Kapitel 4

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Hansson konnte einfach nicht fassen, was Lockwood da von sich gab. Würde er es ernsthaft in Kauf nehmen, Bryan qualvoll sterben zu lassen, wenn sie ihn nicht gehen ließen? Dabei hatten sie ihm den Deal seines Lebens versprochen. Sie kamen ihm mit allem entgegen, was sie hatten. Wieso um alles in der Welt nahm er das nicht an? Warum wollte er alle weiterleiden lassen, sich selbst mit inbegriffen? Wieso tat er das? Der Deal würde nicht mehr gelten, wenn sie Lockwood jetzt gehen ließen. Der Professor opferte seine eigene Freiheit. Was zum Teufel hatte er denn noch so Wichtiges vor? Was hatte er überhaupt mit Aufgaben gemeint? Rosemary Clints Worte kamen Hansson wieder in den Sinn. War es vielleicht doch möglich... aber das konnte nicht...

„Mr. Lockwood. Ich habe eine bedeutende Frage an Sie und ich hoffe, dass Sie sie mir ehrlich beantworten. Das ist wirklich wichtig."

Lockwood zog die Augenbrauen hoch und zuckte mit den Schultern. „Nur zu, fragen Sie. Dazu sind wir doch alle hier."

Wie konnte Lockwood das alles nur so leichtnehmen? Es ging hier um Leben und Tod, wenn man an Bryan dachte. Hansson versuchte, sich zusammenzureißen und bei seinem ursprünglichen Gedankengang zu bleiben. Er atmete einmal tief durch, dann sah er Lockwood ernst in die Augen.

„Professor Lockwood, werden Sie von irgendjemandem erpresst? Wurden Sie dazu gezwungen, Bryan Mills zu entführen und mich zu erpressen und zu töten?"

Hansson beobachtete Lockwoods Reaktion ganz genau. Und so sehr der Mann jede Regung seines Körpers unter Kontrolle hatte, so bildete sich Hansson doch ein, eine Reaktion wahrgenommen zu haben. Ein kleines Zucken, den Hauch von Erschrecken in den Augen. Doch dann lachte Lockwood plötzlich los. War der Professor denn wirklich völlig übergeschnappt?

„Mr. Lockwood. Das war eine ernst gemeinte Frage", versuchte Hansson, sein Gegenüber wieder auf den Boden zu holen. Lockwood verstummte und funkelte Hansson mit Augen an, die ihn erschaudern ließen.

„Und Sie bekommen eine ehrliche Antwort, Hansson. Wieso um alles in der Welt sollte mich jemand erpressen? Ihr habt meine Tochter auf dem Gewissen. Ihr habt zugelassen, dass sie stirbt. Glauben Sie mir, ich werde nicht erpresst. Oder sollte ich das behaupten und dann würden Sie mich gehen lassen? Natürlich werde ich erpresst. Sie haben es erraten. Deshalb erkennen Sie mich nicht wieder. Das ist es doch, was Ihnen so viel Kopfzerbrechen bereitet, nicht wahr? Wissen Sie, wenn einem alles genommen wird, was einen ausmacht, kann man gar nicht mehr derselbe Mensch sein. Verstehen Sie das? Was glauben Sie, weshalb ich Sie töten wollte. Und jetzt lassen Sie mich gehen, sonst werden Sie Mills nie wiedersehen."

Hansson konnte nicht anders, als Lockwood die ganze Zeit fassungslos anzustarren.

„Mr. Lockwood. Sie sollten wirklich über unseren Deal nachdenken. Ein solches Angebot bekommen Sie kein zweites Mal. Versauen Sie das nicht", gab Cardwell zu bedenken.

„Haben Sie eigentlich überhaupt getrauert, Lockwood?", fragte Hansson, ohne Cardwell zu beachten. Lockwood sah ihn überrascht an. „Ich habe das Gefühl, dass Sie sich gar keine Zeit zum Trauern genommen haben, sondern Ihre Trauer mit Wut ersticken. Sie müssen diese Wut loslassen, Professor."

Der Professor schüttelte den Kopf und atmete einmal tief durch.

„Oh ich habe getrauert, Hansson. Glauben Sie mir, ich habe getrauert – bis Sie mich aus dem Wald haben holen lassen. Damit hat alles angefangen. Hätten Sie mich doch einfach dort gelassen."

Die Weise, wie Lockwood seinen letzten Satz sprach, versetzte Hansson einen Stich ins Herz. Er hatte das Gefühl, dass es die erste ehrliche Aussage des Mannes war. Aus seinem tiefsten Inneren. In diesem kurzen Augenblick war er wieder er selbst gewesen. Nun saß er mit gesenktem Blick da und betrachtete seine Hände.

Im Strudel der Zeit - Auf Leben und TodWo Geschichten leben. Entdecke jetzt