge ihr. Durch lange Flure gefüllt mit Personal gelangen wir in die riesige Hotelküche. Es ist wahrlich das schönste, aber auch teuerste der Stadt. Es duftet nach Essen und als ich die ersten Ladungen Häppchen zu Gesicht bekomme, läuft mir fast das Wasser im Mund zusammen. Wow.
»Hier.« Maria drückt mir ein Tablett mit Champagner in die Hände. »Die Gala ist bereits in vollem Gange.«
»Denkst du, es sind viele Menschen?«, frage ich nachdenklich und folge ihren zügigen Handgriffen mit meinen Augen. Sie balanciert geschickt ein volles Tablett auf einer Hand und nickt. »Natürlich, die ganze High Society der Stadt ist hier versammelt, Dummerchen. Was denkst du denn? Die reichen Säcke sind so geizig mit ihrem Geld, obwohl sie damit die Armut ganz Italiens lösen könnten. Wenn nicht sogar Europas. Wenn du mich fragst, ist das eine billige Show, um Wählerstimmen zu fangen«, schnaubt sie und stößt sie Doppelflügige Schwingtür auf. Ich husche hinter ihr hindurch und hole mit wenigen Schritten zu ihr auf. Wir passieren einige Mitarbeiter, die auf dem Weg sind Nachschub zu holen. Einige mit leeren Tabletts einige mit benutzten Gläsern. Ich drängle mich zwischen einer Gruppe Männer hindurch die gelassen miteinander plaudern und stoße ein genervten Ton aus. Einige scheinen hier härter für ihr Geld zu arbeiten als andere...
»Außerdem«, fährt Maria unbeirrt mit ihrer Beschwerde fort, »braucht der Bürgermeister Geld und diese Typen haben nun mal mehr als genug. So viel, dass sie denken, sich alles erlauben zu können. Solang du ihnen nicht zu nah kommst und die Knöpfe deiner Bluse weit genug geschlossen hast solltest du aber sicher sein. Vorerst. Lass dich nicht auf billige Flirtversuche ein«, rät sie mir. »Das hatte ich auch nicht vor«, antworte ich und verziehe die Lippen. Gott nein. Allein bei dem Gedanken einen dieser reichen alten Gockel zu- ew. Ich verbiete mir diesen Gedanken sofort.
Maria öffnet mir die nächste Tür und als ich als erste von uns beiden die Korridore der Angestellten verlasse, scheiden sich unsere Wege und ich verliere sie in der Masse. Mist.

King of Palermo | 18+Where stories live. Discover now