︶꒦꒷𝕂𝔸ℙ𝕀𝕋𝔼𝕃𝟛꒷꒦︶

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Die zweite Schulstunde war genauso unangenehm wie die erste. Ich gewöhnte mich einfach nicht an den Stress, den sich die Menschen selbst machten und konnte auch nicht abschalten, dass mein Instinkt jeden Menschen auf Seelenleben abscannte. Ich war fertig. Wollte nur noch nach Hause. Mich zu meinem Wasserfall begeben, in meinen Algen verstecken, zu einer neuen Ecke des Loughs schwimmen. Aber ich konnte hier nicht weg. Obwohl er es niemals zugeben würde, aber ich spürte Karis Blick auf mir. Immer und immer wieder.

Gerade schrieb ich Jahreszahlen von der Tafel ab - wir hatten Geschichtsunterricht - da ging die Türe erneut auf. Einfach so, ohne ein Klopfen. Dabei wusste ich bereits, dass das für Menschen üblich war. Ein Junge trat ein. Während die Lehrerin mit ihm schimpfte, musterte ich ihn genaustens. Er strahlte etwas aus, das ich nicht ganz deuten konnte. Was mir allerdings als allererstes ins Gesicht sprang, war sein Seelenleben. Tief, lebendig und verlockend. Fest biss ich mir auf seine Lippen. Verdammt, ich führte mich ja beinahe auf, als hätte ich mich seit Monden nicht mehr genährt. Dabei hatten wir vor unserer Ankunft an Land ein Mahl, welches genau diese Gier unterdrücken sollte.

Es war allerdings nicht nur sein Seelenleben oder seine Ausstrahlung, die meine Augen an ihm kleben ließen, nein, er war verdammt hübsch. Schwarze Locken fielen ihm ins Gesicht, verdeckten die markanten Gesichtszüge. Und dann schauten grüne Augen direkt in meine. "Sieht wohl so aus, als wärst du meine neue Sitznachbarin", brummte er, ließ sich neben mich fallen. Ich erstarrte. Wie bitte? Aber tatsächlich, es war der einzige noch freie Sitzplatz in diesem Raum. Ich verfluchte Karis, dass er nicht neben mir sitzen geblieben war und hielt meinen Stift ein wenig fester.
Der Junge sah mich einfach an. Er versuchte ja nicht einmal, das zu verstecken. Dennoch blieb er still - und ich tat es ihm nach.

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Nach der fünften Unterrichtsstunde verstand ich, weshalb die Menschen ständig auf die Uhr schauten - es war ja kaum auszuhalten. Und zum ersten Mal war ich erleichtert, die schrille Klingel zu hören, auch wenn ich mich wieder erschrak. Was der Junge neben mir mit einem amüsierte Schnaufer kommentierte. Drei Stunden hatten komplett gereicht, um ihn einzuordnen: Schlimmer als Karis. Definitiv. Weshalb ich jetzt auch einfach meine Sachen zusammenpackte und zu Karis schritt. Der war allerdings damit beschäftigt, eine der drei Blondinen um den Finger zu wickeln - im wahrsten Sinne des Wortes, denn er wickelte ihre Haarsträhne darumherum. Ihre kaputt aussehende Haarsträhne, wie mir auffiel. Konnten Menschen sich denn nicht um sich selbst kümmern? Ich war verwirrt. Immerhin sahen sie doch sonst so gepflegt aus. "Karis?", fragte ich beinahe ein wenig ungeduldig. Der ignorierte mich komplett. Genauso wie die Blondinen. Und Ben. Na dann... Jui und Cecia würde ich inmitten dieser Menschenmenge niemals finden. Da half nur eines: einen ruhigen Platz suchen.

Ich hatte eine Regel: Wenn ich eine Menschenmenge sah, bewegte ich mich in die entgegengesetzte Richtung. So landete ich in einem Busch am Rande des Schuldgeländes. Ich kauerte mich mitten zwischen Ästen zusammen, schlang meine Arme um meine herangezogenen Beine und wartete einfach ab. Essen wollte und konnte ich nichts. Ob ich diese Dinge, die die Menschen in ihren Boxen oder den Tellern hatten, essen konnte, wusste ich nicht und Elax hatte es uns mehr oder weniger verboten. Er meinte, unsere Körper müssten sich erst daran gewöhnen, solche Nahrung zu uns zu nehmen. Aber wir müssen es trainieren, es würde Fragen aufwerfen, wenn wir nie etwas essen würden - weshalb Sein auch nach der Arbeit immer einen Kochkurs belegte und uns in der Hütte Abends mit neuen Gerichten verwöhnen würde. Ob verwöhnen hier das richtige Wort war, war mir noch ein wenig unklar.

Ich wurde jäh aus meinen Gedanken gerissen, als die Zweige auseinander gebogen wurden und ein Mädchen mich erschrocken ansah. Wahrscheinlich sah ich genauso erschrocken zurück, denn mein Herz war für einen Moment stehen geblieben. "Das- das ist mein Busch", flüsterte das Mädchen ein wenig perplex. Dann quetschte sie sich einfach zu mir, setzte sich neben mich. Sie war klein, hatte rotbraune Haare, eine Brille und sah ziemlich genauso aus, wie ich mich fühlte - etwas verloren und verlegen. "Dein Busch?", fragte ich ein wenig blöd zurück. Sie nickte, musterte mich. "Du bist neu hier, oder? Eine aus dieser Gruppe?", fragte sie, lehnte sich an den Stamm. Unsere Schultern berührten sich, doch ich schreckte nicht zurück. Nähe war für uns etwas normales - wir waren alle eher recht zuneiglich. Was die Berührung allerdings auslöste war, dass ich noch einen viel besseren Einblick auf ihr Seelenleben hatte. Sie blühte regelrecht, allerdings waren da verkümmerte, dunkle Stellen. Kurz nickte ich, schloss die Augen. Die Befragung war allerdings noch nicht fertig. "Wieso bist du nicht bei deinen Freunden? Die haben sich schon gut integriert, alle reden über euch", setzte das rothaarige Mädchen nun und zupfte sich ein Blatt aus den Haaren. Ich zuckte mit den Schultern. "Du bist nicht so gesprächig, oder? Ist ja auch okay... Ich bin übrigens Roisin", lächelte sie und streckte mir ihre Hand hin. War das eine Falle? Dabei war ich es doch, die die Fallen legen sollte... Aber nein, sie hatte ein reines Herz. Außerdem - wer würde mir denn schon freiwillig in einen kratzigen Busch folgen. "Niamh", hauchte ich meinen Namen und schüttelte ihre Hand.
"Schöner Name", meinte sie und lächelte mich noch immer so seltsam an. Nach kurzer Zeit der Stille räusperte sie sich. "Ich versteh schon, du willst gerade deine Ruhe haben... Aber wir könnten Freunde werden und ich helfe dir, dich hier zurechtzufinden?", bot sie nun an. So sehr ich es mir wünschte, einfach alleine zu sein, nickte ich nun. Es war immerhin unsere Aufgabe, Freunde zu finden. Und ich sehnte mich auch ein wenig danach, gehalten zu werden. "Gut, dann bin ich jetzt leise und bringe dich nacher zu dem Klassenraum", sagte sie und fummelte ein zerknittertes Heft aus ihrer Hosentasche. Ein Zeichenheft, wie ich ziemlich gleich herausfand, denn sie holte einen Stift und sofort entstand eine Figur auf dem Papier. Sie zeichnete göttlich. Minimalistisch und doch brachte sie mit nur einer Farbe ein aussagekräftiges Bild auf das Papier.
Für einige Minuten sah ich ihr einfach dabei zu, dann lehnte ich meinen Kopf am Stamm an und schloss meine Augen.

An Schlaf war nicht zu denken - wenn das Bett schon unmöglich gewesen war, war es hier noch schlimmer. Nichts erinnerte mich an meine Schlafstätte, alles war anders. Zu laut, zu hart, zu warm. Aber ich war erschöpft und ein wenig zu dösen war besser, als den Nachmittagsunterricht bereits müde anzutreten. Ich konzentrierte mich auf zwei Geräusche - den Wind, der durch die Blätter dieses Busches strich und das Plätschern der Trinkfontäne, die immer wieder benötigt wurde.

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"Niamh, wir müssen los, sonst kommen wir zu spät!", meinte Roisin, die bereits aufgestanden war und mir durch die Blätter durch die Hand hinstreckte. Vermutlich, um mir aufzuhelfen. Da ich noch immer ein wenig unbeholfen auf den Beinen war, griff ich auch liebend gerne danach und zog mich auf, lächelte sie dann sanft an.
Still liefen wir nebeneinander zum Sportunterricht. Sie war eine Stufe unter mir, aber sie hatte es sich wohl wirklich fest genommen, mich überall hinzubringen. "Wir sehen uns dann morgen", lächelte sie und zog mich in eine Umarmung. Ich war wirklich nicht gerade groß im Vergleich zu allen aus meinem Stamm, aber Roisin reichte mir gerade bis zur Schulter. Ihre Herzlichkeit schwappte auf mich über und für einen kurzen Moment spürte ich, wie ich nach ihrem Seelenleben greifen wollte. Es aus ihr herausreißen wollte, mich daran nähren. Abprubt ließ ich sie los. Sie nahm es mir nicht böse, sie ging einfach lächelnd.

"Da bist du ja!", ertönte Cecias Stimme hinter mir - sie klang beinahe aufgebracht. "Karis meinte, er hätte dich nicht mehr gefunden! Glaub mir, ich hab ihn sowas von zur Sau gemacht, weil der dich alleine gelassen hat!", ihre Stimme war hektisch und sie legte den Arm um mich, strich sanft über meine Wange, vergewisserte sich, dass ich in Ordnung war. "Alles gut, Cecia", lächelte ich, "ich habe eine Freundin gefunden." Die ich bereits umbringen wollte, dachte ich mir. Wie, wie hatte sich die Älteste vorgestellt, dass wir normal mit ihnen befreundet waren, wenn alles, an das ich denken konnte, meine Gier war?

"Eine Freundin? Das ist ja schön!" Cecia klang erstaunt. Mich wunderte es ebenfalls ein wenig - immerhin war ich nicht gerade sehr freundlich zu Roisin gewesen. Vielleicht war es doch eine Falle? Aber bevor ich noch weiterhin darüber nachdenken konnte, hakte sich die blonde Cecia bei mir um und zog mich in die Umkleidekabine. "Wir haben jetzt Sport."

Das Monster in mirWhere stories live. Discover now