Kapitel 5

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„Der legt sich echt ganz schön ins Zeug", freute sich Nicholas, als Hansson und Cardwell offenbar den Verhörraum verlassen hatten.

„Allerdings", entgegnete Black Soul. Er grinste jedoch nicht. Warum grinste er nicht?

Joy lugte unter der Decke hervor und konnte ihn durch den Rückspiegel sehen. Warum nur grinste er nicht? Das Verhör ihres Dads müsste ihm doch die größte Freude bereiten. Joy zitterte und weinte, seit ihr Vater verhaftet worden war. Irgendwann war es Black Soul zu viel geworden und er hatte ihr einen T-Shirt-Ärmel abgerissen, ihr damit den Mund gestopft und ihn gegen ihren Widerstand gut mit Klebeband verklebt. Weil sie vor lauter Weinen durch die Nase jedoch keine Luft bekommen hatte, hatte er das Klebeband fluchend wieder entfernt, ihr aber unter Drohungen verboten, den T-Shirt-Ärmel herauszunehmen. Nun schluchzte Joy nur noch gedämmt in sich hinein. Sie hatte sich unter der Decke vergraben und fassungslos bei dem Verhör zugehört. Ihr Dad tat genau das, was er Henry versprochen hatte: Er gab alles zu und hielt Joy komplett aus allem heraus. Er nahm alles auf seine Kappe.

Joy hatte kaum hinhören können. Jedes Wort war so schrecklich schmerzhaft gewesen. Und es schmerzte nicht nur sie, sondern auch Detective Hansson. Er war mit seinem Latein und mit seinen Nerven am Ende. Aber beim Gedanken daran, wie sehr die Worte ihren Dad selbst schmerzen mussten, wurde Joy übel. Er war der, der am meisten darunter leiden musste. Er stellte sich als Monster dar, obwohl er das genaue Gegenteil war. Er war der Held dieser Geschichte! Er tat alles, um Joy zu beschützen. Wirklich alles!

„Bist du nicht zufrieden?", hörte Joy Nicholas' Nachfrage an Black Soul und richtete ihre Aufmerksamkeit sofort wieder auf die beiden Männer. Und plötzlich war es da: Black Souls Grinsen. Es begann ganz langsam, wurde jedoch immer breiter.

„Doch", sagte Black Soul. „Jetzt schon. Anfangs war ich es ganz und gar nicht. Immerhin versucht James, zu entkommen, und ich weiß ganz genau, wieso. Aber mir ist gerade etwas eingefallen. Der gute Detective hat mich darauf gestoßen. Nick, gib mir das Handy."

„Was hast du vor?", fragte Nicholas neugierig, während er Black Soul das Handy gab. Black Soul grinste ihn nur an. Funken der Bosheit sprühten aus seinen Augen. Joy standen die Nackenhaare zu Berge. Was um alles in der Welt hatte Black Soul vor?

„Gib mir die Nummer von Bob", forderte Black Soul und Joy bekam ein ganz ungutes Gefühl. Bob, der Freund von Nicholas. Der, der ihrem Dad den Beutel übergeben hatte. Was wollte Black Soul von ihm? Nicholas sah den Piraten fragend an, diktierte ihm aber trotzdem die Nummer. Joys Atem ging schneller und sie krallte nervös ihre Hände in den Sitz. Black Soul wartete derweil geduldig, bis Bob schließlich abnahm.

„Hallo Bob, hier ist Black Soul. – Ja, Nick ist auch hier, aber dieses Mal sprichst du direkt mit mir. Hast du damit ein Problem? – Nicht? Dann ist gut. Das will ich dir auch geraten haben. Also, hör zu Bob. Ich habe einen Auftrag für dich. Nicholas wird dich dafür bezahlen, keine Sorge. – Ja, es geht um James. Die Polizei hat ihn verhaftet. – Das kann dir egal sein. Er ist verhaftet, das ist alles, was du wissen musst. Aber er versucht, sich freizukaufen. Ich hätte gerne, dass sowohl er als auch die Polizei ihr blaues Wunder erleben, wenn sie ihn freilassen."

Joys Magen zog sich zusammen, während Bob Black Soul scheinbar unterbrach, woraufhin das Grinsen erschreckenderweise noch breiter wurde.

„Dein Freund gefällt mir, Nick. Er will es kostenlos machen. Er ist bereit, alles zu tun, um James eins auszuwischen. Anscheinend haben die beiden sich nicht besonders gut verstanden."

Joy schluchzte leise und Black Soul warf ihr einen funkelnden Blick durch den Rückspiegel zu.

„Also gut, Bob. Du hast ja mitbekommen, dass James einen Mann entführt hat. Und du kennst die Adresse. Ich möchte, dass du dorthin gehst und den Polizisten umbringst."

Plötzlich hörte die Welt auf, sich zu drehen. Black Souls Worte schlugen bei Joy ein wie eine Bombe. Erst nach einigen Sekunden hatte sie sich wieder soweit gefangen, dass sie reagieren konnte.

„Ngeeeing!", rief sie und riss ihre Hände zum Mund, um den T-Shirt-Fetzen herauszuholen.

„Jederzeit. Am besten gehst du einfach sofort hin. Wir wollen doch nicht riskieren, dass James vor dir dort ist."

Joy hatte ihren Mund befreit.

„Nein! Das kannst du nicht machen!"

Sie setzte sich auf und griff nach dem Handy in Black Souls Hand. Black Soul war so überrascht, dass sie es tatsächlich in die Finger bekam. So schnell sie konnte, rutschte sie zurück, so weit wie möglich von Black Soul weg, und drückte sich an die Autotür.

„Black Soul nimmt den Auftrag zurück!", schrie sie ins Handy. „Sie werden Bryan Mills nicht töten!"

„Du mieses kleines Miststück!", fauchte Black Soul sie an, als er sich von vorne auf sie stürzte. Joy hob instinktiv die Hände vors Gesicht, um einen Schlag abzuwehren. Black Soul riss an dem Handy in ihrer Hand. Joys Atem ging stoßweise. Ihr Herz raste. Verzweifelt versuchte sie, das Handy festzuhalten.

„Lass es los oder ich muss dir wehtun", warnte Black Soul. Joy stöhnte vor Anstrengung.

„Bob! Sie bringen Bryan Mills nicht um! Haben Sie verstanden?", brüllte sie in das Telefon. Dann plötzlich wurde ihr Arm so stark verdreht, dass sie laut aufschrie vor Schmerz. Tränen stiegen ihr in die Augen. Sie schrie und stöhnte, aber Black Soul ließ nicht locker. Er zog das Handy aus ihrer Hand und verdrehte den Arm noch ein Stück weiter. Joy schrie noch einmal auf, dann ließ Black Soul sie los. Gequält zog sie ihren Arm zu sich und hielt ihn keuchend mit dem linken Arm fest. Hätte Black Soul auch nur einen Millimeter weiter gedreht, wäre er ganz sicher gebrochen. Vielleicht war er das sogar. Es schmerzte wie tausend Nadelstiche, noch viel mehr als zuvor. Joy kämpfte gegen die Tränen und atmete schwer.

„Um dich kümmere ich mich gleich!", drohte Black Soul mit erhobenem Zeigefinger. Joy schluckte und unterdrückte ein Schluchzen. Sie vergrub sich wieder unter ihrer Decke, der einzige Ort, an dem sie ihre Ruhe hatte. Hier war sie für sich. Ganz für sich allein.

Die ersten Tränen benetzten ihre Wangen und tropfen schließlich auf das Sitzpolster unter ihr. Hilflos musste sie zuhören, wie Black Soul seinen Auftrag an Bob wiederholte.

~

James hielt es kaum mehr aus. Wann kamen Hansson und Cardwell denn zurück? Ungeduldig spielte er mit den Handschellen und starrte auffordernd in den Spiegel. Er war sich sicher, dass er beobachtet wurde. Vielleicht standen sogar Hansson und Cardwell dahinter. Verdammt, James musste hier raus! Er hatte zwar vor den Ermittlern behauptet, dass er Zeit hätte, aber das war eine Lüge gewesen. Joy hatte keine Zeit.

James atmete tief durch, um gezwungenermaßen die Ruhe zu bewahren, obwohl das eigentlich unmöglich war. Er saß hier fest, während seine geliebte Tochter in Lebensgefahr schwebte. Er hoffte nur, dass Miles in seinen Ermittlungen vorankam, während er hier festgehalten wurde.

James lehnte sich in seinem Stuhl zurück und seufzte in sich hinein. Er hatte schon fast den Glauben daran verloren, als endlich die Tür wieder aufging. Sofort setzte er sich auf und war überrascht, Hansson nicht zu sehen. Anstelle des Detectives folgte sein Kollege Krauss Cardwell in den Verhörraum. James kannte ihn weniger gut als Hansson oder Mills. Er hatte ihn vor zehn Monaten nur einige Male gesprochen. Was hatte es damit auf sich? Hatte James Hansson ernsthaft zu sehr zugesetzt?

„Hallo nochmal, Mr. Lockwood. Das ist Officer Krauss. Ich nehme an, Sie kennen sich."

James nickte und musterte den Polizisten eingehend. Der Mann schien den Eindruck erwecken zu wollen, als wäre ihm James' Blick egal, aber James spürte, dass er sich unwohl fühlte. Gut so. Vielleicht konnte er ihn besser beeinflussen als Hansson.

„Also gut, Mr. Lockwood", setzte Cardwell an, nachdem er das Verhör offiziell eröffnet hatte. „Da wir bisher nicht besonders weit gekommen sind, fangen wir doch einmal etwas anders an. Mr. Krauss?"

Der Kollege räusperte sich und öffnete eine Mappe, die vor ihm lag.

„Mr. Lockwood, zunächst möchte ich Ihnen mein herzliches Beileid aussprechen. Es tut uns allen leid, was geschehen ist."

James sah ihn nur an und wartete darauf, dass er weitersprach. Auf die Beileidsbekundung einzugehen würde unnötig Zeit kosten.

„Also gut, Mr. Lockwood, dann fangen wir direkt an. Wer ist Ihr Komplize?"

Im Strudel der Zeit - Auf Leben und TodWo Geschichten leben. Entdecke jetzt