︶꒦꒷𝕂𝔸ℙ𝕀𝕋𝔼𝕃𝟙𝟜꒷꒦︶

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Am nächsten Morgen wachte ich noch vor dem Weckerklingeln auf. Ich streckte mich, strampelte die Decke zur Seite. Überraschenderweise fühlte ich mich ausgeruht – und das, obwohl wir die ganze Nacht unterwegs waren. Den kompletten See hatten wir umrundet. Er war einer von sieben Seen des Gebiets, die beinahe vollständig durch Flüsse und Unterwassertunnel verbunden waren. Meine Heimat aus einer anderen Perspektive zu sehen, war interessant gewesen. Es hatte mich daran erinnert, dass ich gar nicht so weit weg war von meinem Bruder, meiner Familie und dem Ort, den ich so liebte. Ich war immer noch genau hier wo ich hingehörte.

Beinahe motiviert schlüpfte ich in die Schuluniform, bändigte meine Haare in dem ich sie nach hinten flocht und ging in die Küche. Nur Sein war schon wach – wie immer. „Morgen", murmelt ich leise und stellte Wasser auf den Herd. „Guten Morgen, Niamh. Bist du bereit für heute?", fragte er und wie immer klang seine tiefe Stimme sanft. Ich nickte lediglich. Die Frage hatte mich leider daran erinnert, dass ich wieder mit Cieran zurecht kommen musste. Der Ausflug gestern sollte helfen, dass wir uns untereinander wieder verbunden fühlten. Ich fühlte mich zu meinem Zuhause und zu meiner Herkunft verbunden, aber ich ob ich dasselbe von Karis behaupten konnte, wusste ich nicht. Und selbst wenn er sich unserer Herkunft verbunden fühlten, hieß das leider noch lange nicht, dass er sich mir verbunden fühlte. "Es wird sicherlich gut werden. Dir hat das gestern gut getan, man sieht, dass du ein wenig Selbstbewusstsein davon bekommen hast", flüsterte er, legte mir kurz die Hand auf die Schulter. "Du bist stärker als du denkst, vergiss das nicht, Niamh."

Mit meiner Tasse Tee in der Hand und in eine Decke gewickelt saß ich auf der Bank vor unserer Hütte, mein Blick glitt am Ufer entlang. Unsere Hufabdrücke waren längst weggespült worden, gingen unter in Gras und Steinen. Aber sie waren da gewesen und das reichte, um mir ein Lächeln auf die Lippen zu zaubern. Ich war Teil davon gewesen und jetzt war es Teil von mir.

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Cecia ging an meiner Seite. Wieder überquerten wir die Felder zu der Bushaltestelle. Niemand sagte etwas. Tatsächlich hatte Karis mir noch nicht einmal einen komischen Blick zu geworfen, geschweige denn einen Kommentar von sich gegeben. Jui lief voraus, Karis dicht hinter mir. Cecia und ich waren das Schlusslicht. Für einen kurzen Moment hatte ich wirklich Hoffnung, dass uns der gestrige Ausflug zusammengeschweißt hatte - aber diese Hoffnung wurde ziemlich gleich zertrümmert. Denn in der Sekunde, in der ich mein Bein hob um in den Bus zu steigen, wurde ich von Karis gestoßen. Und wäre wahrscheinlich auch recht unelegant einfach hingefallen, wenn mich nicht jemand aufgefangen hätte. Dieser jemand entpuppte sich nur leider als Cieran. "Alles gut?", fragte er mich, wirkte beinahe besorgt. Hastig nickte ich und ließ mich auf den freien Sitz neben Roisin fallen. Tief holte ich Luft. Mit einem Mal war es schwer geworden zu atmen. Als hätte mein Körper Schwierigkeiten damit, dass ich nicht im Wasser war. Als wäre die Luft zu trocken für mich, als würde sie mich stechen. Denn es fühlte sich für einen Moment wirklich so an, als würde ich Sandkörner einatmen. Es war so heftig, dass es mir Tränen in die Augen rieb. Und genauso schnell wieder vorbei.

"Guten Morgen", trällerte Roisin, wie immer ein wenig übermotiviert. Sie lächelte. Wie man zu jeder Tageszeit so motiviert und fröhlich sein konnte, war ein absolutes Rätsel für mich. Aber es war tatsächlich ein wenig ansteckend, weshalb ich ihr ebenfalls ein Lächeln schenkte und mich gegen den Sitz fallen ließ. Die Müdigkeit kam erst jetzt. Bis wir an der Schule ankommen würden, konnte ich ja ruhig noch kurz meine Augen schließen...

Unsanft wurde ich aus meinen Träumen gerissen – Roisin rüttelte mich regelrecht. „Himmel, du schläfst tiefer als mein Onkel wenn er getrunken hat! Ist ja kaum zu glauben.. Auf jetzt!" Ich rieb mir über die Augen, nickte nur und folgte ihr. Beinahe wäre ich erneut über die Stufen gestolpert, aber ich erfing mich im letzten Moment noch. Elegant konnte es allerdings nicht ausgesehen haben, denn ich ruderte wild mit meinen Armen und taumelte am Boden noch zwei Schritte, ehe ich mein Gleichgewicht wieder gefunden hatte. „Herrje, alles gut bei dir?", lachte die Rothaarige vor mir, die sich wohl aufgrund meinen komischen Geräuschen zu mir umgedreht hatte – und sie schaffte es doch tatsächlich, gleichermaßen amüsiert und besorgt zu klingen. Auch ich musste über mich lachen. Das verging mir aber ziemlich schlagartig, als ich Cieran entdeckte, der am Rand des Schulhofes stand und mich eindringlich musterte. Ich starrte für einen Moment zurück, dann zog ich meinen Rucksack näher an meinen Körper und ging zum Unterricht, ohne ihn auch nur mit einem Blick zu würdigen.

Den ganzen Tag spürte ich diese grünen Augen auf mir. Ich wünschte, er würde seinen Fokus auf etwas anderes lenken, aber so war es nicht. Immer und immer wieder erwischte ich ihn dabei, wie er mich analysierte. Seine Augen brannten in meinem Rücken, beobachteten jede meiner Bewegungen, bis ich wirklich nicht mehr wusste, wie ich mich verhalten sollte. Und leider fiel es nicht nur mir auf. Roisin stupste mich nach der zweiten Stunde an, sah mich einfach nur fragend an – und natürlich wusste ich, worauf sie hinaus wollte, denn ihr Blick wich zwischen mir und Cieran hin und her, ständig mit einem Grinsen auf den Lippen. „Der hat sich jetzt wirklich in dich verknallt!", schmunzelte sie und fing gleich an, auf ihren Collegeblock Herzen mit den Buchstaben N+C zu malen. Worüber ich nur die Augen verdrehen konnte. Roisin sah überall und ständig Liebe, selbst wenn sie nirgends war. Ich musterte sie, während sie beschäftigt herum kritzelte. Ihre Stirnfransen schmeichelten ihr Gesicht, die roten Haare passten perfekt zu ihrem hellen Teint und zu ihren grünen Augen. Auch sie hatte diese wunderschönen Augen, wie Cieran und dieser Typ vom Reitstall, der wahrscheinlich Cierans Bruder war. Wie Robin. Wie Grae, wie so viele hier, obwohl grüne Augen doch so selten waren. Ich beneidete sie alle dafür. Meine Augen waren langweilig grau, beinahe eintönig mit meinem fahlen Erscheinungsbild. Roisin strahlte neben mir und ich redete nicht nur von ihrem Seelenleben. Sie war ein wenig mollig, aber dennoch eine Schönheit. Es wunderte mich, dass sie so oft alleine war – sie war einer der positivsten und freundlichsten Menschen, die ich kannte. Auch wenn ich nicht viele kannte, wusste ich doch, dass Roisin was besonderes war. Umso schräger war es für mich, dass Menschen sie nicht einmal wirklich zu wahrnehmen schienen. Aber sie schienen auf etwas anderes wert zu legen, etwas, was ich noch nicht verstand, etwas, was ich noch nicht gesehen hatte. Fragen konnte ich unmöglich, es wäre auffällig, seltsam.

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Die Mittagspause verbrachten Roisin und ich wieder in unsrem Busch. Die Blätter an meiner Haut zu spüren, Roisins Atem neben mir zu hören erinnerte mich mehr an zu Hause, als neben Nya im Bett zu liegen. Außerdem lag Roisins Handy in der Mitte und gab Töne von sich, die sich beinahe so harmonisch anhörten, wie unsere Stimmen es taten. Es sei klassische Musik, hatte sie mir erklärt. Meine Augen waren geschlossen und ich hörte einfach der Welt zu. Die Töne, die aus dem Handy kamen, der Wind, der durch die Blätter fegte, das entfernte Lachen und Geschrei unserer Mitschüler, die Autos, die eine Straße weiter weg fuhren... In diesem Moment fühlte ich mich nicht verloren. Im Gegenteil, ich fühlte mich geborgen, fühlte mich beschützt, als könnte mir nichts und niemand was anhaben, solange ich nur hier mit Roisin in diesem Busch sitzen konnte und lauschen konnte. Nicht aktiv hier zu sein aber doch alles mitzubekommen. Das war es, was ich immer gemacht hatte. Nicht zu existieren und doch irgendwie dabei zu sein, ein Teil von allem zu sein. Das war ich.

Das Monster in mirWhere stories live. Discover now