Judas

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Während Aurora noch immer vor sich hin döst habe ich Zeit und Muse ihre Akte noch einmal durchzugehen. Natürlich befinden sich neben Geburtsurkunde auch Krankenakte darin, die allerdings keinen Aufschluss über irgendwas liefert - von den Fotos einmal abgesehen. Die letzten 6 Wochen im Leben der jungen Frau bebildert zu sehen zeigen mir keine neuen Erkenntnisse und so bleibt mir nur zu warten bis die Wirkung der Betäubung nachlässt.

Geschunden von dem Angriff gegen sie liegt sie zusammen gerollt auf dem Boden. Friedlich und ruhig, fast so als wäre das hier ein Kurzurlaub.

Ich selbst habe mir diesen Rachefeldzug auferlegt, will alles brennen sehen was meine Familie zerstört hat und selbst wenn das bedeutet das ich in dem Feuer letztendlich selbst untergehe. Der Gedanke an meine Eltern aber vor allem an Carina gibt mir Kraft, stärkt mich. Ich werde nicht wieder so schwanken wie in dem Moment, als ich erfahren habe das Aurora mit ihr befreundet war.

"Bereust du schon mich hier eingesperrt zu haben?" höre ich Aurora schließlich flüstern. Gerade ist sie dabei sich aufzurichten als meine Augen in ihre Richtung gleiten. "Denn das wirst du."

Ihre Drohung - oder ihr Versprechen, je nachdem aus welchem Blickwinkel man es betrachtet - stößt bei mir auf taube Ohren. Ich fische ein Bild meiner Schwester aus meiner Jacke, sehe ihrem strahlenden Lächeln nochmal entgegen ehe ich es zu Aurora drehe und meine Stimme drohend walten lasse. "Du sagst ihr wart befreundet. Ich will alles darüber wissen. Also leg los."

Aurora's Augen sind nur kleine Schlitze, weil sie noch gegen die Wirkung der Betäubung ankämpfen muss. Ich habe selbst penibel darauf geachtet das die Dosis sie diesmal nicht für Tage abschießt - eine nette Geste, wenn man mich fragt. Sie schaut auf das Foto, verzieht den Mund und schweigt, was mich zwingt klarer zu werden. Die nächste Akte, die zu meinen Füßen liegt, zeigt das Ausmaß dessen, was Carina in ihren letzten Stunden des Lebens erleiden musste und ich schrecke nicht davor zurück ihr alles zu zeigen. Der Gedanke sie selbst könnte dafür verantwortlich sein hat mich eine ganze Weile beschäftigt, zugegebenermaßen - aber solch Brutalität traue ich selbst der zähen Frau vor mir nicht zu.

Als sie das erste Foto sieht wirkt ihr Teint plötzlich fade. Eine Reaktion, die ich genaustens wahrgenommen habe und weiter beobachte. Die Art wie ihr Blick sich ebenfalls verändert verrät mehr, als es Worte je könnten. "Ihr wurde schreckliches angetan." murmelt sie schließlich. Sie will den Kopf weg drehen aber das lasse ich nicht zu. Blitzschnell schließe ich die Zelle auf und gehe auf sie zu - die Bilder meiner Schwester fest im Anschlag. Ich dränge sie in die Ecke, zwinge sie, sich alles genau anzusehen bis sie wütend die Augen zusammen kneift und eine einzelne Träne ihre Wangen hinab läuft. "Du bist doch krank. Ich hätte ihr nie auch nur ein Haar gekrümmt." zischt sie und versucht sich von mir weg zu bewegen. "Wenn du also denkst du das den Täter in deiner Gewalt, wieso beendest du diese Tortur nicht einfach und erschießt mich?"

Bevor ich darauf antworten kann holt sie aus, schlägt mir mit voller Wucht ihr Knie zwischen die Beine und schwankt an mir vorbei aus der Zelle hinaus, während ich um Luft japsend darum kämpfe, den Schmerz los zu werden. Ich muss mich nicht beeilen, denn ich weiß das auf dem gesamten Gelände Männer postiert sind und sie nicht weit kommt.

Nach wenigen Momenten raffe ich mich auf, lasse die Akte liegen und trete aus der Zelle um die Jagd einzuläuten...

Mehrere Männer machen sich bereits an der Tür zum Anwesen zu schaffen während ich näher trete. Offenbar hat sie verstanden das sie kein leichtes Spiel haben wird und hat sich als letzte Bastion mein eigenes Heim ausgesucht... Ein großer Fehler. Ich kenne die Ecken und Winkel des Hauses in und auswendig, anders als sie. "Bleibt hier. Sichert das Gelände. Sollte sie mir wie durch ein Wunder entwischen haltet sie auf. Geschossen wird nicht." murre ich und öffne mit einem kräftigen Ruck die Tür, trete ein und schlage sie zu, damit sie hört dass das Monster die Arena betreten hat.

Im unteren Bereich - in dem sich eine Bar, das Wohnzimmer sowie Küche und Esszimmer befinden ist keine Spur von ihr, also gehe ich in den nächsten Stock. Das Zimmer von Carina und meinen Eltern lasse ich unangetastet, die Türen sind fest verschlossen. Seit ihrem Tod habe ich keinen Fuß mehr in diese Räume gesetzt sondern sie verriegelt und dafür gesorgt, daß niemand sonst dort Einlass findet. Da sie also unmöglich dort hinein geraten sein kann suche ich weiter.
Die Schlafzimmer Tür meines Zimmers steht offen - eine Finte wie sich heraus stellt. Nachdem ich selbst unter dem Bett nachgesehen habe schließe ich auch diese Tür. Bleiben nur noch wenige weitere Räume, in denen sie sich versteckt haben könnte...

Das weitläufige Badezimmer mit Panoramablick ist verwaist. Als letztes komme ich am Trainingsraum an. Dieser existiert schon seit ich ein kleiner Junge war - heute wird er ausschließlich dann genutzt, wenn ich übermäßig gestresst bin und kein Ventil für meinen Zorn finden kann. Mit einem Griff zum Schalter fahren die schweren Vorhänge vor den bodenhohen Fenstern auf und erhellen den Raum vollständig. Nur wenige Ecken bieten jetzt noch Schutz. Ich laufe hinein, bin für einen Moment achtlos und werde von einer fliegenden Hantel in meine Richtung überrascht. Gerade noch rechtzeitig weiche ich aus und schon sehe ich sie, wie sie blitzschnell aus der Ecke hervor schießt und aus dem Raum rennen will - doch die hat die Rechnung ohne mich gemacht. Bevor sie die Tür passieren kann erreiche ich sie, reiße sie zu Boden und werfe sie auf den Rücken. Sie wehrt sich mit Händen und Füßen, versucht zu beißen und zu kratzen - und spuckt mir ins Gesicht als ich mich langsam auf ihr niederlasse. Sie ist machtlos gegen mich.

"Was meinst du... Was wäre die angemessene Strafe für dein Verhalten?" frage ich und lächle. Ich kann die Angst förmlich riechen, doch Aurora bleibt nach außen hin hart. Während ich mir ihre Spucke aus dem Gesicht wische hat sie Zeit mir zu antworten...

"Lass mich gehen." murrt sie. Ihre Stimme zittert. Nicht unbedingt das, was ich erwartet habe zu hören. Auch wenn ihre Angst langsam mehr und mehr an die Oberfläche kommt und sie genau das eigentlich nicht möchte, so ist sie doch alles andere als bereit kampflos aufzugeben. "Ich habe Carina nichts getan. Sie war meine Freundin." wiederholt sie, wird dabei immer leiser. Sie zu brechen wird mir eine kranke Art der Befriedigung bieten, von der sie nicht einmal etwas ahnt.

"Ezio."

Casio's Stimme reißt mich aus meiner Fantasie und ich schaue auf. Mit etwas Abstand betrachtet er die Szene vor sich. "Wir müssen reden. Bring dein Spielzeug zurück."

Aurora wehrt sich als ich sie am Arm in den Kerker zurück bringe und versucht erneut zu flüchten. Als sie bemerkt das ihr das kein weiteres Mal gelingt wird sie plötzlich panisch - bis ich dasselbe sehe wie sie. "Was soll das?" frage ich den Mann in der Zelle vor mir, der eine gezogene Waffe auf ihren Kopf hält. "Waffe runter bevor du Idiot noch jemanden versehentlich erwischt."

Ich kenne seinen Namen nicht doch der Lakai wirkt träge, als würde er es provozieren. Seine Hand zittert leicht, seine Augen sind glasig. Als er zu sprechen beginnt zwinge ich Aurora auf die Knie, behalte die Aufmerksamkeit des Mannes aber weiter. "Sie hat meinem Bruder den Arm gebrochen! Sie und ihre ganze Sippe verdorbener Sadisten muss sterben und du!? Du bist ein schlechter Anführer! Du lässt sie ungestraft leben!"

Aurora murmelt etwas unverständliches, will nach dem Mann austreten aber ich komme ihr zuvor. Schnell entwaffne ich ihn, drücke ihm den Lauf seiner eigenen Waffe an die Schläfe. Der Geruch von Alkohol schwappt mir entgegen und Casio mischt sich schließlich ein. Er sorgt dafür das der Mann vor mir eine Abreibung erhält und aus dem Kerker verbannt wird.
Gerade als ich Aurora mit der Waffe in der Hand als stummes Mahnmal in die Zelle bugsieren will, kommt Casio zurück. Sein Gesicht ist in Falten gelegt, sorgenvoll. "Ezio. Es ist schlimmer als wir dachten. Auf ein Wort, jetzt." knurrt er und betrachtet Aurora eindringlich. "Und du solltest dich zurück halten sonst erschieße ich dich. Ich habe keine Geduld mehr."

Ein paar Schritte von Aurora's Zelle entfernt flüstern Casio und ich miteinander. Er erklärt mir nicht nur, daß die Männer unzufrieden mit meiner Führung sind und sich einem gigantischen Krieg gegenüber sehen, sondern auch, daß er Informationen über einen Spion in unseren Reihen hat. Er befürchtet das die Familie von Aurora bereits einen Angriff plant. "Ich habe mich umgehört. Sie suchen bereits nach ihr. Und irgendwie sind sie an die Infos gekommen, das sie hier ist. Also bleibt dir keine Wahl mehr. Direkter Angriff oder Rückzug und Planung."

Mein Blick gleitet zu ihr. Es wäre so leicht sie jetzt und hier zu erschießen und ich blicke auf die Waffe in meiner Hand herab.

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