︶꒦꒷𝕂𝔸ℙ𝕀𝕋𝔼𝕃𝟞꒷꒦︶

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Am nächsten Morgen wachte ich noch vor dem schrecklichen Wecker auf. Ausgeschlafen fühlte ich mich allerdings überhaupt nicht, im Gegenteil: Ich bekam vor Schmerzen im ersten Moment keine Luft. Nya hielt mich so fest, dass es mir das Blut in meinen Armen abschnürte und der Druck auf meiner Lunge machte es schwierig zu atmen. Mühsam kämpfte ich mich aus der Umarmung, strich meiner älteren Schwester durch die Haare und zog die Decke über sie. Im Schlaf sah sie genauso jung aus wie ich, nichts würde darauf hindeuten, dass wir nicht dieselbe Person war. Wären da nicht meine Sommersprossen, die uns deutlich unterschieden. Was eigentlich utopisch war, dass ich die Person mit Sommersprossen war, immerhin hatte meine Haut so gut wie noch nie Sonne abbekommen...

Ich genoss die Zeit, in der alle noch schliefen und ich alleine im Haus war. Die Ruhe tat mir gut, ließ mich zu mir selbst kommen. Im Bad machte ich mich frisch, bereitete mich für den Tag vor, in der Küche machte ich Tee. Irgendwie musste ich mich ja dazu bringen, etwas menschliche Nahrung zu mir zu nehmen. Immerhin war ich gestern eine der einzigen gewesen, die etwas geschluckt hatte und auch in sich behalten hatte – Cecia musste sich nämlich noch übergeben. Unsere Körper waren einfach nicht so dafür geschaffen. Umso mehr dachte ich an den Triumph, wenn ich die erste wäre, die komplett unter den Menschen verschwinden würde. Auch wenn die anderen es gestern nicht als etwas Positives gesehen hatten, dass ich es schon konnte, hielt ich mich an Mamas Worten fest. Sie waren nur neidisch, weil ich etwas besser konnte, weil ich etwas hatte, was sie nicht hatten.

Mein Blick lag auf der Tasse vor mir. Das Wasser färbte sich langsam braun und ein sanfter Geruch breitete sich im Raum aus. Es roch beinahe nach der Paste, die mein Vater immer auf die Wunden strich, wenn sich einer von uns verletzt hatte. Ich schloss meine Augen und erinnerte mich an unser Wohnzimmer, in dem mein Vater die Paste anrührte. Wie er sich zu mir umdrehte und sagte, dass alles wieder gut werden würde. Ja, alles würde gut werden, auch wenn ich noch nicht wirklich daran glaubte. Irgendwann würde ich zu meiner Familie zurückkehren. Zurück ins Wasser, wo ich auch wirklich hingehörte. Zurück in meinen Körper.

Nach und nach wachten die anderen auf. Sein setzte sich neben mich, musterte alle anderen streng. Er wirkte wie ein Vater, jemand, der das Sagen hatte. Irgendwo hatten er und Roux auch das Sagen – sie waren die ältesten. Außerdem waren sie auf Papier unsere Vormünder, unsere Erziehungsberechtigten. Dass die Menschen so etwas auf Papier festhalten mussten war einfach nur seltsam. Eltern waren doch Eltern... Jui sah mich nicht an, mied mich. Cecia hingegen lächelte mir aufmunternd zu. Niemand sagte ein Wort, es war totenstill. Bis auf das Rascheln von Papier, von Klamotten und den Vögeln. „Schafft ihr es heute alleine zur Bushaltestelle?", fragte Sein mit einem Blick auf sein Handy, „Man braucht mich heute früher bei der Arbeit." „Ist doch nur die Straße runter", brummte Karis, griff nach seiner Tasche und sah uns abwartend an. Jui und Cecia erhoben sich unisono und auch ich stand auf. „Lasst uns diesen Tag besser machen", verkündete die Blondine fröhlich und schritt durch die Türe. Ihre beste Freundin sah sie so entsetzt an, als hätte sie verkündet, dass wir uns vermählen sollen. Kopfschüttelnd folgte ich, drängte mich noch vor Jui aus der Türe hinaus. Die frische Morgenluft ließ mich endgültig wachwerden.

Im Gänsemarsch tapsten wir zur Bushaltestelle, den kleinen Pfad entlang. Ein Blick zurück zum See, dann stieg ich auf die Straße. Der zweite Tag hatte begonnen und ich konnte nichts anderes tun als das beste daraus zu machen.

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Daran, in einem Gefährt zu sitzen, welches sich von selbst bewegte, musste ich mich wohl noch ein wenig gewöhnen. Aber es wurde besser, sobald Roisin neben mir saß und mich mit ihrem Seelenleben ablenkte.

Am Schulgebäude angekommen brachte sie mich und Karis zu unserem Klassenzimmer. Sie war schockverliebt in ihn und flüsterte mir zu: „Wenn ich schon Cieran nicht kriegen kann, dann will ich ihn." Dummerweise hatte Karis diesen Satz gehört und grinste mir breit zu. Natürlich, so etwas pushte sein Ego gewaltig. Und das, obwohl sein Ego bereits viel zu groß war. Genervt verdrehte ich die Augen. „Das kannst du dir leider abschminken, Roisin", schmunzelte ich, „der ist nicht an so lieben Mädchen interessiert." Karis verschiedenfarbigen Augen lagen auf mir. Ohje, das schrie nach Rache. „Ach, lass mich doch träumen", kicherte meine neue Freundin und schob mich dann in das Klassenzimmer. „Mach's gut!" Und weg war sie.

Etwas verloren steuerte ich den Platz an, an welchem ich gestern gesessen war. Bevor ich mich jedoch hinsetzen konnte, hielt Karis mich am Arm zurück. Seine Augen waren ein wenig dunkler als zuvor und er sah mich ernst an: „Du musst bei diesem Mädchen aufpassen, Niefchen. Wer weiß, warum sie sich mit dir befreundet hat, vielleicht ahnt sie was." „So schwierig dir vorzustellen, dass jemand mit mir befreundet ist, weil man mich mag?", zickte ich leise und ließ mich auf meinen Sessel fallen, obwohl er mich noch festhielt – was leider darin resultierte, dass er ein wenig mitgezogen wurde. Hätte er mich wohl nicht so ruckartig losgelassen, wäre er auf mich draufgefallen. Um sich selbst zu retten, stützte er sich mit beiden Händen auf meinem Tisch ab und sah mich ziemlich gefährlich an. „Pass auf mit wem du so sprichst, Niefchen", zischte er und ließ mich sitzen. Gut, vielleicht hatte ich ein Problem. Mich mit Karis anzulegen hatte nämlich definitiv nicht auf meiner To-Do-Liste gestanden. Am liebsten hätte ich mich einfach zusammengerollt. Aber die Blöße würde ich mir nicht geben, weshalb ich meine Stifte und Hefte herausholte und mich mental auf den Unterricht vorbereitete.

Mein Sitznachbar erschien nicht. Für den ersten Augenblick machte ich mir doch tatsächlich Sorgen, bis ich bemerkte, wie lächerlich das war. Stattdessen konzentrierte ich mich auf den Gälisch-Unterricht. Zumindest versuchte ich das, denn ich wurde ständig von irgendetwas abgeschossen. Nach einem kurzen Blick nach hinten wurde mir auch klar von wem. Karis. Ich hatte mein Todesurteil unterschrieben.

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In allen Pausen war Roisin bei mir, egal wie kurz sie waren. Sie zeigte mir neue Orte, die sonst niemand kannte. Orte, an denen ich mich verstecken konnte. Denn Karis war den ganzen Tag auf meinen Fersen. Ich hatte mich lediglich verteidigt und dieser Vollidiot sah das als Beleidigung gegen sich.

Gerade saßen wir in dem Busch, in dem ich Roisin kennengelernt hatte. Wieder hatte sie ein Buch in der Hand, doch statt es zu lesen, schaute sie ganz verliebt das Coverbild an. „Ganz ehrlich, der ist doch nur so wütend, weil der auf dich steht", platzte es plötzlich aus ihr heraus – und ich verschluckte mich prompt an meiner Spucke. „Was?!" „Ja, es ist doch ganz eindeutig... Ihn trifft es, dass du nicht so nett wie sonst war und deswegen hängt er dir jetzt an den Fersen." Das war mit Abstand das schrägste, was ich jemals gehört hatte. Kurz sah ich sie an, dann lachte ich los. Ja, ich lachte. Und zwar so richtig. „Karis? In mich- verschossen?" Wild schüttelte ich meinen Kopf, als sie mich mit einem Lächeln musterte, das eindeutig aussagte, dass sie mir nicht glauben wollte. „Karis und ich, das würde niemals funktionieren. Wir kennen uns seit wir Kleinkinder sind, er hasst mich, Roisin. Glaub' mir", ich versuchte so ernst wie nur irgendwie möglich zu sein, doch die Rothaarige kaufte es mir nicht ab. „Männer haben manchmal eine komische Art, ihre Liebe zu zeigen." „Roisin. Das ist nur etwas, das gesagt wird um zu überspielen, wie absolut Kacke Männer Frauen behandeln. Außerdem ist Karis wohl eindeutig noch ein Junge." Also wirklich... wenn für Menschen das ein Indiz war, dass jemand in einen verliebt war, wollte ich nichts damit am Hut haben. Niemals. „Vielleicht hast du Recht. Aber dann musst du dich erst Recht widersetzen. Können eure Eltern vielleicht einmal reden?", fragte sie. Sie wollte mir helfen, ich spürte es. Alleine in der Art, wie ihr Seelenleben vibrierte. Langsam schüttelte ich den Kopf. „Die sind... sehr weit weg." „Oh." Ja, oh. Ich musste mich alleine um meine Probleme kümmern. Nur hatte mir niemand beigebracht, wie das funktionierte.

Das Monster in mirWhere stories live. Discover now