Ein kleiner Hoffnungsschimmer

23 3 0
                                    

Heißer Dampf steigt aus dem frisch befüllten Thermoskannendeckel empor. Ein sanfter Nebelschleier, den man inzwischen nicht mehr sehen, sondern nur noch fühlen kann. Es ist stockdunkel geworden. Ein klares Zeichen, dass draußen die Nacht hereingebrochen ist. Emilia ist müde und auch Grusha ist vor kurzem an seine Grenze gekommen. Wenn wirklich der Mond aufgegangen ist, müssen die beiden schon mindestens sechs Stunden in dieser Eishölle gefangen sein. „Dein Tee wird langsam kalt und wir müssen uns dringend ausruhen. In dieser Düsternis kommt man sowieso nicht vorwärts." Da der Sehsinn temporär ausgefallen ist, müssen sich Emilia und Grusha auf ihren Hör und Tastsinn verlassen.

Die Aschblonde nimmt einen Schluck von dem Heißgetränk. Sie gibt den Deckel an ihren Begleiter weiter. „Wenn wir morgen nicht hinausfinden wird es brenzlig...", meint er. Die Kälte hat nochmal zugenommen und ihnen gehen die wenigen Nahrungsmittel aus. Zwei Bissen vom Sandwich müssen reichen. „Mir ist kalt...", jammert Emilia leise. „Und ich bin müde..." Sie will schlafen, kann es aber nicht. „Ja, ich auch...", stimmt Grusha zu. Emilia ist verwundert, dass der Eisklotz seine Erschöpfung zugibt. „Wir werden abwechselnd etwas dösen müssen, aber wir dürfen auf keinen Fall einschlafen. Sonst erfrieren wir." Das ist der jungen Frau durchaus bewusst. Dennoch kann sie die Augen nicht mehr offen halten. Langsam sinkt ihr Kopf auf seine Schulter, was Grusha nicht besonders gut gefällt.

„Hey, reiß dich gefälligst zusammen", brummt er. „Nur fünf Minuten...bitte..." Er stöhnt einmal. „Na gut..." Dann fängt er an im Kopf von dreihundert nach unten zu zählen. Als er bei der Hälfte angekommen ist, kann er Emilia nicht mehr atmen hören. „Wach auf!" Der Profi Snowboarder legt seine Hand an ihren Hals, woraufhin Emilia enorm erschrickt und einen lauten Schrei von sich gibt. „Alter, hast du sie noch alle? Deine Hände sind ja arschkalt." Zumindest lebt sie noch. „Entschuldige, dass ich mir Sorgen gemacht habe", knurrt er leise. Eine gute Sache hatte es dennoch: Sie ist jetzt wieder hellwach. Emilia streift sich die Fäustlinge von den Händen und gibt sie ihm zurück. „Hier, sonst bekommst du noch Frostbeulen."

Grusha weigert sich zuerst, zieht sie dann aber doch wieder an. Emilia fallen kurz darauf wieder die Augen zu, doch eine Sekunde später fällt ihr wieder etwas ein. „Kannst du kurz aufstehen? Mir ist gerade etwas eingefallen."
„...Und...was...?"

„Wenn ich mich nicht täusche, dann müsste ich noch ein paar Knicklichter in der Seitentasche haben." Beide stehen von dem Rucksack auf. Sofort beginnt Emilia blind nach dem Reißverschluss zu tasten. Als sie ihn gefunden hat, wühlt sie in der kleinen Tasche herum und bekommt kurz darauf ein dünnes Stäbchen zu fassen.
„Hab ich dich!" Sie schluckt einmal schwer. Dann nimmt sie das Knicklicht in beide Hände und bricht es in der Mitte leicht auseinander. Die beiden getrennten Flüssigkeiten vermischen sich und geben sofort Energie in der Form von Licht ab. Grusha blinzelt ein paarmal, da er von der plötzlichen Helligkeit überrascht wird. Seine eisblauen Augen wirken matt und eingefallen. Tiefe Schatten haben sich unter ihnen gebildet und zeigen seine Erschöpfung gut sichtbar an. „Du siehst echt nicht gut aus. Vielleicht solltest du besser mal für ein paar Minuten dösen." Ein Powernapping kann da wahre Wunder bewirken.

Er öffnet den Mund und will etwas sagen, doch Emilia drückt ihm vorher ihren Finger auf die Lippen. „Keine Widerrede! Du musst dich ausruhen. Hör auf, den starken Mann spielen zu wollen." Grusha zieht seine Augenbrauen zusammen, bis seine Stirn Falten geschlagen haben. Schließlich nickt er einmal stumm und lehnt sich kurzerhand an der Wand an. Emilia seufzt einmal. Dann packt sie ihn plötzlich, um seinen Kopf in ihren Schoß zu betten. „Nein", brummt sie, da er sich wieder aufrichten will. „Bleib liegen und schlaf ein bisschen. Du sturer Esel." Sie legt ihre Hand auf seinen Brustkorb, damit sie seine Atmung immerzu überwachen kann. „Wenn ich merke, dass dein Atem schwächer wird wecke ich dich." Grusha gefällt das nicht, doch sie hat recht. Sein erschöpfter Körper kämpft nicht länger gegen die Müdigkeit an. Sekunden später fallen ihm schwer die Augen zu. In diesem Fall bleibt ihnen nichts anderes übrig, als sich gegenseitig zu vertrauen.

Grusha's Brustkorb hebt und senkt sich in regelmäßigen Abständen. Ein deutliches Zeichen, dass er eingeschlafen ist. Nun muss Emilia besonders wachsam sein. In dieser Eiseskälte kann es leicht passieren, dass man im Schlaf erfriert. Aber solange sie seinen Atem noch spüren kann ist alles in Ordnung. Immer wieder beißt sich die Aschblonde auf die Unterlippe oder kneift sich in die Wange, um nicht selbst einzuschlafen. Sie muss um jeden Preis wach bleiben, solange er schläft. Irgendwann zerren die Wogen des Schlummerlandes immer mehr an ihr. Emilia fallen selbst die Augen zu, schreckt im nächsten Moment aber wieder auf. Sofort presst ihre Hand zurück auf Grusha's Brust. Gott sei Dank – er atmet noch. Wie viel Zeit inzwischen vergangen ist weiß sie nicht. Das Leuchten des Knicklichtes wird auch schwächer. Ein Glück, dass sie noch ein paar von diesen Dingern übrig hat.

Emilia betrachtet Grusha einmal. Er sieht so unschuldig aus wenn er schläft. Das treibt ihr ein schwaches Lächeln ins Gesicht. Das vergeht ihr aber ganz schnell wieder. Plötzlich hat sich seine Atmung verändert. Seine Atemzüge werden schwächer und kürzer. Emilia darf keine Zeit mehr verlieren. Sie rüttelt ihn. „Grusha..." Er reagiert nicht. „Grusha, wach auf!" Panik macht sich in ihr breit. „Verdammt! Jetzt reiß du dich zusammen." Doch egal wie sehr sie ihn auch rüttelt. Erst eine Maulschelle holt den Profi Snowboarder ins Leben zurück. Ein Schrei hallt ihr entgegen, während er sich erschrocken aufrichtet. „Verdammt, musst du mich so grob wecken?"

Normal hätte Emilia einen bissigen Kommentar von sich gegeben. Doch sie ist so erleichtert, dass sie ihn einfach nur in den Arm nimmt. „Mach das nie wieder..." Grusha blinzelt verwirrt. „....Äh...?" Er drückt sie von sich. „...Was ist...denn los...?" Sie wischt sich eine einzelne Träne aus dem Gesicht. „Ich hatte Angst um dich, was denn sonst?" Emilia nimmt ein neues Knicklicht und bringt es zum leuchten. Sie holt die Thermosflasche heraus und kippt nur einen kleinen Schluck Tee in die Kappe. „Hier, trink das..." Die innere Kälte muss vertrieben werden. Nach einer kurzen Diskussion, kippt sich Grusha das Maul voll Tee hinter die Kiemen. „Dir scheint es besser zu gehen." Emilia hält das Knicklicht in ihren Rucksack und will nach den tiefgefrorenen Beeren schauen. Plötzlich bekommt sie ganz große Augen. „Nanu...?" Da ist sie mit ihrem Wanderrucksack schon solange unterwegs und hat noch nie die kleine Innentasche bemerkt.

„Da ist was drin..." Emilia greift hinein und holt den kleinen, schwarzen Gegenstand hervor. In der nächsten Sekunde kommen ihr die Tränen. „Mama..." Christa ist einfach die Beste. Grusha kann damit nichts anfangen. „Was ist das?"
„Eine Powerbank! Damit kann ich mein Handy laden." Emilia fummelt das Ding sofort hervor und schließt die Powerbank an. „...Komm schon...bitte..." Die ersten Sekunden tut sich gar nichts. Doch dann geht ein kleiner Hoffnungsschimmer auf, als das Mobiltelefon geladen wird. „Ja!" Emilia reißt die Arme vor Freude nach oben. Sobald der Ladestatus 1% beträgt, kann sie ihr Gerät einschalten. Grusha ist angespannt. Und auch die kurze Hoffnung von Emilia wird sogleich von Ernüchterung verdrängt.

„Kein Empfang..." Das gefrorene Gestein hat das Signal komplett blockiert. „Na toll, das heißt also, dass dein komisches Telefon uns überhaupt nichts nützt..." Da ist er wieder: Der Eisklotz. „Nicht unbedingt." Emilia weigert sich, die Hoffnung aufzugeben. „Lass uns weitergehen. Wir müssen nur eine Lücke finden, wo ich Empfang habe. Ein Balken würde schon ausreichen." Sie packt ihre wenigen Sachen wieder zusammen. „Bei großer Kälte entlädt sich der Strom schneller als normal. Daher weiß ich leider nicht, wie weit die Powerbank noch geladen ist." Grusha nimmt ihr den Wanderrucksack ab. „...Fühlst du dich gut genug, um weitergehen zu können...?"

„Nein, eigentlich nicht. Wir haben keine Zeit mehr." Sie seufzt einmal schwer. „Lass uns einfach gehen, bevor ich es mir noch anders überlege." Grusha schmunzelt. In seiner nervigen Begleiterin scheint ja doch noch Kampfgeist zu stecken. Um in dieser Düsternis besser sehen zu können, nimmt sich Grusha ebenfalls noch ein Knicklicht. Zwar ist die Taschenlampe an ihrem Handy deutlich heller, doch sie muss Strom sparen. Plötzlich bleibt Emilia nochmal stehen. „Grusha...?"
„...Was ist...?"
„Schau mal..." Sie zeigt ihm die Uhrzeit auf dem Display. Er schluckt einmal bitter. „...Deswegen ist es so dunkel..." Es ist momentan 0:30Uhr in der Nacht.


Eiskalt erwischt (Abgebrochen)Tahanan ng mga kuwento. Tumuklas ngayon