Kapitel 35

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Mehr schlecht als recht habe ich diese Nacht geschlafen. Schon seit einiger Zeit bin ich wach und bereit alles weitere zu erfahren. Doch meine Eltern lassen noch auf sich warten. Von dem hingestellten Essen habe ich kaum etwas angerührt. Ich habe einfach keinen Hunger. Und nun sitze ich hier bereit und angezogen auf dem Bett und lasse mir die Dinge durch den Kopf gehen, die ich gestern erfahren habe.

Das, was damals passiert ist, muss furchtbar gewesen sein. Ich kann verstehen, dass man sich da von der Welt zurückzieht. Doch mir ist nicht ganz klar, was das hier für ein Ort ist und warum meine Eltern so viel riskiert haben, um mich zu finden. Was soll ich hier? Warum haben sie die Schulen angegriffen? Das ergibt irgendwie noch gar keinen Sinn.

Doch bevor ich mir weiter das Gehirn zermartern kann, klopft es ja der Tür. „Ja?", rufe ich vorsichtig und stehe vom Bett auf. Aber entgegen meinen Erwartungen meine Eltern zu sehen, steht die ältere Dame gleich darauf im Zimmer. „Du bist schon wach und bereit. Sehr gut. Dann können wir ja losgehen." Wenn ihr meine Enttäuschung auffällt, geht sie nicht darauf ein. Sie wendet sich einfach ab und verlässt das Zimmer wieder. Und ich beeile mich ihr zu folgen. Nicht, dass ich mich hier sonst noch verlaufe und wer weiß wem begegne.

Die ältere Dame ist ganz schön schnell, was ich ihr gar nicht zugetraut hätte. Daher muss ich mich bemühen hinterher zu kommen. Wir laufen durch die breiten Gänge, begegnen aber niemandem. Ich finde es einerseits beruhigend, andererseits bin ich auch furchtbar neugierig mehr zu erfahren. Ich würde wirklich gerne wissen, wer hier noch lebt und wie die Leute so drauf sind. Was sind das für Menschen, die einfach so Schulen angreifen und bereit sind Kinder zu verletzen?

Wir kommen an einer großen Tür an, welche von der älteren Dame geöffnet wird. Dahinter ist ein großer Saal mit einem gigantischen Essetisch zu finden, an welchem bereits etwa zehn Leute sitzen. Unter ihnen meine Eltern. Die Gespräche verstummen bei unserem eintreten und ich bleibe unsicher nahe der Tür stehen. Bis die ältere Dame missbilligend mit der Zunge schnalzt und mich an die Seite der Tafel schiebt. Hier ist ein kleines Frühstücksbuffet aufgebaut, von welchem ich mir etwas nehme und dann unsicher überlege, wo ich mich denn nun hinsetzen soll.

Die ältere Dame, welche sehr ungeduldig zu sein scheint, schiebt mich einfach auf einen Platz und setzt sich mir gegenüber an den Tisch. Langsam fange ich an mit Essen und versuche die vielen Blicke zu ignorieren, die auf mir liegen. Schließlich hat mein Vater Mitleid mit mir und ergreift das Wort. „Kayla, Ingrid wird heute deine Kräfte testen. Damit wir wissen, wie du am besten integriert werden kannst.", gibt er von sich und deutet auf die ältere Dame, welche mich abschätzend mustert.

Enttäuscht schaue ich zu meinen Eltern. Ich hatte gehofft, dass wir noch mehr Zeit miteinander verbringen können. Ich habe noch so viele Fragen! Das will ich ihnen gerade mitteilen, als meine Mutter aufsteht, gefolgt von meinem Vater. „Wir sehen uns später.", verabschiedet sie sich und beide verschwinden schneller, als ich reagieren kann.

„Iss auf, Kind. Wir machen auch gleich los.", reißt mich die ältere Dame aus meiner Trance und ich bemühe mich mein Essen runterzubekommen. Die Enttäuschung versuche ich dabei zu verdrängen und zweifle das erste Mal an meiner Entscheidung dem ganzen hier zugestimmt zu haben. Mir fehlen meine Freunde. Wie es ihnen wohl geht? Sie machen sich bestimmt Gedanken über mich. Und Jace ist sicherlich unglaublich wütend auf mich. Bei unserem Wiedersehen werde ich mich erstmal entschuldigen müssen. Und hoffen, dass er mir verzeiht.

Schnell räume ich mein Geschirr weg und folge Ingrid, welche mich durch das Gebäude führt, bis wir draußen auf einem freien Platz stehen bleiben. Sie mustert mich noch einmal skeptisch und klatscht dann in die Hände. „Fangen wir also an. Da du deine Fähigkeiten mit diesem dämlichen Serum verunreinigt hast, werden wir erstmal deine Hauptfähigkeit ermitteln."

Ich bin sehr verwirrt und kann nicht ganz folgen, was mir wohl anzusehen ist. „Du besitzt ja drei Elemente. Eines davon ist dein Hauptelement. Das Element, welches du von der Natur erhalten hast. Genau dieses hättest du auch ohne die Einnahme des Serums erhalten. Und daran wollen wir nun arbeiten." Ich habe eine Vermutung, welches Element das sein wird, doch ich nehme an, dass sie wissen will, ob es Wasser oder Luft ist. Eines der vier Hauptelemente.

Und dann geht sie einige Meter von mir weg und ich kann sehen, wie ihre Augen beginnen blau zu leuchten. Aus der Wiese zu unseren Füßen steigen Wassertropfen empor und bilden eine Art Wasserpeitsche in der Hand von Ingrid. Und damit greift sie mich nun an. Erst weiche ich aus, dann versuche ich ihr das Wasser streitig zu machen. Schließlich ist es auch eines meiner Elemente. Doch ich habe keine Chance. Es hört einfach nicht auf mich.

Und dann bin ich schließlich zu langsam. Schmerzhaft werde ich von Wassertentakel an der Hüfte getroffen und zur Seite geworfen. Stöhnend bleibe ich liegen, doch habe keine Chance mich auszuruhen. Ingrid packt mich am Oberarm und zieht mich mit einer Kraft auf die Beine, die ich ihr niemals zugetraut hätte. Und dann schubst sie mich nach hinten. „Jetzt gib die mal ein bisschen Mühe! Du musst dich schon wehren! Das ist ja jämmerlich, was du hier ablieferst." Gerade so kann ich es vermeiden wieder zu stürzen. Sie will meine Kräfte testen? Das kann sie haben.

Wieder kommt das Wasser auf mich zu. Doch dieses Mal weiche ich nicht aus. Ich stelle mich ihm entgegen. Und kaum hat das Wasser meine Haut berührt, gefriert es. Es ist wahrscheinlich nicht das, was Ingrid versucht hat auszulösen, doch es ist das, was sie bekommt. Wütend stolpert sie zurück und beschwört erneut Wasser herauf. Und das Ganze beginnt von vorne. Dieses Mal versucht Ingrid es jedoch mit mehreren spitzen Wassergeschossen, welche aus allen Richtungen auf mich zufliegen. Allerdings kenne ich einen solchen Angriff schon. Das hat noch nie funktioniert.

Als die Geschosse einen halben Meter von mit entfernt sind, gefrieren sie an Ort und Stelle und sind anschließend unter meiner Kontrolle. Ich drehe sie um und lasse sie auf Ingrid zufliegen, welche von der Wendung überrascht ist. Das blaue leuchten ihrer Augen erlischt und ihre braune Augenfarbe kommt wieder zum Vorschein. Sie stolpert rückwärts und geht schließlich zu Boden.

Meine Eiszapfen schnellen noch immer auf sie zu, halten jedoch einige Zentimeter vor ihrem Körper an. Wir sind schließlich nicht hier, um uns gegenseitig zu verletzen. Obwohl meine Hüfte ganz schön schmerzt und sich dort sicherlich ein ordentlicher blauer Fleck bildet.

Mit einer Handbewegung sorge ich dafür, dass sich die Eiszapfen auflösen und in Schneeflocken verwandeln, welche sich vom Wind davontragen lassen.

Mühsam richtet sich Ingrid auf und mustert mich aus zusammengekniffenen Augen. „Wir beenden das für heute. Morgen geht es weiter." Ich werde von ihr wieder wortlos nach drinnen und auf mein Zimmer gebracht. Wo ich wieder alleine bin und sich meine Gedanken im Kreis drehen. Ich wünschte sie hätten mir nicht mein Handy abgenommen, damit ich mich wenigstens bei meinen Freunden melden kann. Aber diese Möglichkeit wurde mir genommen.

Ich könnte ja den Standort hier verraten. Was ich nicht mal machen könnte, selbst wenn ich es wöllte. Wir sind gefühlt durch die halbe Welt gereist und ich habe keine Ahnung, wo ich mich befinde. Ich könnte überall sein.

Seufzend werfe ich mich auf mein Bett und lasse auf meinem Nachttisch eine Rose aus Eis entstehen. Sie erinnert mich so sehr an meine Schulzeit. Wie ich versucht habe meine Kräfte unter Kontrolle zu bekommen. Und wie genau daraus diese Rose als Symbol für alles entstanden ist, was ich in meinem Leben bisher erreicht habe. Aber sie steht auch dafür, dass ich niemals aufgegeben habe.

Entschlossen setze ich mich wieder auf. Ich werde hinter das Geheimnis dieser Organisation kommen. Alle meine Fragen werden beantwortet und dann entscheide ich, was ich mit diesen Informationen anfange. Ob ich hier bleibe oder zu meinen Freunden an die Schule zurückkehre. Das ist noch keineswegs entschieden. 

Akademie der Elemente - Die Macht der ElememteWhere stories live. Discover now