Kapitel 11

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Nachdem ich den Morgen bei Michael verbracht hatte musste ich mich, ob ich nun wollte oder nicht, meiner Mutter stellen. Bevor ich das Haus betrat, atmete ich noch einmal tief durch. Michael hatte mir zwar angeboten mit zu kommen aber das war eine Sache, die ich alleine mit meiner Mutter regeln musst, ausserdem würde es sie sowieso sofort wieder in Rage versetzten wenn er hier wäre. „Hi Mom". Es blieb still im Haus, aber sie musste doch Zuhause sein, immerhin war es Samstag. Sie war weder im Wohnzimmer noch in der Küche. In ihrem Zimmer hielt sie sich fast nie auf, aber es konnte nicht Schaden auch da einen Blick hinein zu werfen. Tatsächlich, sie sass auf ihrem Bett und las in aller Ruhe ein Buch. Sie war versunken in ihren Gedanken und bekam nicht mit, wie ich darauf wartete bis sie mich endlich wahrnahm. Dabei fiel mir eine Sache ein, eine Sache die mich unglaublich beruhigte. Sie las ein Buch in ihrem Bett. Früher hatte sie das immer getan, doch seit einiger Zeit nicht mehr. Wenn ich mir das so überlege, seit dem Zeitpunkt an dem sie sich auch mir gegenüber anders verhielt. Sie wirkte ruhig, als wäre nichts passiert, als wäre die ganze Welt um sie herum verschwunden, sie wirkte glücklich. „Mom?" Sie sah zu mir hoch und liess das Buch zugleiten, behielt aber einen Finger darin. Das bedeutete also, dass sie danach weiterlesen wollte. Auch jetzt, nachdem sie mich bemerkt hatte, schien sie immer noch glücklich. „Hallo Haily wie geht's dir?" „gut, denke ich". Keine Ahnung warum ich mit gut auf diese Frage antwortete. „Hör zu Haily, es tut mir wirklich Leid, ich habe nicht darüber nachgedacht, ob du das Ganze hier willst. Ich dachte einfach es wäre das Best für uns. Ich sah es als einen Neuanfang, dabei habe ich nicht nachgedacht, wie es in dir aussieht, ich dachte nicht, dass ich dich damit so sehr verletzen würde. Es tut mir unendlich Leid". Ihre Worte überraschten mich. Als ich das Haus betrat war ich mir sicher, mir eine Standpauke von ihr anhören zu müssen, aber anscheinend hatte sich das Blatt gewendet. „Danke Mom" ich umarmte sie, liess sie aber gleich wieder los, um nicht allzu anhänglich zu wirken. Ich habe diese Seite an ihr wirklich vermisst. „Was machst du heute noch?". Um ehrlich zu sein, hatte ich auf diese Frage keine Antwort, weil ich mich innerlich schon auf Hausarrest vorbereitet hatte. „Ich weiss nicht, wahrscheinlich sollte ich meine Schulsachen oder sowas vorbereiten". Am Montag musste ich mich hier in einer neuen Schule zurecht finden. Das einzig Gute daran war Michael, auch wenn wir in getrennten Klassen sein würden, werde ich ihn dennoch jeden Tag sehen. Aber wo war die Schule eigentlich, ich kannte mich hier noch gar nicht aus, geschweige denn wusste ich wo die Schule war. Egal, Michael kann mir später noch den Weg beschreiben, aber wie komme ich zur Schule? Es waren so viele Fragen, über die ich mir noch keine Gedanken gemacht habe. Mom sah mich an, ich war wohl etwas zu lange abgedriftet, also lächelte ich ihr verlegen zu. „Du gehst also nicht wieder zu Michael?" „Nein, also ich.. ich habe noch nicht darüber nachgedacht, was ich jetzt mache". Wieso war sie auf einmal wieder wie früher? Ich hatte keine Erklärung dafür, aber das war egal, sie war wieder da. „Okay, ich wollte nur, dass du weisst, dass du ruhig gehen kannst wenn du willst, aber sei um Mitternacht wieder da ja?". „Ich bleibe hier, also zumindest noch ein paar Stunden, aber wenn ich weg gehe sag ich dir Bescheid".  Sie nickte mir zu und ich ging in mein eigenes Zimmer. Ihr Sinneswandel überraschte mich noch immer, auf einmal liess sie mich alles machen, sogar gegen Michael, den Jungen den sie verabscheute, hatte sie nichts mehr einzuwenden. Jedenfalls sollte ich mich jetzt meinen schulischen Fragen von vorhin widmen. Nachdem ich Michael gefragt habe, wo die Schule lieg und ob es einen Bus dorthin gibt bereitete ich die wenigen Bücher und Hefte vor, welche ich mitnehmen sollte.


Ungefähr nach einer Stunde bekam ich auf meine Fragen eine Antwort von Michael: „Wenn du möchtest, kann ich dich gerne mitnehmen, dann musst du nicht mit dem Bus gehen. Aber was hat deine Mom gesagt?". Es wäre zu lange gegangen, alles aufzuschreiben, weswegen ich Michael anrief und ihm alles erzählte. Seine Reaktion war genau dieselbe wie meine, er war überrascht und glücklich zugleich. Unser Gespräch wurde immer länger und schien gar kein Ende mehr zu haben. Nach 3 Stunden die wir telefoniert haben, obwohl wir direkt nebeneinander wohnten, gab es Abendessen und ich beendete das Gespräch. Mom hatte Lasagne gekocht, selbstgemacht. Auch das hatte sie schon seit Ewigkeiten nicht mehr gemacht. Ich hätte sie gerne gefragt, woher dieser Sinneswandel kam, aber ich befürchtete, es könnte danach alles wieder so werden, wie ich es nie mehr haben wollte. Es sollte für immer so gut bleiben wie jetzt. Mit „es" meine ich alles, das Verhältnis zu meiner Mutter, ihre gute Laune, aber auch die Sache mit Michael, was auch immer wir genau waren. Nach dem Essen ging ich wieder in mein Zimmer und nahm eines meiner neuen Bücher hervor, die ich noch nicht gelesen habe. Ich war gerade beim 4.Kapitel angekommen als ich etwas an mein Fenster klopfen hörte. Michael stand auf meinem Balkon und lächelte mich verschmitzt an. Ich öffnete das Fenster und er kam herein, wollte aber dass wir zum Strand gehen. Wir gingen ins Wohnzimmer, damit ich Mom noch Bescheid sagen konnte. Sie war zwar etwas verwundert woher Michael gerade gekommen war, fragte aber nicht danach, was mir wirklich recht war.

Photograph (Michael Clifford)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt