Primis

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»Am Anfang ist Himmel und Erde, Leben und Tod.

Das Leben ist ewig, der Tod ist es nicht. Da draußen ist Liebe

und Hass, die Liebe ist unendlich, der Hass ist es nicht.«

Dschaymalla, die Weltenlenkerin, reiste nicht gern, sie reiste nicht oft und wenn, dann tat sie es anders als wir Menschen – sie machte sich in Gedanken auf den Weg und viele würden behaupten, sie sei nicht wirklich dort.

Doch was war schon wirklich? Wer hatte eine Vorstellung davon?

Und wenn einer es wüsste, wäre es dann wichtig?

Dschaymalla saß an dem Strand von Nodi, er bestand aus dem Sand, der die Menschen schlafen und die Engel denken lässt.

Auf der anderen Seite dieses ewigen Meeres gab es auch Gestade, deren Sand aus den Knochen der Toten bestand und das Wasser aus den Tränen der Lebenden. Das stürmische Wasser stieß an die Gebeine toter Dinosaurier. Doch wenn man genau lauschte, so hörte man noch ihre Schreie und man genau spürte, so konnte man die Glut noch fühlen. Denn hier spielte Zeit nicht die geringste Rolle und wer wusste das besser als Dschaymalla. Diese Seite nannte man Tartos, es war das Land der Alpträume. Tartos und Nodi waren nur zwei Seiten einer Medaille.

Schließlich musste man eines über die Erdenkinder wissen – erst wenn man auch die dunkle Seite eines Menschen kennt, kennt man ihn richtig. Und erst wenn man auch die dunkle Seite eines Menschen liebt, liebt man ihn richtig.

Die Trauer, die Wut, die Angst der Menschen brauchten Raum, mitunter recht viel. Dieser Raum war hier im Tartos.

Der Sonnenaufgang kam mit Wucht. Er explodierte in den leuchtendsten Farben. Und die Weltenlenkerin schloss die Augen, auf die mit der Asche Thebens Augen gemalt waren, um besser zu sehen.

»Bist du traurig, Mambo Mama?«, fragte eine vertraute Stimme.

»Ich bin nicht traurig, ich bin nur besorgt und vor allem bin ich nicht deine Mama!«

»Wieso lügst du mich immer an?«, Slotti, die Motte, die Mittlerin zwischen der Menschen- und der Anderswelt war, berührte die Weltenlenkerin mit ihren Fühlern.

»Na, vielleicht bin ich doch deine Mama!«

Der ewige Wind fraß an Nodis Küste und der Zweifel fraß am Herz der Weltenlenkerin, das sie eigentlich gar nicht hätte haben dürfen.

»Du kannst mir alles sagen, ich bin eine ganz besondere Motte«, verkündete Slotti.

»Aber kannst du dir vorstellen, was ewig ist?«

»Du bist ewig, Mambo Mama!«

»Ja, aber es gibt noch mehr Geschöpfe, die so sind und normalerweise bleiben sie im Hintergrund. Aber ich spüre etwas.«

»Was denn Mambo Mama?«

»Ein Sturm zieht auf!«





                                                                   1- Unten und Oben



Wieso sagte man, jemand wäre ganz oben? Und weshalb behauptete man auf der anderen Seite, einer sei ganz unten?

Ich konnte euch das sagen, denn ich war Sandro, meinen richtigen Namen kannte ich nicht und meine Vergangenheit lag im Nebel meines Unterbewusstseins vergraben. Mein richtiges Alter, Nebensache! Was ich wusste, ich war hier, in Babel, wie sie es nannten gestrandet und ich war nichts wert. Denn das zeigten mir die da oben jeden Tag. Im achtzehnten und neunzehnten Stock residierten die Oberen, sie handelten mit uns Kindern, sie zogen die Fäden.

Und eine gute Ware schien ich zu sein, denn ich war schätzungsweise Fünfzehn und wenn ich auch noch nicht ganz ein Mann und dazu noch Roma oder so etwas in der Art war, so konnte ich doch arbeiten und war recht muskulös, also brachte ich Geld.

Hier unten gab es kein Entkommen, nicht dem Hunger, nicht der Verzweiflung und auch nicht dem Gestank.

Ich schaute nun schon zwei Stunden an die Decke und hörte den Jungs, die sich links und rechts der Wände mit ihren Matratzen und speckigen Decken aufgereiht hatten, beim Schnarchen zu.

In mir brannte etwas und es war Sehnsucht. Wie aber sollte man etwas vermissen, dass man nie gekannt hatte? Ich wusste es nicht. Aber es ging! Ich roch nun auch etwas anderes. Eine zarte Andeutung von Rauch zog durch das vergitterte Fenster. Und meine große, wichtige, weltverändernde Sehnsucht wurde von einer anderen kleineren verdeckt, dem Schmacht nach einer Kippe.

Einige Freiheiten hatte man auch hier in Babel. So durfte man sich auch als Daijin, was so viel wie Sklave bedeutete, auf den unteren Stockwerken frei bewegen und zum Erdgeschoss gehörte auch ein Hinterhof. Mit nackten Füßen patschte ich über den polierten Steinboden und das mit Ornamenten verzierte Tor hinaus. Ich wusste, da wären Wachen. Doch ich wusste auch, wer es war.

Draußen war es recht hell. Ein dicker Vollmond schien am preusischblauen Himmel wie ein fettiger Pfannkuchen in einer dunklen Pfanne.

Ich blieb im Torbogen, wie etwas, was nicht ins Licht gehörte, stehen.

»Halt, wer da?«, schrie ein riesiger Kerl mit einem noch größeren Speer in der Hand.

Ich gab mich zu erkennen. »Ich bin es, Sandro!«

»Ach, du schon wieder!«

»Wo ist dein Kollege?«

»Der is in den Zweiten sich was zum Kauen besorgen. Kann dauern,

ist n verfressener Scheißkerl.«

»Kannst du ihn nicht leiden?«, fragte ich.

»Ne, woher denn? Er ist n sadistisches Schwein.«

»Dich kann ich auch nicht leiden! Du stehst zwischen mir und

meiner Freiheit!«

Der große Wächter lachte, er zog den Helm ab und verschwitzte

dunkle Locken kringelten sich in seinem Nacken. Er sah mich mit

ernstem Gesicht an: »Das, was zwischen den Leuten und ihrer Freiheit steht, ist niemals ein fremdes Schwert. Es sind immer die eigenen Gedanken. Merk dir das!«

»Geht klar, Torres!«

»Und lass dir nicht einreden, dass du minderwertig bist, weil du n Zigeuner bist, oder so!«

»Mach ich nicht, Torres! Hast du ne Kippe?«

»Alder, immer diese Scheiß-Zigeuner. Immer schnorren und so,

hey!« Er wuschelte mir mit seiner Riesenpranke durch die Haare.

»Du wirst mir langsam zu teuer!« Er gab mir eine Zigarette. Wir qualmten in die Nacht und sahen zu, wie die Schwaden aufstiegen.

»Machst du die Übungen?«

Ich zeigte meinen Bizeps. Er prüfte halbherzig mit seinem enormen Daumen. »Nit schlecht!« Der Einheimische schnippte die Kippe fort und ich zog noch einmal gierig und tat es ihm nach.

»Du musst nun gehen! Der Fresssack kommt sicher gleich zurück!«

»Tschüss, Torres! Mach s gut!«    

Der Schlaf der EwigenWhere stories live. Discover now