Kapitel 19

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Langsam erwachte ich aus meinem tiefen Schlaf, als ich etwas Warmes um mich spürte. Michael. Wie auch immer er in mein Bett gekommen war, der Grund dafür war mir bekannt. Er kuschelte sich von hinten an mich, sein Gesicht vergrub sich in meinem Nacken und sein linker Arm hielt mich fest. Langsam tropften einige seiner Tränen auf meinen Hals. Ich wendete meinen Körper, sodass ich ihn ansehen konnte. Mit meinem Daumen wischte ich die Tränen unter seinen Augen weg. „Michael ist schon in Ordnung, es wird wieder gut, ich verspreche es dir". Bald darauf schliefen wir beide ein.

Den Rest der Woche sprach Michael nicht viel, ich verstand, dass es eine schwierige Zeit für ihn war und er jetzt Zeit für sich brauchte. Ab und zu kochte Mom Abendessen für ihn und seine Mutter, aber wir assen nie zusammen. Dennoch war Michael anders, abgesehen von der Sache mit seinem Vater, musste sonst auch etwas passiert sein. Ich zerbrach mir jeden Tag den Kopf darüber, konnte jedoch keine plausible Erklärung finden. Er kam noch zwei Mal rüber, um bei mir zu schlafen, doch bevor es hell wurde, verschwand er wieder. Auch darüber habe ich mich gewundert, aber nicht weiter nachgefragt.

Es war Samstag, als ich eine Nachricht von Luke bekam, er wollte sich mit mir treffen, es sei wichtig. Zwei Stunden später holte er mich vor meinem Haus ab, wie fuhren etwas weiter der Küste entlang, bis wir anhielten. Nachdem wir uns einen Café von Starbucks geholt haben, setzen wir uns an den Strand.

„Mir ist aufgefallen, dass Michael sich verändert hat in letzter Zeit und ich denke nicht, dass es nur mit dem Unfall zu tun hat". Luke dachte also genau wie ich.

„Ja mir ist es auch aufgefallen, aber ich kann mir nicht vorstellen, was noch passiert sein soll". Er gab einen leichten Seufzer von sich und starrte in die Ferne. Sein Gesichtsausdruck wirkte bedrückt, er sorgte sich um Michael, wahrscheinlich zerbrach er sich genau wie ich jeden Tag den Kopf darüber.

„Meinst du wir sollten mit ihm darüber reden?".

„Ich denke schon, aber ob er uns antworten wird weiss ich nicht, er ist in letzter Zeit in sich verschlossen, kaum ein Wort kommt aus seinem Mund".

Luke rief Michael nach unsere Gespräch an und wir verabredeten uns an der Klippe, weil Michael es so wollte. Michael wartete bereits auf uns, als wir eintrafen. Wir sassen nebeneinander auf dem Baumstamm, Michael in der Mitte, es war still. „Ich weiss wieso ihr hier seid". Luke und ich sahen beide ruckartig zu Michael, als er mit dem Gespräch anfing, von dem er anscheinend schon wusste, dass Luke und ich mit ihm führen wollten. „Ihr wollt wissen wieso ich mich so verhalte, wieso ich kaum ein Wort rausbekomme, wieso ich mich in meinem Zimmer verkrieche, wieso ich nicht mit euch darüber rede". Wir hörten ihm gespannt zu, die Stimmung war einerseits ruhig und gelassen, andererseits lag eine grosse Anspannung dazwischen. Michael atmete tief durch, bevor er fortfuhr. „Es fing alles an, mit dem Unfall, dem Unfall, der nie hätte passieren sollte". Seine Stimme wurde zittriger, doch er redete weiter. „Anfangs dachte ich, mit der Zeit würde schon alles wieder gut werden, bei mir jedenfalls. Ich vermisse ihn jeden Tag und es tut weh, zu wissen, dass er nie wieder zurückkommen wird. Aber anders als meine Mutter habe ich angefangen damit umzugehen, zumindest in meinen Gedanken. Ich spreche nicht oft, weil ich dann daran denken muss, ein Kloos bildet sich jedes Mal in meinem Hals und meine Augen füllen sich mit Tränen. Aber meine Mom war ständig wütend, sie hatte fast jeden Tag kleinere Nervenzusammenbrüche und ich wusste nicht, wie ich ihr helfen sollte. Sie verbot mir, zu euch Kontakt zu haben, ausser in der Schule sollte ich mit niemandem mehr sprechen. Sie schwafelt nur noch wirres Zeug und...u". Seine Stimme brach ab, Tränen strömen an seinen Wangen entlang. Auch meine Wangen wärmen sich durch die warmen Tränen, die auch an meinen Wangen hängen. „Michael du kannst eine Pause machen, wir haben Zeit, nimm dir so viel Zeit wie du brauchst, um weiter zu reden" sagte Luke sanft zu ihm, während er ihn in eine Umarmung zu sich zog. Es vergingen Minuten des Schweigens, bevor Michael sich einigermassen gefasst hatte. „Aber da ist noch mehr. Meine Mom will wieder zurück nach Australien ziehen. Ich hab ihr gesagt, dass ich das nicht will, aber dann droht sie mir und ich weiss nicht mehr weiter. Ich kann sie so nicht alleine gehen lassen". „Wann?" fragte ich ihn, mittlerweile weinten wir alle drei. „In zwei Wochen". Zwei Wochen blieben mir und Michael noch, bevor er tausende Kilometer weit weg sein würde und wer weiss für wie lange.

Photograph (Michael Clifford)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt