Kapitel 2

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SARAH

Nero starrte nur auf den Bildschirm wie ein Baby, das sich zum ersten Mal selbst im Spiegel sah. Wie gebannt sah er dabei zu, wie sein Handy klingelte, ohne sich dabei zu bewegen. Für einen Moment war ich mir sogar sehr sicher, dass er nicht einmal atmete.
"Sag mal, findest du deinen Klingelton etwa so geil, dass du ihn bis zum Ende hören willst, oder was? Geh ran!", fuhr ich Nero an, doch der rührte immer noch keinen Finger.
"Ich... Ich kann nicht drangehen, Sarah! Was soll ich ihr denn sagen?", brachte er panisch hervor.
"Das fällt dir dann schon ein!", wandte ich ein, aber immer noch geschah nichts. Wenn Nero so weitermachte, würde Finja wieder auflegen! Und das konnte ich nicht zulassen. "Heilige Scheiße! So langsam kann doch kein Mensch handeln! Gib her!" Ich riss ihm das Handy aus der Hand.
"Sarah, nicht!", rief Nero, aber ich hatte bereits auf den grünen Hörer gedrückt.
"Hey, Finja", sagte ich, daraufhin herrschte eine kurze Stille am Telefon, während Nero panisch versuchte, mir sein Handy aus der Hand zu reißen - allerdings ohne Erfolg.
"Ähm... Ich dachte, ich würde mit Nero sprechen", sagte eine helle Mädchenstimme am anderen Ende der Leitung.
"Ja, du hast dich auch nicht verwählt, aber Neros Hirn arbeitet gerade im Tempo einer Schnecke mit Krückstock, deshalb übernehme ich für einen Augenblick. Ich bin Sarah, Neros Mitbewohnerin, schön dich endlich kennenzulernen", erwiderte ich und schob Nero weg, als er erneut versuchte, mir sein Handy abzunehmen.
"Wo ist Nero? Ich will mit ihm sprechen", bat sie, ich sah Nero an, der panisch den Kopf schüttelte.
"Kein Problem, hier ist er", erwiderte ich und drückte Nero dann schon das Handy in die Hand. "Sprich mit ihr, du Dummdödel! Ich gebe euch ein wenig Raum." Ich stand auf und ging in die Küche, obwohl diese mit dem Wohnzimmer verbunden war und die beiden Räume von nicht mehr als einem kleinen Tresen getrennt wurden. Nero sagte immer noch kein Wort, ich verdrehte daraufhin die Augen.
"Nero? Bitte, rede mit mir. Wo bist du?", flehte Fin, aber Nero brachte immer noch keinen Ton heraus. "Nero? Bitte! Ich vermisse dich wirklich, bitte, komm zurück! Oder sag mir zumindest, wo du bist!"
"Fin, ich... Ich kann nicht", brachte Nero heiser hervor.
"Bitte! Nero, die letzten Monate waren die Hölle für mich! Erst verliere ich Jan und dann dich! Bitte, komm zurück!", flehte sie verzweifelt und ich war mir sehr sicher, dass ich hören konnte, wie sie weinte.
"Fin, du darfst niemandem sagen, wo ich bin. Ich... Ich hab Mist gebaut und ich hätte dir auch nicht schreiben dürfen, es tut mir leid. Vergiss, dass ich dir geschrieben habe. Es tut mir leid, aber so ist es das Beste", sagte Nero und bevor ich oder Fin etwas sagen konnten, hatte Nero bereits aufgelegt.
"Was zum Teufel machst du da bitte?!", fuhr ich ihn sauer an.
"Was soll ich denn sonst tun?! Ich kann Fin nicht sagen, wo ich bin!", erwiderte er und warf sein Handy auf die Couch. "Tut mir leid, Sarah, aber ich kann das nicht. Sie weiß jetzt, dass ich lebe, das muss reichen. Mehr braucht sie nicht zu wissen, sie sollte mich vergessen. Und du solltest Fin auch vergessen! Es ist besser für uns alle, wenn wir uns vergessen! Nur so kann ich sie beschützen!" Damit stand er auf und zog sich seine Sneaker an. "Ich gehe einkaufen. Brauchst du was?"
"Nein", antwortete ich knapp. "Geh nur, du Feigling." Er erwiderte nichts darauf und verließ die Wohnung, deren Tür mit einem Knall zufiel. Ich wartete noch einen Moment ab, bis ich die Haustür unten im Erdgeschoss zufallen hörte, bevor ich zur Couch ging, wo Neros Handy noch lag. Ich konnte das nicht so stehen lassen, Finja verdiente mehr als das. Sie schien wirklich nett zu sein und wirklich zu leiden, ich konnte das so nicht einfach stehen lassen. Also nahm ich das Handy in die Hand und gab den Code ein, bevor ich auf das Icon für WhatsApp drückte. Ich musste mit Finja sprechen, ihr zumindest sagen, wo wir waren und was Nero mir alles erzählt hatte. Ich wusste, dass Nero mir dafür den Kopf abreißen würde, aber es musste einfach sein. Mit Nero würde ich dann schon fertig werden, ganz sicher. Ich drückte auf den Hörer in Finjas Profil und wartete ab. Es klingelte einige Male, bevor es in der Leitung knackte und ich dann Finjas Stimme hörte.
"Nero?", fragte sie hoffnungsvoll, ich schüttelte den Kopf.
"Tut mir leid, nein, ich bin es nur, Sarah", antwortete ich ihr. "Tut mir leid, dass ich dich noch mal nerve, aber ich wollte euer Gespräch nicht so stehen lassen."
"Wo ist Nero?", fragte Finja weiter nach.
"Weg, einkaufen. Er darf nicht wissen, dass wir telefonieren, er würde mir den Hals umdrehen, aber ich wollte dich noch einmal zurückrufen", antwortete ich knapp und ging hinaus auf den Balkon, um mich auf das Geländer zu lehnen. Auf der Straße sah ich Nero, der zum Supermarkt lief und gerade um die Ecke verschwand. War auch besser so. Dann konnte er schon nicht mitbekommen, was ich hier gerade hinter seinem Rücken tat.
"Wieso?", fragte Finja neugierig nach.
"Weil Nero dir Antworten schuldet und wenn er sie dir nicht gibt, werde ich sie dir geben. Hör zu, ich weiß, dass er sich gerade wie der letzte Idiot verhält, aber er hat nur Angst, dir unter die Augen zu treten. Er gibt sich selbst die Schuld an Jans Tod, deswegen kann er nicht einmal an dich denken, ohne sich zu hassen. Mein Beileid im Übrigen für deinen Verlust", erklärte ich ihr, doch als ich nach unten sah, erkannte ich, dass Nero bereits zurück um die Ecke kam. Shit! Wahrscheinlich hatte er mal wieder seinen Geldbeutel liegen gelassen und kam, um ihn zu holen. "Hey, es tut mir leid, aber Nero kommt zurück, ich muss gleich Schluss machen. Ich gebe dir meine Nummer, ok? Dann können wir in Ruhe weiterreden. Keine Sorge, ich werde mich darum kümmern, dass Nero mit dir redet und zurück zu euch kommt - koste es, was es wolle."

Südtiroler Problem - Das Wiedersehen Where stories live. Discover now