Vollmondnacht

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Wir wussten es, der Vollmond bringt zahlreiche Einsätze mit sich. Kaum haben wir uns wieder einsatzbereit gemeldet, ereilt uns bereits die nächste Einsatzmeldung. Wir werden zu einer Massenschlägerei gerufen, wo wohl jemand mit einer Bierflasche schwer verletzt wurde – so die Angaben der Polizei, die uns über die Leitstelle mitgeteilt werden.

„Na hoffentlich hat die Polizei die Lage unter Kontrolle", kommentiert Olli auf der Anfahrt. „Ich habe keine Lust darauf, dass mein Team noch verletzt wird."

„Frag doch mal in der Leitstelle nach", schlage ich vor, zumal ich dasselbe hoffe. Es ist den beteiligten Personen nämlich egal, dass wir nur zum Helfen dort sind, sie sehen in jedem Menschen einen Boxsack.

„Die Schlägerei ist noch nicht vollständig unter Kontrolle, viele Aggressoren sind aber bereits festgesetzt. Weitere Polizeikräfte sind bereits alarmiert", teilt uns der Leitstellendisponent auf Nachfrage mit.

„Na toll..."

Noch bevor wir die Kneipe selbst erreichen, sehen wir mehrere Polizeiautos sowie Menschen, die aufeinander losgehen beziehungsweise es versuchen. Die eingesetzten Polizisten haben allerlei zu tun.

Ein von ihnen, Paul, deutet mit einem Kopfnicken in das Innere der Kneipe, wo sich wohl unser Patient befindet – nicht, dass hier nicht zahlreiche andere Platzwunden vorhanden wären.

Zum Glück trifft auch der RTW mit Benjamin und Patrick ein. Beide sind sehr breitschuldig und wirken dadurch schon respekteinflösend. In der Hoffnung, dass dies auch bei den offensichtlich Betrunken hier funktioniert, bahnen wir uns den Weg durch die erhitzte Menge. Die Männer haben mich in deren Mitte genommen und flankieren mich so, auch wenn ich mich durchaus auch zu wehren weiß. Trotzdem bin ich froh, als wir den Polizisten Tom Mayer erreichen, der den Patienten vor weiteren Übergriffen schützt.

„Hey, was ist passiert?", fragt Olli, wartet jedoch die Antwort nicht ab und beugt sich bereits über den jungen Mann.

„Er wurde von einer Bierflasche seitlich am Kopf getroffen, seitdem bewusstlos. Ich habe ihn in die stabile Seitenlage gebracht."

„Okay, danke dir. Atmung vorhanden, Kopfplatzwunde. Mal schauen, ob wir ihn wach bekommen. Macht mal das volle Programm." Volles Programm heißt hier: Sättigungsclip, EKG, Blutdruck und Blutzucker.

Der Patient reagiert nur mit einer ungezielten Bewegung auf Ollis Esmarch-Handgriff, was bei uns die Alarmglocken schrillen lässt. Er ist dementsprechend so tief bewusstlos, dass er auch mittels heftigem Schmerzreich nicht aufwacht.

„GCS 6, wir müssen intubieren. Pupillen nur stecknadelgroß." GCS steht für die Glasgow Coma Scale, die in drei Kategorien eingeteilt wird: Augen öffnen, Worte und Bewegungen. Diese werden weiter unterteilt und je nach Grad Punkte vergeben. Jede Kategorie hat fünf Punkte. Da der Patient hier die Augen nicht öffnet und auch keine Worte/Laute von sich gibt, erhalten diese beiden Kategorien nur jeweils einen Punkt. Die ungezielte Reaktion auf den Schmerzreiz wird mit vier Punkten bewertet, sodass wir insgesamt auf die sechs Punkte kommen. Bei Werten zwischen drei (niedrigste) und acht sollte die Intubation vorbereitet, in Reanimationsbereitschaft gegangen werden und ein Transport nur mit Arztbegleitung erfolgen.

„Wie viel hat er getrunken?" Mit dieser Frage wende ich mich an Tom und den nebenstehenden Mann, der angetrunken wirkt.

Von Tom erhalte ich nur ein Schulterzucken, der Mann meint hingegen: „Paar Bier."

Da diese Aussage nicht sehr hilfreich ist, frage ich die Frau hinter dem Tresen. Zum Glück ist ihre Antwort detaillierter: „Ich kann es nicht genau sagen, aber vier oder fünf Bier habe ich ihm ausgegeben, bevor hier eine Frau dazu kam. Aber hier war so viel los, keine Garantie auf Richtigkeit."

112 - Das TeamWo Geschichten leben. Entdecke jetzt