Unter Strom

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Durch massiven Verkehr verzögert sich unser Eintreffen am Einsatzort, was uns alle nervös werden lässt. Als wir endlich eintreffen, werden wir von einer aufgeregten Frau in Empfang genommen, der uns sofort zu ihrem Mann führt. Dieser liegt im Wohnzimmer auf dem Tisch, seine Beine hängen herunter. Mein Blick geht sofort nach oben, wo mir sofort blanke Drähte auffallen. Auf der nebenstehenden Couch liegen zwei Lampen, neben der Couch eine umgefallene Leiter. Was hier passiert ist, ist relativ offensichtlich, auch wenn ich es nicht verstehe. Eine Lampe vom Strom zu trennen ist einfach: Lichtschalter auf aus.

„Haben Sie den Unfall beobachtet?", fragt Jacky, die NEF-Fahrerin heute, unsere Melderin.

„Nein, ich komme gerade vom Einkauf wieder und habe ihn so vorgefunden. Was ist denn mit ihm? Er wollte doch nur die Lampe austauschen!", berichtet sie uns völlig aufgelöst.

Während Jacky sich um die Frau kümmert, widmen Benjamin und ich uns gemeinsam mit Birgit dem Mann. Ich stabilisiere zunächst den Kopf, wobei Birgit das Stifneck anlegt. Auf den Esmarch-Griff reagiert der Patient nicht. Stattdessen stelle ich einen unregelmäßigen Puls fest. Benjamin hat derweil den Oberkörper des Patienten entkleidet und klebt die Elektroden des EKG.

„Sättigung okay, kein A- und B-Problem", teilt uns Birgit mit, die den Fingerclip bei Eintreffen angelegt hat und gerade die Lunge auskultiert.

„Strommarke an der linken Hand", entdeckt mein Kollege.

„Such die Austrittswunde", beauftragt Birgit ihn. Strom fließt nicht nur in den Körper hinein, er muss auch an einer Stelle den Körper wieder verlassen. Nur so bekommen wir einen Stromschlag.

Das Naheliegendste ist eine Austrittswunde an den Füßen, da der Mann keine Schuhe trug. Am linken Fuß wird Benjamin auch wie erwartet fündig.

Währenddessen habe ich mit Birgit die Plätze getauscht und das EKG geklebt. „C-Problem, Arrhythmien erkennbar."

„Okay, leg mir zwei große Zugänge. Ich hätte gerne eine Ringer und..." Birgit stockt und blickt kurz auf das EKG, bevor sie weiter spricht: „Sieht mir nach einer supraventrikulären Tachykardie aus. Frequenz?"

Da ich gerade den Zugang lege, übernimmt Benjamin für mich: „120er Frequenz." Die Blutdruckmanschette, die er angelegt, liefert uns einen weiteren Wert, den er uns mitteilt, bevor Birgit die Medikation vornimmt: „Blutdruck 109 zu 71."

„5mg Isoptin. Hoffen wir, dass wir ihn dann stabil genug haben." Während ich das Medikament verabreiche, stellt Benjamin schon die nächste Frage: „Wie bekommen wir ihn von dem Couchtisch?"

Kurz sehen wir uns ratlos an, so wie er dort liegt, müssen wir zumindest seine Beine bewegen. Diese sind zu weit auseinander.

„Ich mach erst einen Bodycheck", beschließt Birgit ruhig. „Ihr könnt aber schonmal die Schaufeltrage besorgen. Oder habt ihr eine bessere Idee?"

Ich finde es wirklich anerkennenswert, dass Birgit als Leiterin des Teams mit der höchsten Kompetenz uns so eine Frage stellt. Diese zeugt von wahrem Teamgeist. Jedoch schütteln Benjamin und ich gleichzeitig den Kopf, sodass mein Kollege zum RTW eilen möchte. Jacky ist nach wie vor dabei, beruhigend auf die Frau einzuwirken.

Kaum ist Benjamin aufgestanden, ertönt ein bekannter, aber verhasster Ton. Ein Blick auf das EKG genügt, um Kammerflimmern zu erkennen.

„Defi, schnell!"

Es herrscht für einige Sekunden, in der der Defibrillator lädt, absolute Ruhe. Dann lege ich die beiden Paddles auf den Thorax des Patienten. Vor der Schockabgabe warne ich meine Kollegen: „Weg vom Patienten!"

Nach dem Schock verändert sich das EKG. Birgit reagiert sofort: „Nulllinie. Reanimation."

Benjamin kniet sich sofort wieder neben die Patientin und reicht unserer Notärztin den Beatmungsbeutel, während ich bereits mit der Herzdruckmassage beginne.

112 - Das TeamWhere stories live. Discover now