Kapitel 11

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SARAH

Abends hatte Neros Familie uns angeboten, bei sich zu übernachten, damit wir kein Hotel suchen mussten. Wir hatten den ganzen Abend zusammen gesessen und erzählt, was alles in den letzten Monaten passiert war. Nero war dabei äußerst schweigsam gewesen, er hatte so gut wie gar nichts gesagt und war nach einer guten Stunde auf sein Zimmer gegangen, um sich hinzulegen. Er schien noch sehr an diesem Wiedersehen zu knabbern, besonders an der Sache mit Fin. Sie hatte mir erzählt, was in der Zeit passiert war, in der Nero nicht bei ihr gewesen war und es tat mir wirklich leid, dass ich nicht früher etwas unternommen hatte, um Nero zu seiner Familie zurück zu bringen. Dann wäre Fin vielleicht nicht in der Psychiatrie gelandet oder hätte versucht sich umzubringen. Es war nun fast zwei Uhr nachts, als ich auch beschloss, ins Bett zu gehen. Ich würde bei Nero im Zimmer übernachten, seine Eltern hatten mir eine Matratze gebracht, auf der ich schlafen konnte, doch als ich in das große Zimmer kam, stand Nero am geöffneten Fenster und starrte nach draußen in die dunkle Nacht.
"Hey, was machst du denn da? Wolltest du nicht schlafen gehen? Oder drückst du dich vor meinen peinlichen Geschichten?", fragte ich ihn neckend und schloss die Tür hinter mir, doch Nero drehte sich nicht einmal um. Er seufzte stattdessen genervt.
"Lass die dummen Sprüche, Sarah", sagte er gereizt, worauf mir mein Lächeln verging und ich zu ihm ans Fenster trat, um ihn vorsichtig zu umarmen.
"Was bedrückt dich so sehr?", fragte ich besorgt nach. "Du hast doch gesehen, dass deine Familie dich sehr vermisst hat! Sie lieben dich und keiner ist dir böse, wie ich es gesagt habe! Na gut, Jonas vielleicht ein bisschen, zumindest war er es am Anfang, aber..."
"Darum geht es nicht, Sarah", unterbrach Nero mich gereizt und machte sich von mir los.
"Worum dann?", fragte ich neugierig nach und setzte mich auf sein Bett, um ihm ein bisschen Freiraum zu geben.
"Um Fin. Sie hätte sich beinahe umgebracht - wegen mir. Das kann ich nicht wieder gutmachen! Ich bin dafür verantwortlich, dass sie in der Psychiatrie war! Sarah, ich kann das hier nicht, ich weiß nicht, was ich jetzt tun soll. Ich wollte eigentlich wieder gehen, ich fühle mich hier irgendwie unwohl. Vor allem wegen Fin. Aber wenn ich jetzt gehe, könnte das alles wieder passieren und was ist, wenn Jonas Fin dieses Mal nicht rechtzeitig findet? Ich weiß einfach nicht, was ich tun soll. Ich bin hier vollkommen fehl am Platz, aber weggehen kann ich auch nicht mehr. Was soll ich denn machen, Sarah?", erklärte er panisch und drehte sich endlich zu mir um. Er wirkte vollkommen aufgelöst und hatte Tränen in den Augen, ich seufzte. Der Arme. Ich hatte ihm nur etwas Gutes tun wollen, aber anscheinend hatte Fins Geständnis alles nur schlimmer gemacht.
"Ich weiß es nicht, Nero", gab ich zu. "Aber das hier ist deine Familie und sie liebt und vermisst dich. Du kannst es ihnen nicht noch einmal antun, dass du einfach verschwindest. Weder Fin noch jemand anderem."
"Ich weiß, aber ich habe das Gefühl, hier nur Schaden anzurichten! Das habe ich vom ersten Tag an! Erst hätte ich fast Fin und Jan auseinander gebracht, dann wurden Fin und Jonas von meinen Eltern entführt und dann stirbt Fins Freund wegen meiner Mutter! Ich bin ein wandelndes Fiasko! Ich kann nicht bleiben, Sarah. Wer weiß, was dann noch passiert?"
"Und was passiert, wenn du gehst? Was ist denn das letzte Mal passiert, als du gegangen bist? Das ist auch nicht gerade besser abgelaufen!", konterte ich und stand wieder auf, um zu Nero zu gehen. Ich legte ihm meine Hände auf die Schultern und sah ihn ernst an. "Sie lieben dich, Nero, und sie brauchen dich hier! Du kannst nicht einfach verschwinden!"
"Ich weiß, aber ich fühle mich im Moment einfach unwohl hier, ok? Lass mir einfach ein bisschen Zeit, ich muss über das alles eine ganze Menge nachdenken", wandte er ein und machte sich von mir los. "Ich gehe eine Runde spazieren, ja? Ich bin in einer Stunde wieder da, versprochen, ich laufe nicht wieder weg. Wenn ich in einer Stunde nicht zurück bin, kannst du mich suchen gehen." Er ging auf seine Zimmertür zu und öffnete sie.
"Und wo gehst du hin? Kann ich mitkommen?", fragte ich nach, weil ich ihn nicht alleine gehen lassen wollte. Erst nicht in diesem Zustand.
"Nein, lieber nicht, ich möchte eine Weile alleine sein. Ich laufe nur ein bisschen durch die Stadt, das ist alles. Bis gleich", antwortete er knapp und war dann bereits aus der Tür verschwunden. Ich seufzte. Wie konnte ich Nero nur helfen? Ich hatte nur etwas Gutes tun wollen, aber anscheinend hatte ich es für Nero nur schlimmer gemacht. War es vielleicht ein Fehler gewesen, hierher zu kommen?

Südtiroler Problem - Das Wiedersehen Where stories live. Discover now