︶꒦꒷𝕂𝔸ℙ𝕀𝕋𝔼𝕃𝟙𝟙꒷꒦︶

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Das Pferd war direkt vor mir stehengeblieben. Völlig abrupt, wie die Spuren auf dem beinahe matschigen Untergrund bezeugten. Es hatte den Kopf gesenkt, stupste mich mit seiner Schnauze beinahe fordernd an. Noch immer war ich stocksteif, traute mich nicht, mich irgendwie zu bewegen. Meine Augen waren vorhin noch geschlossen gewesen, um mich selbst zu schützen, um mich auf meine Geräusche zu konzentrieren. Jetzt hingegen waren sie weit aufgerissen, betrachteten das schwarze Pferd vor mir. Wenn ich es nicht besser gewusst hätte, hätte ich ihn sogar als einen von uns anerkannt. Es wirkte stärker und anmutiger als die Ponys, die gerade in Roisins Reitstunde waren, hatte etwas beinahe majestätisches. Die Mähne war seidig und lang, kitzelte mich an meinen Händen. Vorsichtig streckte ich diese nach ihm aus, strich die langen, schwarzen Haare zur Seite. Leise schnaubte das Pferd, senkte den Kopf noch weiter.

Viel länger konnte ich den Moment nur leider nicht genießen – denn ein zerfetzt aussehender Cieran rannte auf uns zu. Zerfetzt im wahrsten Sinne des Wortes: Sein Shirt war wirklich in Fetzen gerissen und ich würde lügen, wenn ich sagen würde, dass ich nicht kurz auf seinen nackten Oberkörper schielte. „Niamh", stieß er ein wenig verwundert aus, sah mich und dann das Pferd beinahe entgeistert an. Dann hielt er das Halfter hoch. Unwillkürlich zuckte ich zurück – ein Halfter war das absolut schlimmste, was uns passieren konnte. Würde man es uns – in unserer anderen Gestalt – umlegen, würden wir für immer zahm an diese Person gebunden werden. Aber das Halfter galt nicht mir, sondern dem schwarzen Pferd, wessen Blick noch immer auf mich gerichtet war. „Arwen macht immer solche Faxen", murmelte Cieran. Irgendwie konnte ich ihm ablesen, dass es ihm doch tatsächlich unangenehm war. Was genau ihm hier unangenehm war, wusste ich nicht. Dass sein Pferd ihm abgehaut war? Dass ausgerechnet ich sein Pferd, Arwen, gestoppt hatte? Oder dass sein Shirt nur mehr in Fetzen von ihm hing und auch seine Hose einige Grasflecken aufwies? „Arwen?", fragte ich leise nach und sah zu, wie Cieran dem schwarzen Pferd das Halfter über den Kopf zog und schloss. Ich schauderte. Es schüchterte mich doch tatsächlich ein, dass er das so einfach aussehen ließ. Niemals durfte er mich in meiner zweiten Gestalt erwischen, keinen von uns. „Arwen, ja. Das heißt sowas wie die edle Dame... Sie ist der ganze Stolz meines Vaters, wenn die erfahren, dass sie mir ausgebüxt ist..." Auffordernd sah er mich an, niemand von uns rührte sich, nicht einmal Arwen. Die schwarze Stute stand still da, dann stupste sie mich erneut an. „Keine Angst, von mir erfährt niemand etwas", murmelte ich, strich über den kleinen weißen Fleck, welcher auf Arwens Schnauze war. Cierans grüne Augen lagen auf mir, er musterte mich genaustens. Für einen Moment war es totenstill, wenn man von dem Wind absah, der durch meine langen Haare fuhr, sie in mein Gesicht wehte. „Wie zur Hölle hast du es geschafft, Arwen zu stoppen? Sie war total panisch, sie hätte einfach alles umgerannt." Ich sah ihn an, für einen Moment unwissend, was ich sagen sollte. Dann lächelte ich einfach, drehte mich um und ging zurück zum Stall, wissend, dass der Junge eindeutig auf meine Antwort wartete und mir folgen würde. Ich hatte etwas gegen ihn in der Hand, vielleicht würde es ihn dazu bringen, in Zukunft anders zu mir zu sein.

Die restliche Reitstunde hielt ich mich in einer der drei Stallungen auf, versteckte mich mehr oder weniger im Heu. Vor Cieran, der mich vielleicht suchte. Ich war keine gute Lügnerin und wahrscheinlich würde ich stottern, wenn ich nach einer Ausrede suchte, die nichts mit meinen übernatürlichen Fähigkeiten zu tun hatte. Denn mir fiel keine ein – Cieran hatte Recht, Arwen hätte alles umgerannt. Sie war blindlings den Weg entlang gerannt, sogar ich hatte ja für einen Moment gedacht, dass es mit mir gleich vorbei war.

Ich lehnte mich einfach zurück, schloss die Augen. Das Heu kitzelte in meiner Nase, beinahe hätte ich nießen müssen. Aber dennoch war es kein unangenehmes Gefühl, hier im Heu zu liegen. Es ließ einen ähnlich einsinken wie Wasser, umschlang einen genauso. Nur, dass es kitzelte und ein eher raues Gefühl auf der Haut war. Es war eine Umarmung, aber nicht so sanft. Ich genoss es, hier zu liegen, mich vor der Welt verstecken. Niemand war hier, niemand aus meiner Klasse, niemand aus meinem Stamm, ich war alleine und konnte mich einfach auf mich konzentrieren. Darauf, wie sich mein Brustkorb mit jedem Atemzug hob und senkte. Wie sich meine Haut unter meinen Fingerspitzen anfühlte. Darauf, wie meine Haare in meinem Gesicht lagen. Und schlussendlich darauf, dass irgendwas meinen Fuß anstieß. Ich schreckte hoch, sprang mehr oder weniger ja schon auf und blickte direkt in grüne Augen. Es hätten Cierans sein können, aber sie waren einen Ticken grauer. Auch die schwarzen Locken waren beinahe identisch, nur länger. Dieselben Gesichtszüge, nur ein wenig markanter. Und Zeichnungen auf der Haut. Die Familienähnlichkeit war unverkennbar. Ich hatte nur nicht gewusst, dass Cieran einen Bruder hatte.

Verlegen lächelte ich, strich das Heu von meinem Körper. „Hey-", setzte ich an, strich dann durch meine Haare und seufzte, als auch darin noch Heu war. „Hey", schmunzelte mein Gegenüber. Verdammt, er hatte genau dasselbe schelmische Grinsen. „Versteckst du dich vor irgendetwas?", fragte er, stützte sich auf eine Heugabel. Wahrscheinlich wollte er Heu holen – und ich lag hier einfach, halb dösend. Peinlich. „Ich warte nur auf meine Freundin", gab ich zurück. Und verstecke mich vor deinem Bruder, fügte ich in meinen Gedanken zu. „Aha." Die grünen Augen musterten mich, genau wie Cieran mich zuvor auch gemustert hatte. „Na, dann solltest du zurück zum Reitplatz, die Stunde ist gleich vorbei", erinnerte er mich an die Uhrzeit. An die Uhrzeit, an die ich mich noch immer noch gewohnt hatte. Dass die Menschen sogar die Zeit abmaßen, wie lange sie auf den Pferden saßen. Dass sie sich so nach einer ausgedachten Zeit richteten, nicht danach, was ihr Herz ihnen sagte.

Am Reitplatz lehnte ich mich gegen den Zaun, sah Roisin zu, die gerade vor Freude juchzte. Sie galoppierte, Runde für Runde. Und ich musste ehrlich sagen, es sah toll aus. So freudig hatte ich Roisin noch nie erlebt und das bedeutete etwas. Ich war einfach nur froh, dass ich weit genug weg war, denn ich konnte bereits von hier ihr Seelenleben aus ihr herausspringen sehen. Die Farben vibrierten bis hierher, aber der Abstand machte die Situation besser. Allerdings wurde die Lust, dieses Gefühl ebenfalls zu spüren groß. Einfach zu rennen. Zu fliegen. Aber es durfte nicht sein. Das wusste ich. Bei der nächsten Jagd vielleicht. Aber ob es eine Jagd geben würde, während wir hier unter den Menschen waren, war sehr bedenklich. Immerhin durfte nichts Komisches passieren, was auf uns zurückgeführt werden konnte. Sonst waren wir nämlich nicht existent, konnten also nicht verdächtigt werden. Jetzt waren wir inmitten von ihnen, also war es auch möglich, dass wir in die Schusslinie kamen.

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Wohlig kuschelte ich mich in die Decke, zog meine Beine näher an meinen Körper. Mein Blick ruhte auf dem See vor mir. Ich hatte gemerkt, dass ich besser schlief, wenn ich mir ein paar Minuten Zeit nahm und mich auf das Wasser konzentrierte. Auf den Teil in mir, der hier an Land zu kurz kam.
Die Luft, die hier so viel klarer war wie an der Schule oder im bewohnteren Teil der Stadt.
Der Wind, der einen leicht salzigen Geschmack hatte, immer mit einem bisschen Meer im Gepäck, obwohl ich an einem Süßwassersee saß.
Das Schwappen der Wellen, wann immer sie an das Ufer geschwemmt wurden.
Das Klappern der Steine und das Rieseln des Sandes.
All das war ein Teil von mir. Und ich liebte diesen Teil. Aber da war dieses seltsame Gefühl in meiner Bauchgegend, welches mich nicht in Ruhe ließ. Was, wenn wir die Monster waren? 

Das Monster in mirWhere stories live. Discover now