18. Don't piss in the dark

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Jun

An Schlaf ist nicht mehr zu denken.

Ich kann die Bilder, die gegen meinen Willen in meinem Kopf entstehen, nicht abschütteln. Sie haben sich darin versengt wie ein Brandmahl, das eigentlich nicht meins sein sollte.

Knox ist aufgestanden und hat sich beim Eingang des Wagons auf die Treppen gesetzt. Sie will die Nachtwache übernehmen, hat sie gesagt.

Ihr Rücken ist mir zugewandt.

Ich stehe noch immer sprachlos mitten im Gang und starre auf ihren Hinterkopf.

Sie hat den Kummer einfach runtergeschluckt, die Schultern gestrafft und ist dann aufgestanden, als hätten wir über ein belangloses Football-Spiel gesprochen.

Dabei war der Schmerz in ihren Augen so verdammt real.

Dass sie auf diese Weise ihren Bruder verlieren musste, tut mir unfassbar leid. Ich will mir nicht vorstellen, wie alleine sie sich gefühlt haben musste.

Allerdings erklärt es mir jetzt auch, warum sie so entsetzt darüber war, als ich sie am Boden festgehalten habe. Warum sie geschluchzt hat, als wir ihr das gaben, was sie längst nicht mehr kannte.

Sicherheit.

Ihr Kopf fällt zur Seite, als sie kurz einnickt, doch sie zuckt zusammen und schüttelt ihre blonde, strähnige Mähne, um wach zu bleiben.

Sie ist erschöpft.

Die Kleine hat mich und Nari aus dem Unterschlupf geholt und dafür gesorgt, dass unsere Mägen so voll sind, wie sie es schon lange nicht mehr waren.

Sie lotst uns durch diese verfluchten Tunnelschächte, als wäre sie eine geborene Grubenarbeiterin.

Sie verurteilt mich keine Sekunde lang, nachdem sie wie ein post-apokalyptischer Sherlock Holmes meine Verbindung zu den Blue Jays aufgedeckt hat. Eine Sache, die ich bisher nicht einmal mit meinem eigenen Gewissen habe vereinbaren können und ihr ist es einfach egal.

Es ist Zeit, ihr etwas zurückzugeben.

Ihr zu zeigen, dass sie sich in dieser Welt noch auf andere verlassen kann.

Auf uns. Auf mich.

Auch wenn Sam nicht mehr da ist. Wir sind es noch.

Ich schlurfe zu ihr.

Knox gähnt, sodass es fast ihren Kiefer ausrenkt. Sie fährt sich mit der Hand übers Gesicht. Ich lasse mich neben ihr auf der Treppe nieder und mache eine Kopfbewegung nach hinten.

„Leg dich hin, du pennst hier noch ein." Meine Stimme klingt rauer als beabsichtigt.

Sie schüttelt den Kopf. „Heute bin ich dran."

„Du kannst morgen die Wache übernehmen. Ich werde hier unten eh nicht schlafen. Lass mich den Helden spielen. Du brauchst deinen Schönheitsschlaf, Gollum."

Sie schnaubt wie ein Pferd, doch ihr Mund verzieht sich zu einem minimalen Schmunzeln. Das reicht mir schon. Ihr Gesicht erhellt sich, wenn sie lächelt, es ist unfassbar faszinierend, ihr dabei zuzusehen. Wenn Humor mein Weg ist, ihr etwas Licht ins Leben zu bringen, dann tue ich das gerne damit.

Manchmal sind es die kleinen Dinge, die helfen.

Und bei Gott ich will ihr helfen.

„Morgen sind wir wahrscheinlich im Refugium", erwidert sie. „Da wird es keinen Wachdienst mehr geben, wenn wir Glück haben."

Sie sagt es, als ob es bereits wahr wäre und für einen Moment erlaube ich es, mir diesen Frieden tatsächlich vorzustellen und zu hoffen, dass – was auch immer auf der anderen Seite dieses schwarzen Tunnels auf uns wartet – besser ist als das, was wir zurückgelassen haben.

The Green LineWhere stories live. Discover now