︶꒦꒷𝕂𝔸ℙ𝕀𝕋𝔼𝕃𝟟꒷꒦︶

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„Niefchen", hinter mir ertönte eine hämische Stimme, die ich nur Karis zuordnen konnte. Schnell drehte ich mich um, wollte ihn fragen, was er jetzt wieder wollte, doch bevor ich dazu kam... eiskaltes Wasser. Ich gab einen Laut von mir, der definitiv nicht normal war und schlug meine Arme um meinen Körper. „Wir waren uns einig, dass du eine Dusche nötig hast", lachte der Braunhaarige und klatschte mit den Jungs ein. Ich stand einfach nur da. Das Wasser tropfte an meinem Gesicht herab, ließ meine Klamotten und Haare wie eine zweite Haut an mir kleben. Es fühlte sich so vertraut an, aber zugleich verspürte ich nichts als Hass. Karis kam mir näher: „Und wenn du jetzt gleich zu Sein rennst, dann zieh dich mal lieber warm an, Niefchen..."
„Oh mein Gott, Niamh!", ertönte ein zweiter Ausruf und eine kurvige Rothaarige bahnte sich durch die Menschenmenge, zog sich ihren Blazer aus und legte ihn mir um. „Alles okay bei dir?", fragte sie, klang besorgt – nur um sich im nächsten Moment umzudrehen und Karis einen tödlichen Blick zuzuwerfen. Dann zerrte sie mich weg, weg von der Menschenmenge und den Menschen, die eigentlich auf mich hätten aufpassen müssen – Cecia und Jui, die am Rande des Geschehens standen.

„Was der sich erlaubt, also wirklich", zeterte Roisin ununterbrochen, während sie aus ihrer Handtasche eine Klappbürste zog und nun meine Haare kämmte, „Der ist wirklich, wirklich dämlich! Ich meine, sollten so – was auch immer ihr seid – nicht immer auf einen aufpassen? Männer sind wirklich eine einzige Fehlfunktion, was sowas angeht... Beschützen dich nur, wenn sie mit dir ins Bett wollen, weil sie dich als sein Besitz ansehen..." So ging es gefühlte Stunden. Eigentlich waren es nur Minuten, aber ich saß völlig apathisch auf dem Toilettendeckel, während Roisin sich um mich kümmerte. Karis hatte endlich die Möglichkeit, mir all das anzutun, was er nicht konnte, wenn Kocham bei mir war. Er hatte endlich freie Bahn. Das hier war nur der Anfang gewesen. Zugleich fragte ich mich, wie dämlich man sein konnte. Ich war mir ziemlich sicher, dass die Älteste absolut nicht zufrieden war, wenn sich Karis so verhielt. Immerhin sollten wir keine Aufmerksamkeit auf uns ziehen – mitten im Gang dem Mädchen, mit welchem man hergekommen war, mit einem Eimer Eiswasser zu überschütten, gehörte sicher nicht dazu.

„Ich sagte doch, Karis hasst mich. So richtig", murmelte ich dann leise, meine Stimme noch so zögerlich, als würde ich jeden Moment zerbrechen. Roisin zog mich auf. „Niamh, nein." Die Rothaarige zerrte mich vor den Spiegel, zwang mich, mich selbst anzusehen. Meine grauen Augen wirkten stumpf, aber es war nicht nur das – ich sah wortwörtlich wie ein begossener Pudel aus. „Erinnere dich, wer du bist. Wer du tief in deinem Herzen bist", flüsterte sie mir ins Ohr. Ein Funke, doch gleich darauf Unsicherheit. „Niamh, wiederhole meine Worte", sagte sie dann und klang doch tatsächlich ein wenig streng, „Ich bin Niamh." „Ich bin Niamh", flüsterte ich und wiederholte die Worte gleich noch lauter. „Ich bin Niamh und ich bin wunderschön. Niemand kann mir etwas anhaben, ich bin stark." Kurz sah ich sie gequält an. Ich hatte mir eine Verrückte als Freundin geangelt. „Ich bin Niamh und ich bin wunderschön. Niemand kann mir etwas anhaben, ich bin stark", wiederholte ich dann ihre Worte und wurde gegen Ende doch tatsächlich etwas lauter. Ich bin Niamh und ich bin ein Kind des Sees. Ich lasse mich nicht unterkriegen, vervollständigte ich den Satz in meinen Gedanken. Und dann lächelte ich. Meine verrückte Freundin hatte Recht. Als sie mein Lächeln sah, zog sie mich in ihre Arme und lachte ein wenig. „Niamh, wir zeigen es diesem Vollidioten. Auf unsere Art, okay?" Ihr Lächeln ließ mich tiefer sehen. Um Himmelswillen, ihr Seelenleben strahlte so farbig wie noch nicht zuvor. Fest biss ich mir auf die Lippe. Dieser Teil gehörte auch zu mir. Der animalische Teil, der nicht menschlich war. Eine Sekunde später und ich hatte mich wieder unter Kontrolle.

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Nach diesem Vorfall schafften wir es mit ein wenig Verspätung zurück in den Unterricht. Roisin in ihren Mathematik-Unterricht, ich in den Musikunterricht. „Ah, Ms. O'Dalaigh! Schön, dass sie auch noch kommen... Karis hat sie bereits entschuldigt", lächelte mich ein älterer Mann an. Mein Blick glitt gleich zu besagten Bösewicht, der mich breit angrinste. Neben ihm grinste dieser Cieran, an dem ich am ersten Tag gesessen hatte. Allesamt Idioten. „Na, wieder trocken?", grinste ein dritter Junge mich an, doch ich ignorierte alle drei und setzte mich auf meinen Platz. Tatsächlich wünschte ich mir nicht einmal mehr, mit Cecia und Jui in einer Klasse zu sein. Die beiden hatten immerhin rein gar nichts gemacht, als dumm dazustehen. Ich holte mein Musikheft aus der Tasche, lehnte mich dann zurück und sah, dass alle Blicke auf mir lagen. Was hatte ich denn jetzt verpasst? „Ms. O'Dalaigh, sind Sie anwesend?", der Musiklehrer blickte beinahe spöttisch drein. „Alles in bester Ordnung", nickte ich, errötete leicht. „Gut, dann können sie gleich nach vorne kommen und die Verse vorsingen." Gut, ich hatte absolut versagt. Vor der kompletten Klasse etwas vorzusingen? Wollte das Leben mich eigentlich testen? So langsam kam es mir nämlich nicht mehr nur nach einem Projekt vor, sondern nach einem riesengroßen Eignungstest. Und Spoiler: Ich war definitiv nicht geeignet. Zaghaft stand ich von meinem Stuhl auf und schritt nach vorne. Meine Kleidung war noch immer klatschnass, aber immerhin tropfte ich nicht mehr. Obwohl es ziemlich warm war, zog ich den Blazer nicht aus – das Hemd darunter war nämlich weiß. Und ich wollte wirklich nicht entblößt vor allen stehen. Der Lehrer drückte mir Notenblätter in die Hand. Tippte irgendetwas auf den Tasten herum. Sekunden später erschallte hinter mir eine Melodie. So laut, dass nicht nur ich zusammenzuckte. Angestrengt schaute ich auf die Buchstaben und Noten, die ich in meinen Händen hielt. Ich schloss meine Augen, dachte an Roisin. Ich bin Niamh und ich bin ein Kind des Sees. Ich kann das schaffen, flüsterte ich, ganz leise. Dann setzte ich die erste Note in den Raum, so klar, so richtig. Singen konnte ich – jeder von uns konnte es. Wir waren Kinder der See, es war in uns verankert, singen zu können.

Während ich sang, schaute ich Karis in meine Augen. Wenn das meine Rache war, wollte ich sie auch ausnutzen. Sanft bewegte ich meine Lippen und setzte das Lied genauso in den Raum, wie es gesungen werden sollte. Meine Stimme war meine Waffe – und das wusste Karis genauso wie ich.

Sobald ich die letzten Töne gesungen hatte, war es totenstill in meiner Klasse. Ein Blick zu meinem Lehrer und ich setzte mich wieder an meinen Platz, kritzelte in meinem Heft weiter. „Wow, das war- wollen Sie vielleicht dem Chor beitreten? Sie würden eine wundervolle Solistin abgeben.." „Sie singt nicht, wenn sie nicht muss", Karis Stimme weckte alle aus ihrer Trance. Seine Augen sahen mich streng an. Eine Warnung. Ich verstand sie. Sie war auch eindeutig. Sing nur, wenn du musst. Sing nur, wenn du auf der Jagd bist. Kurz nickte ich, dann driftete ich in meinen Gedanken wieder ab.

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Nach der Stunde kam Karis auf mich zu, wie ich es bereits befürchtet hatte. „Wir müssen reden. Jetzt", sagte er und zog mich in einen ziemlich schäbig aussehenden Raum. „Bist du von allen guten Geistern verlassen?", zischte er und drückte mich doch recht brutal gegen die Wand. Irgendetwas stach in meinen Rücken, doch ich traute mich nicht, ihn darauf aufmerksam zu machen. „Einfach so zu singen! Da kannst du dir ja gleich ein Plakat basteln auf dem steht ‚Ich bin kein Mensch'! Wir sollen keine Aufmerksamkeit auf uns ziehen!" Oh verdammt, er war wirklich wütend. Nicht nur ein wenig, so wie zuvor. Nein, er war kurz davor die Kontrolle über sich zu verlieren. Der Mörder in ihm schlummerte nicht weit unter seiner Oberfläche. Doch seine Wut schien auf mich überzuschwappen, ich konnte regelrecht spüren, wie mein Puls sich beschleunigte und das Blut schneller durch meine Adern floss. Für einen Moment sah ich rot. Dann drückte ich ihn mit aller Kraft zurück, trat einen Schritt von der Wand weg und holte tief Luft: „Und mich mitten im Gang mit Wasser zu überschütten zählt nicht dazu, auf uns aufmerksam zu machen? Du darfst so etwas, ich nicht? Wo liegt denn da die Fairness?" Meine Stimme klang schneidend, beinahe gefährlich. Der Braunhaarige öffnete gerade seinen Mund – als die Türe hinter ihm aufging und eine wütend aussehende Roisin hereinstürmte: mit einem hochgehobenen Atlas, bereit, mit ihm auf Karis einzuschlagen. „Du lässt Niamh sofort in Ruhe!" Völlig baff schaute ich meine Freundin an. Die Rothaarige wirkte immer so friedlich, so ruhig, so im Einklang mit sich selbst – dass sie so bedrohlich wirken konnte, war mir nicht bewusst gewesen. Ihr Seelenleben hüllte sie in einer dunklen Nuance ein und zum ersten Mal seit ich sie kannte, verspürte ich diesen zerstörenden Hunger nicht. Selbst Karis schien aus der Bahn geschmissen und schaute die kleine Rothaarige einfach nur perplex an. Kurz sah er mich noch warnend an, dann verließ er den Raum mit schnellen Schritten, beinahe so, als würde Roisin ihm Angst einjagen.

Ihre grünen Augen landeten auf mir. „Oh Gott, dieser Vollidiot! Ich nehme alles zurück, der steht nicht auf dich- hat er dir irgendetwas angetan?" Sie scannte meinen ganzen Körper ab und nahm mich gleich in ihre Arme. Zum ersten Mal erwiderte ich die Umarmung, zog sie eng an mich. „Danke, wirklich", lächelte ich. Da konnten die anderen drei sich noch anschauen – sie hatten vielleicht mehrere Freunde gefunden, doch ich bezweifelte, dass die so loyal waren, dass sie mit einem Buch auf jemanden losgehen würden. Und das fühlte sich wirklich gut an.

Das Monster in mirWhere stories live. Discover now