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ALESSIA

Schweiß rinnt mir über die Stirn. Es ist so heiß heute, dass ich kaum zu Atem komme, während wir die Ware verräume. In der Innenstadt Palermos, türmt sich die Hitze zwischen den Häusern auf dem alten Kopfsteinpflaster. Jedes Jahr vergesse ich, wie heiß die Sommer hier sein könne, wenn es wochenlang nicht regnet und die Sonne gnadenlos auf die Stadt scheint. Mein Kreislauf ist in diesen schwitzigen Temperaturen umso dankbarer für die Klimaanlage in der Bar. Ohne die, würde ich mich den ganzen Sommer nur in meiner Wohnung verkriechen und hätte mir einen Homeoffice Job suchen müssen. Ich liebe den Sommer, keine Frage, aber die Zeiten, in denen ich die wärme genießen kann, sind längst vorbei. Umso froher bin ich, das Maria mich gestern noch gefragt hat, ob ich Freitagabend Zeit hätte. Die Cateringfirma hat einen neuen Job uns. Noch kenne ich nicht alle Einzelheiten aber da es Freitagabend immer extrem voll in der Bar ist, bin ich froh, diese Gelegenheit zu bekommen. Luigi weiß bereits Bescheid und ihm macht es nichts aus. Ich sollte Maria nach meiner Schicht anrufen und sie nach Details fragen.

»Das sind die letzten Kisten«, versichert mein Chef mir, als ich eine Holzkiste an ihm vorbei in die Bar schleppe. Sobald wir fertig sind, muss ich mir unbedingt eine Erfrischung gönnen. Luigi ist ein sehr großzügiger Boss. Er sorgt stets dafür das es uns an nichts fehlt und besorgt uns öfters Essen oder Snacks für die Pausen. Vor Weihnachten hat seine Frau uns Kekse gebacken und selbstgemachten Limoncello geschenkt. Heute Morgen ist er mit einem Fass Limonade aufgetaucht, dass er neben dem Tresen aufgeschlagen hat. Ich freue mich bereits auf ein Glas.
Der Transporter ist tatsächlich fast leer. Die Hitze schlägt mir beim Verlassen der Bar entgegen wie eine Betonwand und lässt mir kurz schummrig vor den Augen werden. Bis meine Sicht aufgeklart ist, dauert es nicht lang und so schnappe ich mir die Kiste mit Strohhalmen und Servietten aus dem Wagen. Gerade als ich auf dem Absatz kehrt mache, fällt mir das Eiscafé auf der anderen Seite des Platzes auf. Es ist mehrere Meter entfernt, vermutlich fünfzig, zwischen uns ein Springbrunnen, um den sich eine Schar Touristen tummelt. Trotzdem entgeht mir der Italiener nicht, der dort an einem der Tische sitzt und in meine Richtung schaut. Obwohl er eine Sonnenbrille trägt, spüre ich förmlich, wie seine Augen sich in die meine Fressen. Was macht er denn hier?

Erst auf den zweiten Blick erkenne ich das kleine Mädchen, welches auf seinen Oberschenkeln sitzt und Eis isst. Sie streckt ihm ihren Löffel entgegen, schiebt ihn ihm in den Mund. Er lächelt, bevor sein Gesicht zurück zu mir wandert.
Nein.
Verrat, Betrug und Herzschmerz ist etwas anderes als ... das. Emotionen und Worte sind kaum so verletzend wie das kleine Mädchen, dass auf seinem Schoß sitzt. Sein eigen Fleisch und Blut. Seine Tochter. Sie schaut aus, als wäre sie bereits älter und könnte sprechen, was bedeutet das er ... das sie ... das er mich vermutlich wohl auch betrogen hat. Ein weiterer Punkt auf seiner Liste, die nicht zu seinen Gunsten ausfällt. Mistkerl.
Er hat ein Kind mit diesem Monster? Einen Menschen, der zur Hälfte aus ihm und zur Hälfte aus ihr besteht? Eines das atmet und Gedanken hat?
Stünde ich an einer Klippe, baumelte über dem Abgrund, dann wäre dies der Moment, an dem er mich endgültig über sie geschubst hätte. Ich spüre, wie ich falle, mein Körper durch den Wind schneidet und wie leicht ich mich fühle. Doppelt so hart ist der Aufprall auf den Felsen, auf dem mein Körper in tausend Teile zerschellt und mit ihm mein Herz.
Romeo hat eine Grenze überschritten. All das, was er mir je angetan hat, ist nicht halb so schlimm wie das, was er nun getan hat.

Schnaubend schüttle ich meinen Kopf über seine Worte. Er will es hinbiegen. Er will das wirklich wieder in Ordnung bringen, wenn er mir die ganze Zeit verschwiegen hat, dass er Vater ist? Nein. Nichts auf der Welt könnte das ungeschehen machen.
Der Herzschmerz, den ich vor zwei Jahren gespürt habe, ist fast so schlimm wie der, der mich jetzt überrollt. Mein Körper ist starr, unfähig sich zu bewegen. Ich höre, wie Luigi mit mir spricht und mich sanft anschubst. Erst als er sich vor mich stellt und mir die Sicht auf Romeo versperrt, schaffe ich es, mich zu bewegen. Ich schnappe nach Luft, reiße meinen Körper herum und marschiere mit großen Schritten zurück in die Bar. Fuck, Alessia. Zu beschreiben was gerade in mir vorgeht ist schlichtweg unmöglich. Ich fühle mich als würde man mir die Luft zum Atmen abschnüren, während Tränen meine Sicht trüben und sich eine Hand auf meine Schulter legt. »Alles in Ordnung?«, fragt Luigi besorgt nach. Ich nicke, wische mir mit dem Handrücken über die Augen und wende mich dem Tisch mit dem Limonadenfass zu. »Ja. Möchtest du eine?«
»Lass mich das machen und setz dich«, lächelt der Besitzer der Bar und drückt mich auf den Stuhl neben dem Tisch. Erleichtert sinke ich darauf, ertrinkend in meinen Gefühlen. Meine Finger zittern, mein Herz schlägt fragil gegen meine Brust. Es ist kurz davor für immer zu brechen. Diesmal hoffe ich, das es endgültig ist und ich von meinem Leid erlöst werde.
Wenn dieser Schwachkopf glaubt, er könne mir Honig ums Maul schmieren, bis ich einknicke, dann kennt er mich nicht. Ein Kind? Er hätte mich anschießen, demütigen, schlagen oder anschreien können. Nichts davon ist so gravierend wie dieser Fehler, den er begangen hat. Und nichts ist so laut wie mein Herz, dass mehr und mehr zu Staub zerbröckelt.

King of Palermo | 18+Where stories live. Discover now