Glauben

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Glaubt ihr an Himmel und Hölle, an Gott, an ein leben nach dem Tod? An das Licht, das einem versprochen wird, der bessere Ort? Glaubt ihr daran, das ihr eure lieben irgendwann wieder seht, wenn ihr Tod seit? Und das euer ganzes leben an euch vorbeizieht wenn es zu ende geht?


Ich habe nie daran geglaubt, doch jetzt, wo ich spüre wie mich Menschen auf eine liege hieven und ich nur noch Blut in meinem Mund schmecken kann, kann ich einige Dinge aus meinem Leben sehen. Naja, eigentlich sehe ich nur Dinge, die vor meinem siebten Lebensjahr geschehen waren! Und Dinge, die nie wirklich passiert sind.

Es ist als wäre ich Gast in meinem Kopf, zuschauer meiner eigenen Gedanken. Ich sehe einen kleinen Jungen, der von seinem Vater in die Luft geworfen wird. Ich sehe einen Jungen und seinen Vater vor dem Spiegel stehen, wie sie sich zusammen rasieren. Der Vater hat pechschwarzes Haar, so wie der Junge, er ist nicht sonderlich groß und nicht besonders Kräftig, genau wie sein Sohn. Genau wie ich! 

Ich sehe meinen Vater, wie er mit mir auf einem Spielplatz spielt, mich auf der Schaukel anstößt und mit mir eine Sandburg im Sandkasten baut. Doch dann sehe ich etwas, das ich unmöglich gesehen haben kann, ich sehe meinen Vater sterben. Ich sehe einen Streit zwischen ein paar Jungen und einen kleineren Jungen der dazwischen geht und dann verprügelt wird, ich sehe meinen Vater wie er dazwischen geht und den kleinen Jungen, der nicht älter ist als zehn aus dem Gerangel holt. Dann sehe ich wie einer der älteren Jungen eine Waffe zieht und diese auf meinen Vater richtet. Ich höre mich schreien, aber natürlich kann mich niemand hören, denn das ganze geschehen ist Jahre her und ich sehe nur das Bild, welches ich mir so ausgemalt hatte, als jeder mir erzählt hatte, wie genau mein Vater starb. 

Der Junge hält die Waffe genau wie Klaus, er zittert nicht, er zeigt keine Angst und auch keine reue als er den Abzug drückt. In diesem Moment fühle ich mich meinem Vater so nah, denn obwohl er als Held starb und ich nicht, starben wir doch auf die selbe weiße, oder? Wir wurden beide erschossen! Und ich bin doch Tod, oder? 

Aber ich will nicht Tod sein und ich will nicht zuschauer meiner Erinnerungen sein! Ich will leben, ich will Kellin umarmen und ihn küssen und ich will mit Billy lachen und mit meiner Mutter über meinen Vater reden! Jetzt bereue ich es, das ich nicht wirklich viel von meinem Vater weiß, ich habe Gespräche über ihn immer vermieden. Das einzige was ich weiß ist, wie er ausgesehen hat, das er mich geliebt hat und wie er als Held gestorben ist. 

Ich würde sogar in eine Klinik gehen, eine Therapie machen, was wahrscheinlich sowieso das beste wäre! Ich würde meiner Mutter alles erzählen und ich würde Klaus anzeigen und ihn in den Knast bringen! Ich würde auch mal fröhlichere Sachen zeichnen und ich würde wieder regelmäßig zur Schule gehen! 


Du kämpfst gegen den Tod, aber wofür? Für was Kämpfst du?

Ich kämpfe für ... für Kellin und für ... Ich kämpfe für die liebe!


Ich sehe den Tag, als ich Kellin das erste mal sah, in seinem Wagen, als er mich nachhause fahren wollte. Ich sehe unseren ersten Kuss und wie ich weglaufen bin, vor diesen Gefühlen und vor ihm. Ich sehe wie wir zusammen im Bett sitzen und er mir erzählt, das er etwas mit einem anderen hatte. Es macht mir nichts aus, das er etwas mit einem anderen hatten! Wir haben noch nicht einmal darüber gesprochen was wir sind! Ich meine ich bin ihm nicht böse! Und das muss ich ihm sagen! Das will ich ihm sagen! Ich will ihm sagen, das es okay ist, aber das ich ihn liebe und das wir ab sofort offiziell ein Paar sein sollen und das ich brauche und .... und .... und noch so vieles! 

Also bitte! Ich will aufwachen! Ich will leben! Es ist das erste mal das ich wirklich hundertprozentig  für das leben bin, Gott du darfst mir das jetzt nicht wegnehmen! Nicht jetzt wo es gut wird! Bitte! Ich will aufwachen! Ich will leben!


"Franky?" höre ich eine fremde Stimme sagen, so fremd klingt sie nicht, nur hatte ich sie schon Jahre nicht mehr gehört. "Dad?" Tränen laufen über meine Wangen, das Bild von Kellin und mir verschwindet und ein weißer Flur tut sich vor mir auf. "Nein! Du darfst nicht hier sein!" Er sieht mich mit gerunzelter Stirn an. Geschieht das gerade wirklich, oder habe ich einfach nur zu viel Blut verloren und mein Hirn schickt mir süße Träume um mich von dem Verlust und dem Schmerz abzulenken? 

Mein Vater schubst mich, er schubst mich, bis an das ende des Flurs, dort ist ein schwarzes Loch im Boden. "Was machst du?" frage ich verängstigt. "Ich schicke dich zurück!" meint er mit ernster Stimme und schubst mich in das Loch. Ich falle und falle und dann stehe ich in einem Krankenzimmer. 

Ich weiß das ich es bin, der dort im Krankenbett liegt und ich sehe Kellin, der neben mir sitzt und meine Hand hält. Er weint und legt seine Stirn auf meinen Handrücken. "Warum hast du nur die Waffe genommen? Wieso musstest du mich nur so an meinen Vater erinnern? Und außerdem, Franky, dein Vater starb ebenfalls durch eine Waffe, wieso hast du nicht mehr Respekt vor Pistolen?" -Es tut mir so leid!- Ich komme meinem Körper näher, nehme meine andere Hand und hoffe darauf, das würde mir helfen auf zu wachen! Die Geräte piepen und ich sehe aus, als wäre ich längst Tod. "Nein!" schreie ich und kneife meine Augen zusammen und tatsächlich, es hilft!

Als ich meine Augen wieder aufmache, fällt es mir viel schwerer als zuvor und ich bin nicht weiter zuschauer meiner Erinnerungen! 

"Komm schon, Ich kann dich nicht auch verlieren! Ich liebe dich doch!" schluchzt Kellin. "Es tut mir leid!" hauche ich und Kellin hebt überwältigt den Kopf. "Du lebst!" Ich lächle. "Komm schon, du hast doch gesprochen! Sag was!" ruft er und drückt meine Hand fester. "Ich lebe!" lächle ich. Es ist schwer meine Augen offen zu halten und es fühlt sich an als wäre ich auf Drogen, was ich wahrscheinlich auch bin, denn obwohl ich erschossen worden bin, empfinde ich kaum schmerzen. Naja, erschossen ... eher angeschossen! 

Kellin drückt seine Stirn gegen meine und dann küsst er mich, lange und zärtlich. "Was hast du dir nur gedacht, als du die Waffe mit genommen hast?" fragt er, als er nach einer sehr langen Zeit von meinen Lippen ablässt. "Ich wollte ihn bestrafen, so wie er mich all die letzten sechs Jahre bestraft hat!" meine Stimme klingt fremd, viel zu weinerlich  und unsicher. "Liebst du mich noch?" frage ich und meine Stimme klingt verzweifelt. "Ich liebe dich doch nicht weniger, nur weil du ein kleines Dummerchen bist!" lacht er, er klingt, als würde er mit einem kleinen Kind sprechen. "Dir ist schon klar, das ich keine fünf mehr bin?" er streichelt über meine Haare. "Ich schätze, da hast du noch nicht solche Dummheiten gemacht!" er sieht mir tief in die Augen. "Sag mir ... Nein VERSPRICH mir, das du nie wieder eine Waffe anfasst und das du dich nie wieder in Lebensgefahr begibst!" er klingt ernst und ich versuche zu nicken, doch irgendwie scheint mein Hals steif zu sein. "Ich verspreche es!" sage ich leise. 

Ich höre die Geräte piepen, sie werden so laut, das ich kaum verstehe, was Kellin mir noch zu sagen hat. "Ich habe mit deiner Mutter gesprochen, sie weiß es! Sie weiß alles!" "Du hast es ihr gesagt?" frage ich und muss kurz meine Gedanken ordnen, um die Bedeutung dieser Worte zu verstehen. "Du hattest kein recht, ihr das zu sagen!" "Sie hat mich gefragt und ich war der Meinung sie sollte es wissen! Außerdem hat er auf dich geschossen und ich konnte kaum sagen, es war ein Unfall, nicht nachdem ich ausgesehen habe wie von einem Auto angefahren!" erklärte er und lehnt sich in dem blauen Plastikstuhl zurück. "Wo ist er?" ich muss husten, sprechen verbraucht im Moment verdammt viel Energie. "Du solltest dich ausruhen!" meint Kellin, als dieses Gerät, das meinen Herzschlag aufzeichnet immer lauter piept, weil mein Herzschlag viel zu schnell wird. "Wo ist er?" "Er ist in U-Haft! Sie wollen, das du, wenn du wieder Gesund bist gegen ihn aussagst, dann kommt er nie wieder aus dem Knast!" Mein Herzschlag beruhigt sich wieder. Alles wird gut werden! Ich lebe, dieses Arschloch kommt in den Knast ... warte, ich muss eine Aussage machen? Ich muss jemandem alles sagen, was er mit mir angestellt hat? Ich weiß nicht ob ich dazu bereit bin! 

Doch all diese Gedanken verfliegen, als ich in Kellins Mintgrüne Augen sehe und mich darin verliere. 


Licht in der Dunkelheitحيث تعيش القصص. اكتشف الآن