︶꒦꒷𝕂𝔸ℙ𝕀𝕋𝔼𝕃𝟙𝟟꒷꒦︶

10 1 0
                                    

Der Tag war gekommen und ich befand mich wieder mit Roisin im Bus zum Reitstall. Sie war tatsächlich noch aufgeregter als ich - ich war zwar ebenfalls nervös, aber Roisin war regelrecht hibbelig. Sie rutschte hin und her und spielte ständig mit ihren Fingern. Es nervte mich beinahe, aber eben auch nur beinahe. "Meinst du, ihr werdet einen Ausritt zu zweit machen?", brabbelte sie vor sich hin, "Das wäre so romantisch! Vor allem am Ufer des Sees! Oder ihr habt ein Picknick im Heuboden! Oh Gott, das wäre ja noch süßer!" Ich schüttelte lachend den Kopf. Ganz sicher nicht. Ich würde mich nicht auf ein Pferd setzen und genauso wenig würde ich vor einem Menschen freiwillig essen. Und es gab ja auch immer noch die Chance, dass er mich nur eingeladen hatte, um mich auszuhorchen. Dass er mich interessant fand, weil ich anders war - hatte er heraus gefunden, wie anders ich war? Es wäre fatal. Und genau deswegen wollte ich Roisin wenigstens in meiner Nähe haben, dass sie mich retten würde, ohne das zu wissen wovor. Wir hatten ein Zeichen vereinbart, auch wenn sie nicht daran glauben wollte, dass er mir wirklich etwas tun würde. Aber ich wollte auf Nummer Sicher gehen.

Der Weg kam mir noch länger vor als beim letzten Mal. Dieses Mal nahm ich mir aber die Zeit, die Hügel zu betrachten, über die ich nur unlängst selbst galoppiert war. Jetzt waren es Pferde und Ponies, die hier rannten. Der Geruch von Regen und nassem Gras lag in der Luft und für einen Moment packte mich eine Euphorie, die man nicht beschreiben konnte. Vielleicht war es wirklich etwas schönes, die Welt auch aus einer anderen Perspektive kennenzulernen; nicht nur an Land zu kommen um zu jagen, sondern die Schönheiten der Welt zu entdecken.

"Da ist er schon!", Roisin stupste mich an, riss mich aus meiner Trance. Und tatsächlich war er da, lehnte sich ziemlich lässig gegen den Zaun und sah uns entgegen. Er wirkte ja noch nicht einmal recht sauer, dass ich meine beste Freundin mitgenommen hatte - wahrscheinlich hatte er es schon geahnt. Mit einem Mal wurde ich verlegen. Mein Herz begann schneller zu schlagen und mir wurde bewusst, was auf mich zukam, wenn es kein Verhör war, sondern tatsächlich ein Date. Unsere Mission war es, uns unter die Menschen zu mischen - ich war mir nicht sicher, ob es auch vorgesehen war, dass wir Bindungen eingingen. Vielleicht war das mit Roisin schon gefährlich nahe an der Grenze, aber wenn Cieran mich wirklich daten wollte und ich dem einfach so zugestimmt hatte, hatte ich die Grenze eindeutig überschritten. Für einen kurzen Moment machte es mir Angst. Aber ich stellte es aus, konzentrierte mich auf jeden einzelnen Schritt, bis ich direkt vor ihm stand. "Hey Niamh", lächelte er. Ich lächelte zurück, ein wenig verwundert, wie ausgetauscht er wirkte. Auch Roisin begrüßte er und auch zu ihr war er keineswegs unfreundlich. Im Gegenteil. "Wenn du magst kann ich meinen Vater fragen, ob in der Reitstunde noch ein Platz frei ist?", bot er ihr sogar an. Sie schüttelte den Kopf, loyal mir gegenüber; sie hatte es mir versprochen, dass sie sich nicht ablenken ließ. Dass sie irgendwo in meiner Nähe war, bereit einzuschreiten. Wir wussten beide, dass wenn sie auf einem Pferd sitzen würde, sie das ziemlich schnell vergessen würde. "Na dann, wollen wir mal", murmelte er.

Still liefen wir zu den Stallungen. Es war eine dieser Stillen, die man brechen wollte, weil sie unangenehm waren, man aber nicht wusste, was genau man denn sagen sollte. Roisin verabschiedete sich, weil sie ihr Lieblingspferd sah. Aine oder so hieß es. Wir hingegen gingen direkt auf die Stallung zu, in der ich mich letztens versteckt hatte. Ein schwarzes Pferd sah mir freudig entgegen. Arwen. Die Stute, die ich eingefangen hatte. Also war es eher ein Verhör. Sofort spannte ich mich an, nahm meine Umgebung besser war. Ich ließ ihn nicht aus den Augen und als er in seine Hosentasche griff um etwas herauszuholen, war ich schon bereit wegzusprinten. Aber er holte lediglich eine Karotte heraus, hielt sie mir auffordernd hin. Fragend sah ich ihn an. "Ich will nur testen, ob sie sich von jedem hätte einfangen lassen oder ob du Pferdeflüsterin bist", schmunzelte er. Zögernd nahm ich die Karotte, hielt sie der dunklen Stute hin. Sie schien meine Unsicherheit zu spüren, denn sie nahm mir die Karotte ziemlich sanft ab. Würden nicht Cierans Augen ständig auf mir liegen, würde ich mir wohl erlauben, etwas lockerer zu sein. Und dennoch strich ich Arwen über die Schnauze, lächelte unwillkürlich. Sie war so weich. Ob sich das bei mir ebenfalls so anfühlte? "Ich hatte Recht", Cieran zerstörte den Moment. "Womit?", fragte ich, zog meine Hand sofort zurück. "Dass du echt gut mit Pferden kannst", sagte er, als wäre es das offensichtlichste, was es so gab, "Wieso hast du das nicht erzählt?" "In welchem Kontext hätte ich das erzählen sollen?", gab ich recht schnippisch zurück, "Etwa, als du mich mit den anderen immer geärgert hast?" Ich bereute meine Worte noch in dem Moment, in dem ich sie ausgesprochen hatte. Doch heute hatte das Schicksal anscheinend Mitleid mit mir - oder nicht - denn dieser Typ, der aussah wie Cieran in älter, tauchte neben uns auf. Jetzt, wo die beiden nebeneinander standen, fielen mir doch einige Unterschiede auf. Erstens hatte der Unbekannte längere Haare. Und Tattoos. Er war größer und seine Gesichtszüge kantiger. Und er schaffte es doch tatsächlich, noch geheimnisvoller dreinzuschauen als sein kleiner Bruder. "Ah, du versteckst dich inzwischen wohl nicht mehr vor dem Trottel hier", grinste er nur, musterte mich und dann seinen kleinen Bruder, "Deine neue Freundin?" "Kian!", gab Cieran beinahe entsetzt von sich. Ich musste etwas lachen. Recht kreativ waren die Eltern ja nicht gewesen, was die Namensgebung anging. Cieran und Kian? War ja beinahe derselbe Name...
"Das ist Niamh, sie ist neu in der Schule", brummte der Jüngere der Beiden dann, stellte mich vor. Ich lächelte Kian an, nickte ihm zu. "Aha", meinte dieser nur, strich der Stute über den Kopf, schmunzelte dann: "Schön dich kennenzulernen, Niamh." Ohne auch nur ein weiteres  Wort zu sagen, verschwand er. Verwirrt blickte ich ihm hinterher. Wenn ich gedacht hatte, Cieran sei schwer zu durchschauen, war sein Bruder noch eine Nummer größer. Wie bitte konnten die beiden von einem so freundlichen Typen wie Robin abstammen? "Sorry für das", brummte der Dunkelhaarige, strich sich wieder durch die Haare, "er weiß manchmal echt nicht, wie er sich zu benehmen hat... Nur, weil ihm der Hof irgendwann gehören wird, führt er sich echt manchmal scheiße auf." Ich lächelte sanft: "Kann ich voll verstehen... Wir haben auch solche Probleme." Immerhin standen die Geschwistrige ständig im Wettstreit, wer der oder die nächste Älteste werden würde. Wahrscheinlich Suerra, eher noch Elax, aber nie und nimmer Oren. Cierans Augen lagen auf mir. Er hörte mir zu, völlig interessiert, obwohl ich nicht viel gesagt hatte. Und das ließ mich nicht gehört, sondern beinahe verhört fühlen. Es machte mich misstrauisch, dass er so auf mich fixiert war. Vor allem, weil es so plötzlich gekommen war, aus dem Nichts. Ich presste meine Lippen zusammen, sah mich etwas hilflos um. Niemand war hier, der mich retten konnte. Wo Roisin abgeblieben war, war mir auch nicht klar. Aber ich häte nicht erwarten dürfen, dass sie mich hier rausholen würde - wir waren immerhin am Pferdestall, es war voraussehbar gewesen, dass sie innerhalb Sekunden abgelenkt sein würde. Hier drinnen gab es nur Heu, Pferde und Cieran. Welcher mich noch immer intensiv musterte. "Willst du mal reiten? Ich kann es dir beibringen", schlug er vor. Für einen Moment entgleiste mir das Gesicht, ich verlor die Fassade, die ich ständig aufrecht hielt. Verlor meine Fassung. Reiten? Niemals. Nicht nur, weil es so geächtet wurde unter uns, ich würde mich niemals auf einen Pferderücken setzen. Erst recht nicht, wenn das unsere Art zu jagen war: Menschen auf unseren Rücken zu locken, nur um sie dann in die tiefen Gewässer zu locken. Schnell schüttelte ich den Kopf: "Danke, aber nein." Eine Erklärung gab ich ihm nicht, musste ich ja auch nicht. Aber ich spürte seine fragenden Blick auf mir, spürte seine Fragen, sie standen ihm deutlich ins Gesicht geschrieben. Wir sagten eine Weile beide nichts, schwiegen uns an. Nur das Kauen der Tiere um uns herum, das Scharren der Hufe und ab und zu ein schrilles Wiehern waren zu hören. Das Leben ging weiter, nur Cieran und ich hielten kurz inne. "Okay", sagte er dann, "Wie wärs mit einem langsamen Antasten?" Ohne einen weiteren Kommentar spazierte er weg - anscheinend in der Erwartung, dass ich ihm folgen würde. Für einen kurzen Moment überlegte ich, einfach wegzurennen. Aber er kannte sich hier besser aus als ich und bis der nächste Bus kam, der mich aus dieser Einöde wegbrachte, würde es noch Ewigkeiten gehen und er würde mich bis dahin finden. Also folgte ich ihm, betend, dass er nichts bescheuertes plante.

Das Monster in mirWhere stories live. Discover now