︶꒦꒷𝕂𝔸ℙ𝕀𝕋𝔼𝕃𝟙𝟛꒷꒦︶

9 2 0
                                    

Meine Flucht blieb leider nicht lange unbemerkt - und erst Recht nicht ohne Konsequenzen. Zuhause in der Hütte hielten mir Grae, Sein und Roux einen Vortrag, dass ich solche Situationen nicht einfach verlassen konnte. Man musste kommunizieren und sie beseitigen. Dass Karis definitiv Mitschuld daran war, dass unsere "Kommunikation" scheiterte, interessierte absolut keinen. Dieser ignorierte mich gekonnt. Das tat er normal auch, aber dieses Mal erfüllte es mich beinahe mit Paranoia. Vielleicht plante er irgendwas - denn ich wusste, dass er es nicht auf sich sitzen lassen würde, dass ich abgehauen war.

Abends aßen wir gemeinsam. Inzwischen konnten wir einige Bissen zu uns nehmen. Essen genießen tat kein einziger von uns. Wir quälten uns hier durch, weil wir versuchten, uns anzupassen. Sein räusperte sich. Wir ignorierten es alle - ich hatte es nicht so bemerkt, weil wir alle immer wieder komische Geräusche machten, um die Fischgräten hinunter zu kriegen - bis er sich erhob. Der Rothaarige war nicht gerade klein. Mit seiner Narbe sah ee auch nicht gerade ungefährlich aus. Aber wir kannten ihn gut, besser als das - er war absolut gut. Durch und durch einfach nur lieb. "Wie wahrscheinlich alle gemerkt haben, ist die Gruppendynamik ein wenig... nun ja, ins Schwanken geraten. Harmonie ist wichtig für uns, wir haben uns zu sehr von den Gefühlen der Menschen leiten lassen. Ich habe heute mit Elax gesprochen, um zurück zu unserem inneren Kern zu finden, werden wir nach der Dämmerung unsere zweite Gestalt annehmen. In ihr sind wie intuitiver. Mehr wir. Es wird uns gut tun." Er räusperte sich erneut. "Esst so gut ihr könnt, wascht eure Teller bitte selbst ab."

Es war unheimlich still. Niemand sprach, alle konzentrierten sich auf sich. Ich saß da, starrte auf meinen Teller. Zweimal erst war ich in meiner zweiten Gestalt gewesen, das hier war anders. Die zweite Gestalt anzunehmen hatten eigentlich einen einzigen Zweck: die Jagd, Fressen. Das hier war seltsam. Ari konnte so etwas doch nicht vorschlagen. Wusste sie überhaupt Bescheid davon? In letzter Zeit wurden viele Entscheidungen getroffen, die so anders als sonst waren. Die mich innehalten ließen, mich die Dinge anders sehen ließ. Ari verhielt sich anders. Vielleicht eine Endlife-Crisis, wie Kocham mir einmal zugeflüstert hatte. Aber vielleicht hatte sie im Alter einfach einen Sinneswandel gehabt. Ich wusste, wir sollten die Entscheidungen der Ältesten niemals hinterfragen, aber gerade konnte ich nicht anders.

-ˋˏ ༻❁༺ ˎˊ-

Wir standen im Dunkeln draußen, direkt am Ufer. Die Wellen berührten unsere Zehenspitzen und außer den Steinen und dem Sand, welcher immer wieder vom Wasser weggeschwemmt wurde, war nichts zu hören. Außer vielleicht unser Atem. Nya stand neben mir, ihr Atem ging schneller als sonst. Auch meiner war hektischer, beinahe panischer. Ich wusste nicht, wie genau ich so bewusst in meine zweite Gestalt schlüpfen konnte und das jagte mir Angst ein. Denn niemand sonst schien unwissend zu sein, alle wirkten gelassen, erfreut beinahe. Es schien ein Kommando zu geben, welches ich nicht kannte, denn mit einem Mal machte Lowen einen Schritt nach vorne und im nächsten Schritt war er in seiner zweiten Gestalt. Sein weißes Fell leuchtete beinahe im Mondlicht, spiegelte sich im dunklen Wasser unter ihm. Auch die anderen verwandelten sich ohne auch nur eine Sekunde zu zögern - nur ich nicht. Einen Moment blieb ich stocksteif stehen, bewunderte die anmutigen Gestalten um mich herum, festgefroren in meiner menschlichen Gestalt.
Und dann ging es ganz einfach. Einen Schritt ins Wasser und mein Körper veränderte sich ebenfalls. Alles knisterte und die Welt um mich herum wurde kurz schwarz, bis sich meine komplette Sicht veränderte. Alles war viel schärfer, detaillierter. Ich konnte die Fische sehen, die zwei Meter von uns entfernt im Wasser schwammen, wie sie Teil des Wassers waren und sich immer wieder neu mischten. Ich bekam beinahe Sehnsucht danach, auch einer von ihnen zu sein. Mit ihnen sicher im Wasser zu sein, meine Kreise zu drehen und mich den Algen niederlegen um ein bisschen Ruhe zu bekommen. Stattdessen stand ich hier, zwei Hufen im Wasser, zwei auf dem Land und war in einer Gestalt, die mir beinahe völlig unbekannt war.

Das Wasser des Sees spiegelte auch mich. Es war für mich schon seltsam gewesen, mich im Spiegel zu sehen, doch ein Wesen zurückblicken zu sehen, welches einem Pferd sehr nahekam, war noch seltsamer. Mein weiß-grauliches Fell spiegelte das Mondlicht ebenso gut wie das Fell von Nya und Lowen, wobei meines beinahe silbern glänzte. Meine Mähne war so lang, dass sie ins Wasser hing, doch sie wurde nicht nass. Wir waren eins mit dem Wasser, das spürte ich in jedem Knochen meines Körpers. Vorsichtig trat ich noch einen Schritt ins Wasser, schnaubte zufrieden aus. Ich blickte mich um, nahm alle meines Stammes wahr. Es war leicht jeden zu erkennen. Karis erkannte man vor allem daran, dass er bereits energisch am Ufer entlang trabte. Sein Fell war so dunkel, dass er beinahe in der Nacht verschwunden wäre, würde der Mond heute nicht so voll leuchten. Vollmond war nahe – und wir würden wieder älter werden. Jui und Cecia wirkten nicht nur in Menschengestalt wie ein ungleiches Duo, auch in zweiter Gestalt wirkten sie so unterschiedlich wie Tag und Nacht. Während Jui ebenfalls fast eins mit der Dunkelheut wurde, leuchtete Cecia beinahe golden. Grae und Roux wirkten beinahe einheitlich grau. Am allermeisten hob sich Sein von uns ab. Er war fuchsrot und seine Augen leuchteten sogar in der Dunkelheit unmenschlich blau. Ich wusste genau, dass rote Haare bei uns, den Kinder des Sees, recht ungewöhnlich waren – wir hatten alle eher aschige, eintönige Haarfarben. Aber Sein hatte tiefrote Haare, jetzt auch rotes Fell. Es war magisch, uns so zu sehen und teil zu sein. Wenn man uns ansah, wusste man, dass wir etwas Besonderes waren.

Sein und Roux trabten voran. Der Rest folgte. Vom ersten Schritt an hatte ich mich sicher gefühlt. Da war kein Zweifel in mir. Diese Gestalt hatte keine Unsicherheiten, keine Schwierigkeiten. Ich hatte keine Probleme, mit den anderen mitzuhalten. Das Wasser spritzte an meinen Beinen hoch, war eine angenehme Abkühlung. Wir liefen am Ufer entlang, immer wieder ein paar Schritte ins Wasser. Im Schutz der Nacht konnten wir das sein, was wir wirklich waren. Mit jedem Schritt vorwärts fiel ein Teil meiner Sorgen ab, bis ich einfach nur mehr lief.
Auf einer geraden Strecke galoppierte Roux einfach an – und ich zögerte keine Sekunde, ich rannte mit. Der eiskalte Wind der Nacht strich durch meine Mähne, doch es machte mir nichts aus. Im Gegenteil, es fühlte sich einfach fantastisch an. Meine Augen waren auf die Hügel vor mir fixiert, die Sterne über mir und das Wasser unter mir. Ich war im Hier und Jetzt und noch nie hatte sich etwas so gut angefühlt. Ich vergaß sogar für einen Moment, wer ich war.

Das Monster in mirOnde histórias criam vida. Descubra agora