Kapitel 37

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Als Bryan vor die Tür trat, drohte er das Gleichgewicht zu verlieren und torkelte ein paar Schritte zum Geländer der kleinen Veranda vor der Eingangstür. Er fuhr sich mit den Händen übers Gesicht, ignorierte die Schmerzen und atmete einmal tief durch.

Alle Vermutungen hatten sich bestätigt. Joy war noch am Leben gewesen. Black Soul und Chandler hatten sie hierher mitgenommen, sodass Tom Finnigan sie pflegen konnte. Lockwood war von Black Soul erpresst worden, Bryan zu entführen und Hansson zu erpressen und zu töten. Unter diesen Umständen ergab es auch Sinn, dass Lockwood so unvorsichtig gewesen war, Hansson in seiner Wohnung töten zu wollen, obwohl die ganze Stadt Jagd auf ihn gemacht hatte. Er hatte es getan, weil Joy sonst dafür bezahlt hätte.

Inzwischen hatte sie trotz allem bezahlen müssen und ein widerlicher Gedanke fraß sich durch Bryans Kopf wie ein Geschwür: Hatte Joy sterben müssen, weil Lockwood Bryan hatte gehen lassen? Hatte Joy Bryans Überleben mit ihrem eigenen Leben bezahlt? Lieber säße Bryan noch immer von Kopf bis Fuß gefesselt und allein in diesem dunklen Kellerraum, als mit dem Wissen leben zu sollen, womöglich für Joys Tod verantwortlich zu sein. Er versuchte, den Gedanken im Keim zu ersticken, aber er hielt sich hartnäckig und Bryan wusste, dass er ihn nicht loswerden würde. Es fiel ihm schwer, zu atmen.

Langsam hob er den Kopf und versuchte, die schrecklichen Gedanken und Gefühle abzuschütteln. Sein Schädel pochte. Da sah er plötzlich eine Bewegung aus dem Augenwinkel. Sie fiel ihm ins Auge, weil sie nicht richtig zu sein schien. Bryan hob die rechte Hand zum Kopf und gab vor, sich an der Stirn zu kratzen. Hinter der Hand schielte er nach rechts. Zum Eckhaus am Ende der Straße. Dort hatte er die Bewegung gesehen. Aber nicht nur eine Bewegung. Es war ein Kopf gewesen. Blonde Haare. Verdächtig.

Unauffällig ging er auf einen der Streifenwagen zu, an dem zwei Polizisten lehnten.

„Kann einer von Ihnen mich ein Stück fahren?", fragte er in dem Versuch, es möglichst natürlich wirken zu lassen. Einer der Männer nickte.

„Natürlich, Mr. Mills. Wo soll es denn hingehen?"

„Nur bis zum Eckhaus – nicht hinsehen!", warnte er sofort. „Jemand beobachtet uns und ich habe eine ziemlich genaue Vorstellung, wer das ist. Also bitte normal verhalten und in üblicher Geschwindigkeit daran vorbeifahren."

Der Kollege nickte wissend und stieg auf der Fahrerseite ein. Bryan ging einmal um das Auto herum, um auf der anderen Seite einzusteigen. Sein Herz schlug höher, als sie das Eckhaus erreichten, bei dem er Amy vermutete. Er gab dem Mann die Anweisung, um die Ecke zu biegen und wenige Meter dahinter anzuhalten. Dann konnte Amy nur in eine Richtung laufen: In die Richtung, in der noch mehr Polizisten auf sie warteten.

Bryan bemühte sich, nicht in Richtung der Hecke zu sehen, als sie daran vorbeifuhren. Dann hielt der Kollege den Wagen an und er verlor keine Sekunde. Er öffnete die Tür und sprang auf die Straße. Von der Hecke starrten ihn zwei entsetzte Augen an. Es war Amy anzusehen, wie sie ihre Optionen abwägte. Während das Auto vorbeigefahren war, hatte sie sich tiefer in die Hecke gedrückt. Jetzt war ihr eindeutig eher nach Flucht zumute.

„Amy", sagte Bryan so ruhig wie möglich und kam langsam auf sie zu, aber sie hatte ihre Entscheidung bereits getroffen. Wie ein Blitz schoss sie los.

„Amy! Komm schon, bleib stehen! Was soll denn das?"

Amy rannte auf die andere Straßenseite, um von dort aus in die Richtung zu fliehen, in der keine Streifenwagen auf sie warteten. Aber sie hatte den Fahrer nicht bedacht. Er sprang aus dem Auto und ihr hinterher. Nach wenigen Metern hatte er sie an ihrem linken Arm gepackt.

„Lassen Sie mich los!", schrie sie hysterisch. „Nehmen Sie Ihre Finger weg!"

Bryan kam angejoggt und schüttelte fassungslos den Kopf über das Bild, das sich ihm bot. Der Kollege versuchte verbissen, Amy festzuhalten, während diese sich mit aller Kraft aus seinem Griff zu befreien versuchte.

Im Strudel der Zeit - Auf Leben und TodWo Geschichten leben. Entdecke jetzt