Hiding

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Ich bin alleine.

Casio und alle anderen sind zuhause, beschützen was mir lieb und teuer geworden ist - was als Überbleibsel meiner Familie galt. Und ich? Ich sitze in einem versifften Hotelzimmer, das nach einer dringenden Reinigung bettelt. Eigentlich müsste  man den gesamten Komplex niederbrennen und etwas neues errichten - denn eine Sanierung allein wird das meiste nicht beheben.

Aurora ist vor 15 Minuten im Badezimmer verschwunden. Wie sie in all dem Chaos zurecht kommen kann verstehe ich nicht. Ich weiß das sie aus gutem Hause stammt und das ihre Familie sich gewiss mehr erlauben kann, allerdings zeigt es auch wie robust und widerstandsfähig Aurora eigentlich ist. Sie hat bewiesen dass das Klischee aus einer reichen Familie zu stammen und alles zu haben - selbst wenn man nichts davon wirklich braucht - nicht für sie selbst gilt. Sie kommt mit den wenigen Dingen, die ihr das Leben zur Verfügung stellt klar. Eine Eigenschaft die ich bei vielen Frauen vermisse.

"Woran denkst du?" fragt sie und holt mich ins hier und jetzt zurück, als sie kurze Zeit später neben mir steht. "Ich überlege dich hier raus zu holen. Ich meine... Das ist ein einziges Loch." gebe ich ehrlich zu und sehe mich erneut um. Alles in diesem Zimmer reizt meinen Würgereflex. Aurora nickt kaum merklich als Zustimmung, lässt sich aber nicht beirren. "Ich weiß es ist kein 4 Sterne Hotel, aber es ist ruhig und sicher. Zumindest dachte ich das."

Ich stehe auf, überrage sie um mindestens zwei Köpfe. "Ich sorge für deine Sicherheit." gebe ich ihr zu verstehen und leiste Bestarbeit wenn es darum geht, sie aus diesem Elend zu befreien. Schließlich gibt sie - nach einer kurzen Diskussion mit mir, die sie unmöglich gewinnen kann - kleinbei und packt ihre Sachen. Mir ist egal wo wir hin gehen - selbst wenn wir im Auto übernachten müssen... Aber hier bleiben ist keine Option.

Als wir den Wagen erreichen schreit mein Handy auf. Ich schaue aufs Display, wundere mich über die vielen Nachrichten die ich jetzt erst entdecke und die allesamt von Casio stammen, genauso wie der Anruf selbst. "Was ist los?" murre ich als ich abhebe und schließe den Wagen auf. "Möge Gott Gnade mit meinen Feinden haben, denn ich habe sie nicht." höre ich jemanden sagen, der ganz sicher nicht Casio ist. Die Stille die dann folgt ist ohrenbetäubend. Wer auch immer es war hat Casio's Handy - was nichts gutes bedeuten kann. Schnell scrolle ich durch die Nachrichten von ihm und habe schließlich traurige Gewissheit. Die meisten Nachrichten enthalten Bilder und Videos. Eines davon zeigt eine Art Pfahl auf dessen Grund das Wort Verrat prangert. Das nächste, das mit Abstand das schlimmste Bild ist, zeigt, wie zwei schwarz gekleidete Männer Casio an diesem Pfahl befestigen...

Ich weiß schon was in dem Video zu sehen ist, kann mich aber nicht davon abhalten es abzuspielen. Die Schreie die mir entgegen wehen zeugen von Angst und Schmerz. Casio, der in Flammen aufgeht und mit seinem letzten Atemzug darum bittet, das ich soweit es mir möglich ist, verschwinden soll. Das Video endet abrupt mit einem leisen Lachen, das schon nicht mehr menschlich klingt. "Was zum Geier war das?" fragt Aurora von der anderen Seite des Wagens. Ihr Teint wirkt blass. "Was ist los? Ezio, rede!"

Ich ignoriere ihre Frage, steige ein. Sobald auch Aurora sitzt rase ich los, ohne Ziel, ohne Plan. Von Wut und Hass getrieben, von Trauer und Verzweiflung gepeinigt. Casio und ich waren oft nicht einer Meinung, doch war er der treueste und loyalste Mensch, der mir je begegnet ist. Es ist meine Schuld das er ein solch grausames Ende gefunden hat.

Wir lassen die Stadt hinter uns und auch die nächsten Städte und Dörfer, die wir durchkreuzen. Ich habe keine Ahnung wo ich hin soll, aber ich will so viel Abstand wie möglich zwischen den Tod und mich - vielmehr uns - bringen.

Aurora ist die ganze Zeit über sehr still und überlässt mich meiner Wut. Offenbar hat sie verstanden wann es besser ist einen gesunden Abstand zu mir zu halten. Trotzdem bin ich mir ihrer Anwesenheit durchaus bewusst und auch, daß sie verängstigt ist und genauso planlos wie ich. Ich brauche einen freien Kopf, irgendwas - sonst wird das für uns hier böse enden.

Die nächste Tankstelle auf unserer Seite wird mein Ziel. Wir müssen etwas zu Essen besorgen und dafür sorgen das wir unterwegs nicht liegen bleiben. Während Aurora im Laden ein paar Sachen einkauft betanke ich den Wagen und schaue mich um. Ich habe alles in der Umgebung genau im Blick und bin bereit binnen weniger Sekunden zu flüchten, wenn nötig. Die Paranoia nimmt Überhand.

Schließlich verlassen wir die Tankstelle und endlich bin ich auch bereit Aurora wieder zu beachten. Sie trägt keine Schuld an alledem obwohl ich weiß das Casio, wäre er noch am Leben und hier bei uns, widersprechen würde. Er hat schon immer so getan als hätte Aurora die Zügel in der Hand. "Wir müssen einen Unterschlupf finden. Dann sehen wir weiter." murmle ich und lenke den Wagen weiter voran. Aurora hingegen scheint in sich gekehrt, bis sie mir antwortet... "In der Nähe ist eine Abfahrt. Nimm die. Dann fahren wir ein paar Kilometer östlich, bis es nicht mehr weiter geht." erklärt sie. Offenbar hat sie einen Plan, will mich aber scheinbar nicht aufklären. Ich murmle ein 'Okay', befolge ihren Befehl und finde mich eine Stunde später vor einem riesigen, eisernen Tor wieder. "Wo zum Teufel sind wir hier?" frage ich wenig charmant. Ich bin viel zu auf gekratzt um auf Höflichkeiten zu achten. "Dieses Anwesen gehört meiner Tante. Sie segelt derzeit mit ihrem 20 Jahre jüngeren Freund um die Welt... Wir sind also alleine. Es ist nicht viel, aber besser als auf der Straße oder unter einer Brücke zu schlafen." erzählt Aurora und steigt aus. Mit wenigen Handgriffen öffnen sich die Tore und sie winkt mich hindurch.

Haben wir denn eine Wahl? Ich glaube nicht... Also lasse ich mich auf das Abenteuer ein.

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