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ROMEO

Ich habe es verbockt. Auf ganzer Ebene versagt, wie ich noch nie in meinem Leben versagt habe. Nach unserem Gespräch in der Bar konnte ich einfach nicht nachhause fahren. Stundenlang habe ich auf sie gewartet, bis sie endlich Feierabend hatte. Heute Morgen, als ich ihr auf dem Gehweg begegnet bin, ist sie Sache etwas aus dem Ruder gelaufen. Sie hasst mich. Sie hasst mich mit jeder Faser ihres Daseins und dass kann ich ihr nicht mal verübeln. Ich verstehe es, weil ich weiß, dass es allein meine Schuld ist. Damals vor zwei Jahren, konnte ich mich nicht gegen meinen Vater auflehnen. Er hatte den längeren Arm und ich war der Sohn, der nachgeben musste, da er ohnehin bereits an mir gezweifelt hat. Heute würde ich das nie wieder tun. Die letzten Jahre haben mir gezeigt, dass ihn nichts mehr als sich selbst auf dieser Welt interessiert. Mein Vater ist kein guter Mann, und ich sehe keinen Ausweg aus dem Schlamassel, welches ich verursacht habe.

»Die Einnahmen haben sich im letzten Jahr exponentiell verdoppelt. Das sind gute Prognose vor der Weinernte.«
In diesem stickigen Meetingzimmer, schmerzt mir der Kopf. Unser Finanzberater, hält bereits seit einer halben Stunde einen Vortrag über die Einnahmen und das Wachstum der Firma. Es ist so trocken, dass mir die Birne bald platzt.
»Das ist gut, oder nicht? Mit den neuen Läden in Rom und Milan, können wir uns noch steigern«, wendet mein Vater begeistert ein. Er sitzt neben mir am Kopfende des Tischs und deutet auf den grellen Bildschirm, auf dem einige Zahlen zu sehen sind. »Wenn wir den Kurs halten, machen wir nächstes Jahr das dreifache.«
Übertreibe es nicht, denke ich mir. Ja, das Geschäft mit dem Wein läuft gut und ist sowas wie unsere legale Absicherung, falls alles andere schiefgeht. Die Parisis vertreiben seit Generationen mehrere Weingüter auf der Insel, aus dessen Saft man einige der teuersten und exklusivsten Weine der Welt herstellt. Dennoch ist das Handeln mit Waffen und der Vertrieb von Kokain unsere Haupteinnahmequelle. Aus den Häfen Italiens verschiffen wir den weißen Schnee nach Asien, Australien und Afrika. Wir beziehen unsere Ware direkt aus Südamerika, hegen schon lang enge Kontakte mit den Plantagen.
Und die Waffen? Die Russen haben eine Menge Stoff aus Sovietzeiten. Einige Millionen, die ins Baltikum geflossen sind, beziehen wir von dort. Der Rest kommt von einem Bekannten aus Moskau, den wir zur Hälfte am Gewinn beteiligen. Ein Großteil wandert mit dem Koks nach Asien und Afrika. Besonders Indonesien, Vietnam und dem Kongo. Lukrativ ist es durchaus. Aber allein damit, kann sich meine Familie nicht an der Spitze Palermos halten. Mein Vater hat, wie sein Vater zuvor, in den letzten Jahrzehnten zu eher unkonventionelleren Methoden gegriffen. Gewalt, Angst und Schrecken zu verbreiten, liegt ihm, selbst wenn ich das ungern zugebe. Was sagt das über mich aus?
Antonio kennt keine Skrupel und die tiefe Verwurzelung meiner Familie in der Gesellschaft Italiens macht es ihm äußerst leicht, zu agieren. Nicht ohne Grund erhofft sich der Bürgermeister bei seiner Wahl, die Stimme und Gelder meines Vaters.

»Wann findet die Eröffnung statt?«, mische ich mich irgendwann in ihr Gefasel ein, bevor ich einschlafe. »Nächsten Monat eröffnet das Geschäft in Rom und im August das in Milan.«
»Klingt gut. Ein weiterer Punkt auf der Tagesordnung? Wenn nicht würde ich mich gern wieder meiner Arbeit widmen«, frage ich in die Runde. Die alten Säcke, die meinem Vater unterstellt sind, schauen sich skeptisch an. Mir ist inzwischen völlig egal, was sie von mir denken. Ich klappe meine Mappe zusammen, klemme den Kugelschreiber daran und erhebe mich, als niemand mehr was sagt. Lediglich einen bösen Seitenblick fange ich mir von meinem Vater ein.
»Warte«, hält er mich auf. Ich verharre neben ihm stehend in meiner Position und schaue ungeduldig auf ihn hinab. Wenn ich nicht meine Arbeit rechtzeitig erledige, werde ich zu spät am Kindergarten sein, um Giada abzuholen. Ich habe ihr versprochen das wir Eis essen gehen. Das kommt bei meiner Position in der Familie nicht oft vor. Jeden Tag wird sie von einem Chauffeur und einer Nanny abgeholt und ohne Umwege zurück zur Villa gebracht. Isabella macht sich nicht mal die Mühe, ihre Tochter mal abzuholen. Sie trifft sich lieber mit ihren Klatschfreundinnen in teuren Luxusboutiquen, um Geld auszugeben. Wegen der Sicherheit habe ich Giada bis jetzt nur eine Handvoll Male abgeholt. Es muss vorher gründlich mit dem Sicherheitspersonal abgesprochen werden, anders geht es nicht. Es ergibt sich leider nicht oft, deshalb ist mir wichtig pünktlich zu sein. Ich will das kleine Mädchen nicht warten lassen.
»Geht. Ich will allein mit meinem Sohn sprechen«, weist er die anderen streng an und wartet bis der letzte von ihnen das Zimmer verlassen hat. Mir schwant vor, über was er sprechen will. Mit einem unguten Gefühl im Magen, sinke ich zurück auf den Drehstuhl und platziere die Mappe vor mir auf dem Tisch. »Was gibt's? Geschäftliches können wir auch nachher klären.«
»Mir ist zu Ohren gekommen das du neuerdings eine Bar in der Innenstadt besuchst«, kommt er direkt auf das, was ich vermutet hatte, zu sprechen. Mich überrascht es nicht, dass er davon weiß. Er hat seine Augen und Ohren überall in der Stadt, erfährt alles, was hier vor sich geht. Es war lediglich eine Frage der Zeit, bis er mich darauf anspricht.
»Mhm, der Schnaps dort ist recht gut«, antworte ich ihm und meide seinen Blick. Ich kann ihm nicht ins Gesicht sehen. Nicht wenn ich weiß, dass es vor Wut rot anläuft. »Lüg mich nicht an.«
»Das tue ich nicht. Ich trinke dort Whisky und gehe meiner Arbeit nach. Isabella raubt mir den letzten Nerv zuhause. Das war die erstbeste Bar, die ich auserkoren habe, um an den Papieren zu arbeiten, die du mir gegeben hast.«
Das verachtende schnauben, dass den Raum erfüllt, lässt mich meine Fäuste vor Wut zusammenziehen. Mir sollte egal sein, ob er mir glaubt oder nicht. Stattdessen sitze ich hier wie ein Idiot und lasse mir einen Vortrag halten.
»Wenn es etwas mit der Bedienung zu tun hat, dann-«
»Hat es nicht«, unterbreche ich sein Geschwafel, obwohl ich weiß, wie sehr er es hasst, wenn man ihm ins Wort fällt. Er soll ihren Namen nicht in den Mund nehmen. Dazu hat er kein Recht.
»Wenn du mich jetzt entschuldigst, ich muss Giada abholen. Oder willst du, dass ich deine Enkelin dort stehenlasse?«, frage ich ihn und erhebe mich. Bevor er noch etwas antworten kann, bin ich aus dem Raum gestürmt. Ich weiß sehr wohl, dass das letzte Wort noch nicht gesprochen ist und er mich bald wieder darauf ansprechen wird. Vorerst sollte ich meinen Vater meiden. Immerhin so lange wie möglich.
Scheiße. Der Blick auf das Zifferblatt meiner Uhr bestätigt mir, dass ich spät dran bin. Ohne Umwege mache ich mich auf den Weg in die Tiefgarage und starte meinen Wagen. Bis zu Giadas Privatkindergarten sind es fünfzehn Minuten. Die Mappe habe ich nach hinten auf den Sitz geworfen, gerade, als ich mich in den Stadtverkehr eingefädelt habe. Hoffentlich komme ich noch rechtzeitig.

»Daddy!« Das kleine langhaarige Mädchen stürmt glücklich auf mich zu, nachdem sie mich entdeckt habe. Ich ziehe mir die Sonnenbrille von den Augen, stecke sie in mein Hemd und Knie mich hinab, um sie in Empfang zu nehmen. Ihre zarten Ärmchen schlingen sich um mein Hals und ich drücke ihr einen dicken Kuss auf die Wange. »Wie war dein Tag? Hast du schön gespielt?«, frage ich sie hochhebend. Sie trägt ein Kleid, eine Strickjacke und eine Schleife in den Haaren. Und Gott, sie ist wirklich das hübscheste Kind, was ich je gesehen habe. Auch bei so einer Mutter wie Isabella. Nun ja, hässlich ist sie nicht, vielmehr ist es ihr Charakter, der sie versaut. Umso froher bin ich, dass das kleine Mädchen neben ihrer Schönheit nichts von ihrer Mutter geerbt zu haben scheint. Aber wenn ich sie anschaue, sehe ich nicht nur Isabella in ihrem Gesicht.
»Ja! Wir haben eine Sandburg gebaut, die war gaaaanz groß«, plappert sie gutgelaunt und macht einen ausschweifende Geste mit ihren Ärmchen, um mir zu verdeutlichen, wie groß sie war. »Wow, zeigst du die mir morgen? Jetzt gehen wir erstmal Eis essen, das hatte ich dir doch versprochen.« Mit meiner freien Hand nehme ich ihrer Erzieherin ihren kleinen Rucksack ab und verabschiede mich. Giada nickt beim Verlassen der Tagesstätte begeistert und wippt in meinen Armen auf und ab. Das kleine Mädchen ist ein Sonnenschein. Es gibt selten Tage, an denen sie nicht fröhlich ist. Das ist mir besonders wichtig. Sie soll nie sagen, dass sie keine glückliche Kindheit hatte. In einer Familie wie meiner aufzuwachsen ist schwierig. Ich weiß, was es bedeutet, einen Vater wie meinen zu haben. Das soll sie nicht erleben.
»Pass auf deinen Kopf auf«, erinnere ich sie, auf den Beifahrersitz hebend. Sie rutscht in ihren Kindersitz, ich schmeiße die Tasche achtlos auf den Rücksitz zu meinen Unterlagen. Nachdem sie angeschnallt ist, fahre ich los in Richtung Innenstadt. Da heute heiße Temperaturen herrschen, ist es das perfekte Wetter, um einen kurzen Stopp einzulegen, bevor ich sie nachhause bringe. Ich komme nicht oft dazu, etwas mit ihr zu unternehmen, deshalb macht es mich froh, sie so glücklich zu sehen.

Das Pflaster und der Beton in der historischen Innenstadt Palermos hat die Luft zwischen den alten Häusern aufgeheizt. Mit der Sonnenbrille tief ins Gesicht geschoben, sinke ich auf einen der Stühle im Eiscafé und hebe Giada auf meine Beine. »Edbeere?« Mit großen Augen deutet sie auf den Becher. Ich muss mir ein schmunzeln verkneifen, weil sie das Wort nicht richtig aussprechen kann. »Mhm, Erdbeere und Melone. Hier.« Ich halte ihr einen Löffel hin, halte den Becher fest, während sie langsam ihr Eis löffelt. Unter dem Sonnenschirm, geschützt von der brennenden Hitze sitzend, kann man es aushalten. Eine Menge Touristen sind unterwegs, verstopfen die Straßen und Gassen. Ich bin es gewohnt, doch für manch anderen mag es nervig sein. Mein ganzes Leben, verbringe ich bereits in dieser Stadt. Jemals an einem anderen Ort zu wohnen, könnte ich mir nicht vorstellen.
»Dada«, reißt das kleine Mädchen mich aus meinen Gedanken. Ich schaue hinab, sehe wie sie mir einen Löffel Eis unter die Nase hält. Einem Kind zu erklären das man nichts will, ist schwieriger und ich will ihre gute Laune nicht verderben. Also lasse ich mir ein Stück Eis von ihr in den Mund stecken und bekomme ein Grinsen von ihr dafür. Schmunzelnd fahre ich ihr über die Haare. Ich würde alles für sie tun.
Meine Iriden huschen über die Menschen, die sich auf dem Platz versammelt haben. Irgendwo spielen Straßenmusiker, es wird geredet, begleitet vom Plätschern des Springbrunnens. Ich muss zweimal an der Wasserfontäne vorbeischauen, als ich ihr Gesicht in der Menge erblicke. Alessia steht vor der Bar am anderen Ende des Platzes und trägt eine Kiste in den Händen. Ihr Gesicht mir zugewendet, und den Blick in ihren Augen erkenne ich selbst aus hundert Metern Entfernung. Ihre grünen Iriden huschen zu dem Kind auf meinem Schoß, zurück zu meinem Gesicht und wieder hinunter. Stocksteif steht sie neben dem Lieferwagen, nicht fähig sich zu regen. Und ich sehe, wie etwas in ihr bricht.

King of Palermo | 18+Where stories live. Discover now