21. Kapitel

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Schon beim Morgengrauen erwachte Lu. Es war der sechzehnte Mai. Gestern hatte sie mit Nian und Samira noch versucht, irgendwelche Pläne zu schmieden, hatten aber offen gestanden bisher nichts erreicht. Als sie auf die Uhr sah, stellte sie fest, dass es gerade mal kurz nach fünf Uhr war. Allerdings war sie schon oftmals wesentlich früher aufgestanden. Lu hielt nichts von lange schlafen. Es war einfach nur reine Zeitverschwendung. In dieser Zeit konnte man schon viel schaffen.

Als sie das Haus verließ, schlief Aidan noch, genauso, wie die meisten anderen Menschen. Lu sah erneut auf die Uhr. Sie hatte noch einige Stunden, ehe ihr Geschäft öffnete und sie wieder zurück sein musste.

Während Lu so die Gassen entlangging, spürte sie dieses Gefühl wieder in ihr. Es lag tief in ihrer Magengrube. Dieses Gefühl kam immer dann auf, wenn etwas in der Luft lag. Es würde etwas passieren! Heute! Darin lag keinerlei Zweifel. Ihr Bauchgefühl hatte sich noch nie geirrt.

Schließlich kam sie an ihrem Ziel an: die Königsstatue.

Doch ehe sie ihr Amulett herausholte sah sie sich noch einmal ausgiebigst um. In diesen frühen Morgenstunden hielten sich nicht viele Menschen hier draußen auf.

Lu durchstreifte den Platz. Irgendjemand war hier. Er beobachtete sie! Lu überprüfte das Gebüsch, die Bäume, den Platz. Aber nirgendwo war eine Menschenseele zu erblicken. Allerdings machte es ihr der Nebel auch nicht gerade einfach.

Als Lu gerade eine weitere Runde um die Statue ihres geliebten Kaisers machte, blieb sie plötzlich wie angewurzelt stehen. Langsam drehte sie sich um. Und da waren sie!

Vor ihr standen fünf Personen in dunklen Kapuzenumhängen gekleidet. Ihre Gesichter waren nicht zu erkennen.

Nun trat die Gestalt in der Mitte vor und setzte ihre Kapuze ab.

Zwei goldene Augen strahlten Lu entgegen. Und für einen Bruchteil einer Sekunde hätte sie diese Täuschung auch geglaubt. Jedoch riss sie sich schnell zusammen.

„Was willst du?", rief Lu ihr zu. „Du bist hier unerwünscht! Und sich als jemand anderes auszugeben ist feige! Genauso, wie sich zu verstecken!"

Das Mädchen lachte. „Schön zu wissen, dass du dich kein bisschen verändert hast, Lulu."

Lu biss die Zähne so sehr zusammen, dass sie knirschten. Emine! Das hätte sie sich gleich denken können. „Du bist hier trotzdem unerwünscht!" Schnell kam auf sie zu und bedrohte sie mit ihrem Messer. „Nenn mir auch nur einen Grund, warum ich euch anhören sollte.", zischte sie.

Emine lachte. „Oh, Lulu. Es gibt so viele! Aber da du nur einen hören willst:" Nun wurde sie schlagartig ernst und sah Lu in die Augen, während sie sagte: „Du brauchst mich! Du brauchst uns. Auch, wenn du es niemals zugeben würdest, es ist so! Wir wissen beide, dass ihr jeden auf eurer Seite gut gebrauchen könnt, für euer Vorhaben!"

Lu knirschte erneut mit den Zähnen, steckte ihr Messer allerdings wieder zurück in ihre Tasche. Allerdings würde sie ihr jetzt schon am liebsten ihr hässliches triumphierendes Grinsen aus dem Gesicht schlagen!

Doch bevor Lu mit ihnen irgendwo hinging: „Was ist mit ihnen?" Sie zeigte auf die vier Gestalten hinter Emine, die sich noch immer in ihren Umhängen versteckt hielten.

„Das sind meine Brüder und eine Freundin. Sie haben sich bereiterklärt mitzukommen und euch ebenfalls zu helfen.", erklärte sie. „Aber du verstehst sicherlich, dass es wohl besser ist, wenn ihr Identität verschleiert bleibt. Schon ich gehe ein verdammt großes Risiko ein. Aber das muss sein. Einer musste sich zu erkennen geben." Damit zwinkerte sie Lu zu, bevor sie noch hinzufügte: „Zudem hätte ich es mir bestimmt nicht verkneifen können dich auf die Palme zu bringen."

Lu verdrehte die Augen. „Aber ich kenne deine Brüder!", kam sie auf das Eigentliche wieder zurück.

„Ja, du vielleicht.", gab Emine ihr recht. „Allerdings die anderen nicht. Ich weiß nicht, wer alles noch in eurer Gruppe ist. Aber du und Samira sind wohl die einzigen, die sie noch kennen. Und Nian natürlich.", fiel ihr noch ein. „Wobei man sich dann auch die Frage stellt, ob kennen der richtige Begriff ist. Denn zwischen zehnjährigen Jungs und zwanzigjährigen Männern besteht schon so ein klitzekleiner Unterschied."

Lu verdrehte sie Augen. „Bevor wir runter gehen, noch eine Sache: Ihr hört auf mein Kommando! Ist das klar? Das ist die oberste Regel! Wenn ihr damit nicht leben könnt", dabei sah sie besonders Emina an, „könnt ihr gleich wieder verschwinden!"

Jedoch kam von Emine nur ein Lächeln, während sie verkündete: „Das wird für uns kein Problem darstellen!"

Damit gingen sie gemeinsam zur Königsstatue. Lu holte ihr eigenes Amulett, mit roter Fassung mit Rubinen und anderen roten Kristallen heraus. Während sie den Geheimgang aktivierte, sah Emine voller Ehrfurcht zu dem verstorbenen Kaiserpaar herauf.

Sobald dich die Luke geöffnet hatte, nahm Lu die fünf mit und führte sie in das neue Hauptquartier.

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Samira und Karina gelang es glücklicherweise wieder, der Aufsicht von Frau Kyriaki und Herrn Orell zu entkommen. Sie machten sich auf direktem Wege zum Hauptquartier, wo schon eine große Überraschung auf sie wartete.

Kaum waren sie unten angekommen, entdeckte Samira ihre Cousine. Mit viel Schwung viel sie Emine um den Hals.

Emine lachte. „Ich habe dir doch gesagt, dass ich komme!"

Das stimmte. Allerdings war Samira nicht so gewiss gewesen, ob es denn auch tatsächlich klappen würde. Aber nun war sie hier. Und das war eine enorme Erleichterung!

„Du weißt doch: Wenn ich etwas will, dann bekomme ich es auch!", meinte Emine. „Zugegebenermaßen: Es war schon mal leichter, nach Aternis und nach Sivermont zu kommen, aber wir haben es dennoch geschafft!"

Emine hatte es wieder einmal geschafft, Samira ein Lächeln zu entlocken.

„Aber jetzt mal was ganz anderes" Emine räusperte sich, ehe sie fortfuhr: „Hast du dir mal angesehen, wie groß der Laden hier ist? Man denkt, man hätte schon alles gesehen", dabei machte sie eine umschweifende Geste durch das Zimmer, „und dann findest eine Tür sie zu einem Gang führt, der sich unendlich weit erstreckt. Es gibt hier mehrere Schlafräume, ein großes Bad, eine riesige Küche, einen extra Speiseraum, ein sogenanntes Kreativzimmer, eine Bibliothek, ein Büro für die Chefin, diesen Gemeinschaftsraum hier und eine Trainingshalle, so groß, wie du sie dir nur schwer vorstellen kannst!"

Samira musste schmunzeln. Tatsächlich hatte sie sich hier selber noch nicht umgesehen. Sie war gestern zu sehr mit anderen Dingen beschäftigt gewesen, wie etwa, ihre ganzen Freunde wiederzutreffen, sich auszusprechen oder mit Lu und Nian anfangen ihre Schritte zu Planen. Obwohl auch Karina am Abend in ihrem Zimmer von der unglaublichen Größe der Trainingshalle geschwärmt hatte.

Auch heute trainierte Karina wieder weiter mit Silja. Dabei bot Emine an, dass sie ebenfalls mitkommt, um Karina einige Tricks beizubringen. Silja hatte nichts dagegen einzuwenden, also begaben sich die drei Mädchen in die Trainingshalle, um zu üben.

Währenddessen planten Samira, Nian und Lu weiter an ihrem Plan. Allerdings hatten sie heute Hilfe von ihren klugen Köpfen ihrer Gemeinschaft. Denn Arun und Lamaya waren diesmal auch mit dabei, was sich wirklich als gute Entscheidung erwies. Denn schon nach wenigen Stunden hatten sie einen ordentlichen Plan zusammen entwickelt. Danach ging es nur noch um einige Feinschliffe und Details. Und schließlich hatten sie tatsächlich einen richtigen Plan fertig!

Denn bei Vollmond würden sie diese ganze Aktion abziehen. Damit blieben ihnen noch drei Tage. Bis zum zwanzigsten Mai. Bis zum letzten Tag ihrer Klassenreise. An diesem Tag würde sich alles entscheiden.

Hinter der GrenzeWhere stories live. Discover now