29. Kapitel

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Samira fiel.

Alles fühlte sich an, wie in Zeitlupe.

Selbst die Schreie ihrer Freunde nahm sie gar nicht so wirklich wahr.

Sie fiel. Tiefer und tiefer.

Schließlich packte sie die Realität wieder. Sie streckte die Arme aus und packte das nächste, was sie zu fassen bekam.

Die plötzliche Kraft rüttelte erst einmal ihren gesamten Körper durch und zog an ihren Armen. Doch Samira biss die Zähne zusammen und klammerte sich noch fester an der Statue fest. Danach schwang sie sich hinüber, auf den kleinen Vorsprung und verschnaufte kurz.

Was für ein Glück, dass an dem Palast die Statuen der fünf Götter festgehalten wurden!

Samira schaute hinüber zu ihrer Retterin. Dort stand die Göttin Friedens Mirembe. In all ihrer Pracht sah sie von der Schlosswand hinaus in die Welt. Dabei leisteten ihr die anderen Götter – welche auch als Statuen verewigt waren – der Gott des Feuers Josias, der Erde und Natur Yuval, der Luft Naseem und die Göttin des Wassers Avissa beistand.

„Bitte Mirembe", betete Samira. „Bitte leiste mir Besistand. Hilf mir, meine Schwester zu besiegen. Hilf mir, wieder Frieden in das Land zu bringen!" Samira sah hoch. Sie war tief gefallen. Sie war etwa in der halben Höhe des Palastes. Allerdings waren auf dieser Seite nur wenige Fenster. Und wenn welche doch hier waren, wurden sie sicherlich von den Wachen gut bewacht. Somit blieb Samira nur noch eines übrig: Sie musste Klettern! Und das tat sie auch!

Meter für Meter arbeitete sie sich hoch. Sie war nun wild entschlossen, Kaylins Herrschaft endlich ein Ende zu setzen!

Erst jetzt bemerkte Samira, wie stark der Wind hier um die Ecken peitschen konnte. Ihre Haare, sowie der Umhang wehten in der Bö mit und zogen an Samira. Im Stillen betete sie zu Naseem, dass der Wind sie verschonen würde. Und tatsächlich! Samira kam es gleich so vor, als würde der Wind etwas nachlassen!

Samira kletterte weiter. Immer weiter und weiter. Sie schaute nicht nach unten. Sie wusste, wenn sie auch nur einen falschen Schritt machte, eine falsche Bewegung, war sie tot. Aber sie hatte in den vergangenen Jahren viel trainiert. Sie hatte mit Silja trainiert, mit Lu, mit Emine.

Samira war damals elf oder zwölf Jahre alt, als sie das erste Mal auf Lu und ihre Bande getroffen ist. Samira konnte sich noch gut erinnern.

Damals hatte sie einen großen Streit mit ihren Eltern. Sie wollte nicht mehr eingeschlossen sein. Sie wollte hinaus und sich die Stadt anschauen! Denn sie hatte den Palast bisher noch nie zuvor verlassen. Es war ihr untersagt. Allerdings ging ihre Schwester Kaylin fast jeden Tag ein und aus. Damals verstand sie es nicht – heute schon.

Kaylin schlug ihr damals vor, dass sie sich doch rausschleichen könne. Samira lehnte ab. Zwar wollte sie einerseits unbedingt die Welt außerhalb der Mauern sehen. Gleichzeitig jedoch wollte sie ihre Eltern nicht enttäuschen. Doch Kaylin redete so oft auf sie ein, dass Samira sich schließlich eines Nachts doch davonschlich.

Sie konnte sich noch gut daran erinnern. Samira hatte schreckliche Angst. Sie hatte sich binnen zehn Minuten verlaufen und irrte nun hilflos durch die Straßen. Überall waren unheimliche dunkle Ecken. Gleichzeitig war es außerdem auch noch kalt und sie war müde.

Niemand war auf den Straßen, die sie hätte nach dem Weg fragen können. Es war schließlich sehr spät in der Nacht, wo alle schon schliefen.

Auf einmal tauchten zwei Gestalten vor ihr auf. Es waren zwei Jungen. Sie waren nicht viel älter, als Samira. Sie waren etwa dreizehn und vierzehn Jahre, hätte Samira geschätzt. Der eine blond, der ältere Schwarzhaarig. Sie lächelten Samira freundlich an, fragten, was sie denn um diese Uhrzeit hier mache. Während Samira ihnen antwortete, merkte sie, wie jemand sie beobachtete. Als Samira sich umsah, entdeckte sie einen Jungen am anderen Straßenende.

Hinter der GrenzeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt