︶꒦꒷𝕂𝔸ℙ𝕀𝕋𝔼𝕃𝟚𝟘꒷꒦︶

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Wieder überlegte ich, ob ich einfach davon rennen sollte. Allerdings war das nicht so einfach, immerhin wohnte ich mit Karis zusammen - irgendwann würde er mich dran kriegen. Bevor er mich jede Sekunde meines Tages jagen würde, folgte ich ihm lieber freiwillig.
Groß baute er sich vor mir auf. "Niamh", ermahnte er mich; er verwendete doch tatsächlich nicht seinen Spitznamen für mich. Also war es ernst. "Will dieser Typ etwas von dir? Hat er dich irgendwie komisch angefasst oder so?"
Fassungslos starrte ich an - mir war sogar der Mund etwas aufgefallen. Denn Karis klang gerade ernsthaft besorgt. Wegen mir. Dass ich das noch einmal erleben durfte... "Eh-", machte ich, nicht sonderlich einfallsreich. Aber ich war einfach so überrumpelt von dieser Sorge, dass es mich völlig aus der Bahn geschmissen hatte. "Niamh", knurrte Karis beinahe und kam etwas näher, "hat er dir was getan?" Schnell schüttelte ich den Kopf: "Nein. Ich glaube zwar wirklich, dass er vielleicht etwas von mir will, aber er hat nichts getan. Und ich auch nicht, ich weiß ja nicht mal, ob wir das dürfen." Für einen Moment atmete er tief aus, dann nickte er kurz angebunden. Bevor er allerdings verschwand brummte er: "Dieser Typ ist echt ein wenig seltsam, also... pass einfach auf, okay?" Und dann ließ er mich einfach stehen. Völlig baff sah ich ihm nach, versuchte noch zu verdauen, was hier gerade passiert war. Karis war gerade nett zu mir gewesen. Hatte sich doch ernsthaft Sorgen um mich gemacht - vielleicht auch um uns alle, aber trotzdem - und er hatte nicht einen einzigen Moment irgendetwas auf mich geschoben. Halleluja, das war schräg.
Ich nahm mir noch einen Moment Zeit, dann ging ich zurück in die Cafeteria, ließ mich völlig fertig neben Roisin fallen. "Und?", fragte sie gleich, ihre Augen suchten nach Karis, der nicht mehr zu sehen war. "Du wirst es nicht glauben... Aber der hat sich Sorgen gemacht?", flüsterte ich ihr belustigt zu - und schaffte es, das ganze auch noch fragend klingend zu lassen. Roisins Augen wurden - erneut - tellerrund und für eine geschlagene Minute sagte sie gar nichts. Sie schloss und öffnete lediglich ihren Mund wieder. "Man, Niamh, du musst mir mal erklären, wie du das so machst- Die Jungs sind ja völlig hin und weg von dir, fehlt noch, dass die sich um dich schlägern. Oh- das wär so romantisch!" Oder eher ein Albtraum... Ich wusste nicht, wie Ari reagieren würde, wenn sie das erfuhr. Und ich wollte es auch nicht erfahren müssen. Entschlossen schüttelte ich meinen Kopf. "Ganz sicher nicht. Ich werde später noch mit Karis reden", brummte ich, schlug mein Aufgabenbuch wieder auf und tat so, als würde ich nachdenken. Tat ich auch, aber ganz sicher nicht über diese Aufgaben. Ich würde niemals den Mumm aufbringen, Karis auf das hier anzusprechen. Ebenso wenig würde ich mich trauen, irgendjemanden auf dieses Thema Liebe zu Menschen anzusprechen. Aber vielleicht konnte ich es schaffen, ein Gespräch mit Ari zu arrangieren.

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Nach der Schule verkroch ich mich in meinem Zimmer. Alle waren draußen und ich brauchte einen Moment nur für mich. Einmal zu atmen, einmal denken zu können, ohne dass es jemand für mich tat. Roisin setzte mir Gedanken in den Kopf, die sonst unergreifbar gewesen wären - und jetzt saß ich hier und versuchte nicht an die dunklen Locken zu denken. Nicht an das Funkeln in Cierans Augen. Nicht an die Grübchen, die immer dann auftauchten, wenn er mich frech angrinste. Aber es klappte einfach nicht, meine Gedanken landeten immer und immer wieder dort. Bei ihm. Er hatte eine Macht über mich, die mir nicht ganz gefiel. Weil ich es nicht verstehen konnte. Liebe war für uns immer etwas pragmatisches gewesen; wir verliebten uns nicht, wir versprachen uns. Eine Verbindung, die nichts mehr trennen konnte - es war eine Entscheidung, die man traf. Das hier fühlte sich nicht nach einer Entscheidung an. Es passierte einfach, ohne dass ich etwas zu sagen hatte.

Ich beschloss, mich etwas abzulenken. Und eingesperrt in einem Raum mit vier weißen Wänden funktionierte das sicher nicht. Zu nahe ans Wasser wollte ich allerdings auch nicht - ich wusste nicht, was es mir antun würde, mein trautes Heim so nahe zu sehen. Wenn ich mich doch seelisch immer weiter entfernte, ohne es wirklich zu wollen. Zumindest meine Regeln und Vorgaben ließ ich langsam hinter mir zurück; ich begann zu zweifeln, ob die Menschen wirklich die Bösen waren, ob sie unsere Jagd wirklich verdient hatten. Natürlich, unsere Opfer stiegen immer freiwillig auf unseren Rücken. Es sollte zeigen, dass sie gierig, faul und egoistisch waren. Gierig, weil sie ein solch schönes Pferd besitzen wollten. Faul, weil sie den Komfort auf dem Pferderücken über stundenlanges Schreiten stellten. Egoistisch, weil sie ihr eigenes Wohl über das Wohl des wilden Pferdes stellten. Aber wer würde nicht auf ein Pferd steigen, welches brav auf einen zugetrottet kam, wenn man schon am Ende seiner Kräfte war? Ich war mir ziemlich sicher, dass Roisin ebenfalls auf unsere Rücken steigen würde und sie war keineswegs gierig, faul oder egoistisch. Bei Cieran oder den anderen Mitschülern war ich mir nicht sicher, aber böse Menschen waren sie allemal nicht. Sie mordeten nicht, sie betrogen ja noch nicht einmal. Die Menschen hatten Gesetze, Regeln und so viele Moralen, dass ich immer noch hilflos überfordert war. Ein Seufzer entwich mir, als ich die Hütte verließ und in etwa die Richtung aufbrach, in welche ich vorige Nacht bereits aufgebrochen war. In Richtung Nichts. Denn das war es, was ich gerade um mich herum haben wollte. Nichts. Nichts, was mich ablenkte und zugleich nichts, woran ich denken musste. Ich vermisste es, einfach zu sein. Nichts zu hinterfragen, nicht ständig irgendwelche unnötigen Gedanken in meinem Kopf hin- und herzuschieben, denn es war verdammt ermüdigend. Immer und immer wieder schob ich die Gedanken weg und immer und immer wieder kamen sie. Es war zum Verzweifeln. Nichts wünschte ich mir sehnlicher als die Stille und Ruhe meiner Welt. Die Welt, die es so vielleicht gar nicht mehr gab.

Meine Finger strichen durch die Grashalme, versuchten so sanft wie möglich zu bleiben, während ich mich beinahe an ihnen festhalten wollte. Ein Brennen schoss durch meine Hand und fasziniert blickte ich auf die Stelle, an der ich mich geschnitten hatte. Zuerst war nur der weiße Strich zu sehen, dann bildeten sich winzige, kleine Bluttropfen, die sich dann zu einem ganzen formten und von meiner Hand auf den weißen Stoff meines Kleides fiel. Ich hatte noch nie geblutet. Zumindest konnte ich mich nicht daran erinnern, es jemals getan zu haben. Im Wasser hatten wir nicht bedingt eine Gestalt, demnach konnten wir nicht bluten. Und wenn wir doch eine Gestalt annahmen, dann waren wir unverwundbar. Das Land machte uns verletzlich - oder war ich dabei, meine Fähigkeiten zu verlieren? Ging das überhaupt? Konnte ich aus Versehen zu einem Menschen werden? Panik packte mich abrupt. Ich sprang auf, blickte mich hastig nach allen Seiten um und verwandelte mich, ohne länger darüber nachzudenken. Es brauchte einen Moment, bis ich es wirklich schaffte, aber ich blickte auf die Hufen, die mich nun trugen. Erleichterung durchströmte mich, ebenso heftig, intensiv und plötzlich wie die Panik zuvor. Ich war immer noch ich, mehr als das sogar. Vorsichtig stupste ich mit meiner Schnauze das Gras an, welches mich geschnitten hatte, spielte mit ihm und dem Wind. Ich war mehr als nur ein Mensch und etwas anderes konnte ich mir auch gar nicht vorstellen. Ich war ein Kind des Sees.

Das Monster in mirTahanan ng mga kuwento. Tumuklas ngayon