27. Kapitel

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In den letzten Stunden lief alles auf Hochtouren, die Nerven waren bis aufs Äußerste gespannt.

Draußen war es schon dunkel. Der Vollmond schien auf sie herab und beleuchtete ihnen den Weg.

So kam es, dass an jenem Abend fünfzehn Maskierte Umhanggestalten durch die Nacht schlichen. Sie bewegten sich im Schatten der Nacht. Niemand entdeckte sie.

Es wurde erst etwas knifflig, als sie beim kaiserlichen Palast ankamen. Der Eingang wurde stark bewacht.

Nian schaute, ob einer von ihnen eventuell Noan war, konnte ihn aber nirgends entdecken. Erleichtert atmete sie aus. Was war, wenn sie gegen ihn kämpfen musste? Nian wusste nicht, ob sie das konnte. Er war doch einer von ihnen! Eigentlich sollte er auch eine Maske tragen! Aber es ging nicht. Er befand sich in Kaylins Gefangenschaft – musste tun, was sie verlangte. Aber genau darum, war Nian ja hier! Um Kaylins Tyrannenherrschaft zu beenden, Samira auf den Thron zu bringen und endlich ihren geliebten Bruder wiederzubekommen!

An den ersten zwei Wachen vorbeizukommen, war nicht sehr schwierig. Sie standen links und rechts vom Tor und befanden sich im Halbschlaf. So musste die Gruppe nur mucksmäuschenstill an ihnen vorbeischleichen. Bei den Anderen Wachen war das Ganze allerdings nicht so einfach. Sie waren zwar auch müde, aber trotzdem wachsam.

Aber zum Glück hatten sie ja einen Plan ausarbeitet, welchen sie auch befolgten. Denn diese Wachen hatten sie mit einberechnet. Deshalb wussten sie auch, was sie nun zu tun hatten.

Die Runde teilte sich in drei kleine Grüppchen auf. So schlichen sie immer zu fünft um die Wachen herum. Niemand wusste, wer die Anderen in der Gruppe waren. Alle sahen gleich aus.

Sie bewegten sich im Schatten. Eine Gruppe kam von links, die Zweite von rechts und die Letzte schlich sich über das Dach vorbei.

Drinnen kamen sie alle wieder zusammen.

Vor ihnen erstreckten sich schier endlosweite Flure. Und da sich hier nur wenige auskannten, wies Lamaya ihnen per Funk den Weg, die im Hauptquartier eine Karte vor sich zu liegen hatte.

Plötzlich bog ein Wachmann um die Ecke. Ohne zu zögern handelten die Maskierten. Sie stürtzten sich auf ihn. Sie entwaffneten ihn, hielten ihm den Mund zu und hielten ihn so fest, dass er sich nicht wehren konnte.

Doch mit einem Mal ließ einer der Maskierten, der dem Wachmann den Mund zugehalten hatte, ihn wieder los – Nian.

„Was tust du?!", zischte eine Stimme.

Nian drehte sich zu der Wache und sah ihn genauer an. Und es war er tatsächlich! Sie hatte sich nicht getäuscht. Denn vor ihr stand wahrhaftig Noan!

In Nian stiegen Tränen auf, die zum Glück, dank der Maske, keiner sehen konnte. Sie sah direkt in seine wundervollen minzgrünen Augen.

„Euch ist schon klar", sagte Noan, „dass ich eigentlich sofortig Alarm schlagen und euch festnehmen sollte, nicht wahr?" Er hob eine Augenbraue. Der Griff um ihn wurde kräftiger. „Ist ja gut, ist ja gut!", meinte Noan zu denen, die ihn festhielten. „Ich hatte auch gar nicht vor, das zu tun!"

Über Funk ordnete Lamaya ihnen an, Noan frei zulassen.

Daraufhin stolperte Noan zu der Person, die er für seine Schwester hielt. „Nian?", fragte er behutsam. Alle sahen gleich aus. Da war es so gut, wie unmöglich, sie auseinanderzuhalten.

Es war Nian. Aber sie durfte nichts sagen. Dies war ein klarer Befehl von Lu gewesen, bevor sie aufgebrochen waren. Und den musste sie befolgen! Man durfte nicht sprechen, außer ein paar wenige Ausnahmen. Man durfte sich nicht zu erkennen geben.

Noan wendete den Blick von ihr nicht ab. „Ihr sucht bestimmt nach der Kaiserin. Ich kann euch zu ihr bringen. Sie ist oben, auf dem Dach" Nun sah er doch zu der großen Gruppe, als hinzufügte: „Und zwar Allein!"

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Noan führte die Gruppe die Flure entlang und endlos reichende Treppen hoch.

Schließlich, nach einer gefühlten Ewigkeit, kamen sie oben auf dem Dach an.

Und dort stand sie! Im glänzenden Mondlicht stand Kaylin mit dem Rücken zu ihnen. Ihre zerzausten roten Harre waren zu einem Zopf geflochten und wehten leicht im Wind. Auf ihrem Kopf thronte die glitzernde Krone. Plötzlich fing sie hämisch an, zu lachen. Langsam drehte sie sich um. „Njarr Mongafarr!" Guten Abend! „Ich habe euch erwartet!" Damit schwang die Tür, der einzige Ausweg, um wieder vom Dach runter und wieder in das Schloss zu kommen, zu.

Noan lief zur Tür und versuchte, sie zu öffnen – vergeblich. „Verriegelt", ließ er die Anderen wissen.

„Wachen!", rief Kaylin. „Nehmt sie fest! Sie alle! Nehmt sie fest und sperrt sie auf ewig ins Verließ!" Dabei zeigte sie auf die maskierte Gruppe und auf Noan.

Auf einmal kamen gut zwei Dutzend Wachmänner auf sie zu – wenn nicht, sogar noch mehr – die sich zuvor in den dunklen Ecken versteckt hatten.

Natürlich wehrten sich die Nymesia. Es begann ein wilder Kampf. Allerdings waren ihre Gegner ihnen zahlreich überlegen. Es erschien fast so, als wenn immer mehr und mehr Wachen dazukamen. Schließlich wurden die ersten besiegt und gefangen. Und es dauerte auch nicht lange, bis es die Letzten schließlich auch wurden. Nachdem sich zum Schluss gut zwanzig Männer auf die letzten drei verbliebenen Kämpfer warfen, war das Spiel nun wirklich vorbei.

Die sechzehn Gefangenen – Noan mitgezählt – standen von den Wachen umzingelt vor Kaylin.

„Ach Noan, Noan", lachte Kaylin. „Dachtest du ernsthaft, ich hätte deinen Verrat nicht mit eingerechnet?" Urplötzlich wurde sie wieder todernst, als sie ihren Wachen befahl: „Sperrt die Verräter ins Verließ!"

„Oder aber", kam es aus der Menge, „es findet ein Duell statt!" Niemand konnte sagen, von wem der Vorschlag kam.

Kaylin verschränkte die Arme vor der Brust und zog eine Augenbraue hoch. „Ach ja? Und weshalb sollte ich mich dafür bereiterklären?", fragte sie. Bei einer Antwort würde sie genau aufpassen, von wem sie kam. So konnte sie ihn vielleicht entlarven.

Allerdings waren die Nymesia nicht dumm. „Naja, falls Ihr gewinnen solltet, würde das nochmal beweisen, wie stark Ihr seid und würde zukünftige Attentate vermeiden", meinte Noan. Er war der einzige der Gruppe, der weder Umhang, noch Maske trug. Er hatte immer noch die Uniform der kaiserlichen Wache an: Die Farben Weiß und Golden.

Die Kaiserin überlegte. „Na schön. Es wird ein Duell stattfinden – auf Leben und tot!", stellte sie klar. „Wer ist euer Anführer? Tritt vor!"

Aus der Menge kam ein Maskierter einige Schritte vor. Er sah genauso aus, wie die anderen übrigen vierzehn.

Die Wachen gingen mit den Gefangenen an den Rand, damit die zwei Duellierenden in Ruhe kämpfen konnten.

Und damit begann das Duell!

Hinter der GrenzeWhere stories live. Discover now