Verirrt

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"Fuck!", schrie ich so laut, dass es vermutlich meine Eltern hören konnten.

Einige Leute drehten sich zu mir um. Ein paar tippten sich an die Stirn oder schüttelten die Köpfe. Ein paar brüllten fiese Sachen zurück, wie "Klappe!", "Haben dich dene Eltern nicht anständig erzogen?" oder "Halt's Maul!". Keiner von denen fragte mich, was passiert war und ob es mir gut ging. Sie machten mir alle nur Vorwürfe. Was war bei denen denn bitte falsch?

Während sich die Leute wieder verdrückten, atmete ich tief durch, um mich zu beruhigen. Ich musste mich jetzt konzentrieren und nach irgendetwas suchen, was mir bekannt vorkam.

In der Fußgängerzone, in welcher ich mich befand, erkannte ich jedoch keinen der Läden wieder. War ich auf dem Hinweg überhaupt hier durchgelaufen? Ich war mir nicht sicher. Wo war ich auf dem Hinweg überhaupt vorbeigekommen?

Auf einmal kam mir die Stadt, die mir eben noch so gut gefallen hatte, gar nicht mehr so schön vor. Eher beängstigend.

Ich lief weiter, in der Hoffnung, dass ich irgendetwas sah, was mir bekannt vorkam. Ich fand jedoch nichts, obwohl ich vermutlich die halbe Stadt durchquerte und sogar einige Leute nach dem Weg fragte. Die hatten aber auch keine Ahnung, wo ich hinmusste.

Es hing an einer Stelle sogar ein Stadtplan aus, doch leider half der nicht wirklich.

Ich wusste zwar, in welcher Straße die Schule war und fand diese auch auf der Karte, doch in den Straßen von Köln war es verdammt schwer, diese Wege wiederzufinden, zumal ich die Hälfte des Weges an der ersten Straßenecke schon wieder vergessen hatte.

Je länger ich durch Köln irrte, desto verzweifelter wurde ich. Wie lange war ich schon unterwegs? Eine Stunde? Zwei? Drei? Oder vielleicht sogar länger? Ich wusste es echt nicht mehr. Es war mir aber auch egal. Ich wollte hier nur weg.

Nach einer Weile stiegen mir die Tränen in die Augen. Das durfte doch alles nicht wahr sein! Warum lief das alles so schief? Es hatte doch so gut begonnen.

Als ich an einer Treppe aus Stein vorbeikam, setzte ich mich an den Rand. Dort weinte ich vor mich hin. Einige Leute fragten mich, ob alles in Ordnung sei, doch ich sagte ihnen nichts. Die hätten mir vermutlich eh nicht helfen können.

Ich hätte all das so einfach verhindern können, aber ich hatte es nicht getan. Warum war ich nur so dumm gewesen, nicht auf den Akku von dem Gerät zu achten? Hätte ich es vorher aufgeladen oder unterwegs nicht so oft benutzt, wäre ich vermutlich längst wieder zurück.

Nachdem meine Tränen nach einer gefühlten Ewigkeit endlich einigermaßen getrocknet waren, stand ich auf. Ich durfte nicht aufgeben, denn es war viel zu wichtig, ins Internat zurückzukehren. Immerhin wollte ich weder auf einer Parkbank schlafen, noch von der Schule fliegen, weil ich nicht zurückgekommen war.

Planlos irrte ich weiter durch die Stadt und fragte noch ein paar ahnungslose Leute, doch wirklich große Hoffnungen machte ich mir inzwischen keine mehr. Wie sollte ich mich ohne Handy in einer völlig fremden Stadt zurechtfinden? Das war unmöglich!

In dem Moment kam mir alles so vor, als sähe jedes Haus, jeder Laden und jedes Schild gleich aus. Sehr ungünstig, wenn man sich orientieren muss.

Wenig später fing ich wieder an, zu weinen, doch diesmal machte ich keine Pause deswegen. Ich musste weitersuchen, egal wie ich mich fühlte und wie groß meine Hoffnung war.

Irgendwann musste ich doch überall in der Stadt gewesen sein. Spätestens dann würde ich bestimmt am Internat vorbeikommen.

Nach einer Weile kam ich an den Bahnhof. Dort hing eine Uhr. Auf der stand, dass wir 18:27 hatten. Ich hatte also noch ein wenig Zeit. Hoffentlich reichte die aus, um den Weg zu finden.

Die Brieffreundin Where stories live. Discover now