Einfall

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Als ich nach Hause fuhr, bemerkte ich zwei Jungs aus der 5. Klasse, die ebenfalls im Zug saßen und sich gegenseitig ihre Adressen gaben.

Offenbar wollten sie über Briefe in Kontakt bleiben. Sie hatten vermutlich noch keine Handys, denn ansonsten hätten sie wahrscheinlich eher ihre Nummern ausgetauscht.

Ich beobachtete die beiden ein wenig und plötzlich überfiel mich ein Geistesblitz:

Ich könnte den Lockdown nutzen, um mir eine Brieffreundin zu suchen. In der Grundschule habe ich mir immer eine gewünscht, doch es hatte sich nie so ergeben.

Irgendwie wollte ich es heute immer noch, obwohl ich inzwischen 14 war und in die 8. Klasse ging.

Ich nahm mir fest vor, mich zuhause nach Online-Foren umzusehen, auf denen man Brieffreunde finden konnte.

Da fiel mir plötzlich etwas ein:

Meine Eltern würden mich umbringen, wenn ich einer fremden Person unsere Adresse geben würde.

Die beiden waren der Meinung, dass sich im Internet fast nur Psychos und Pedos aufhalten, denen man nicht vertrauen konnte, obwohl es auch gute Menschen im Internet gab.

Angestrengt überlegte ich, wie ich dieses Problem umgehen konnte und auf einmal kam mir eine geniale Idee:

Ich konnte meinen Eltern sagen, dass meine Brieffreundin ein Mädchen aus meiner Klasse wäre, dessen Handy kaputt war.

Meine Eltern vertrauten mir und sie hätten es mit Sicherheit ohne zu hinterfragen geglaubt.

Es war zwar eine blöde Idee, meine Eltern zu belügen, aber ich wollte unbedingt eine Brieffreundin, mit der ich während der langweiligen Tage im Lockdown schreiben konnte.

Eigentlich konnte bei diesem Plan nichts schiefgehen.

Am nächsten Bahnhof verabschiedeten sich die Jungs voneinander und ein Knirps stieg aus. Der andere war nun ganz alleine.

Sofort musste ich wieder an Katharina denken, die jetzt wahrscheinlich auch ziemlich einsam war. Genau wie ich.

Ich freute mich schon jetzt auf das Ende des Lockdowns, denn es war zugleich der Tag, an dem ich Katharina wiedersehen würde.

Da hatte ich auf einmal ein wenig Mitleid mit dem Jungen.

Ihm erging es in diesem Moment vermutlich ähnlich wie mir.

"Nächster Halt: Schottersheim", riss mich auf einmal eine vertraute Durchsage aus meinen Gedanken, die ich nun auch lange nicht mehr hören würde.

Wenig später fuhr der Zug auch schon im Bahnhof ein und ich stieg aus.

Den Weg von hier bis nach Hause kannte ich im Schlaf, also dauerte es nicht lange, bis ich angekommen war.

Die Brieffreundin Where stories live. Discover now