Innerhalb des Wintersturms

23 2 0
                                    

Grusha lässt es einfach keine Ruhe, da es zu schneien begonnen hat. Anfangs waren es nur kleine, unbedeutende Flocken gewesen. Doch inzwischen sind sie groß und heftig geworden. Dazu kommt noch, dass der Wind stark zugenommen hat. Der Profi Snowboarder kennt diese Anzeichen. Er weiß genau, dass ein Schneesturm bevorsteht. Er sitzt gerade im Restaurant und ist dabei einen heißen Tee zu trinken. In diesem Fall muss er auf sein Bauchgefühl hören, denn er hat momentan ein ganz mieses. Ohne ein Wort zu sagen steht er auf, legt das passende Geld hin und geht. „Wo will er denn jetzt hin?" Auch bei diesem stürmischen Wetter, lässt sich Grusha furchtlos vom Skilift nach oben bringen. „Verdammt nochmal, er kann echt nicht genug bekommen." Sein treuer Angestellter folgt ihm nach draußen, zückt das Fernglas und will seinen Boss beobachten.

Oben angekommen, stürzt sich Grusha todesmutig die Piste herunter. Doch nach einem Viertel der Strecke, weicht er plötzlich von seiner üblichen Route ab. „Was zur...?" Der gefühlskalte Eisklotz ist nach rechts gezogen. Das Wetter hat sich nochmal verschlimmert. Kälte, Wind und Schnee haben nicht nur ihn überrumpelt. Emilia hat komplett die Orientierung verloren. Man darf die Naturgewalten niemals unterschätzen. „...Dabei hat meine Wetter-App gar keinen Schnee gemeldet..." Ihr pfeift der eisige Wind kalt um die Ohren. Sie hat das Gefühl gleich zu einem Eiszapfen zu erstarren. Emilia blinzelt. Kommt da gerade jemand auf sie zu, oder bildet sie sich schon Sachen ein, die gar nicht existieren? Die junge Frau blinzelt mehrmals. Tatsächlich! Da kommt irgendwer direkt auf sie zu.

Emilia kann sehen, wie die Person langsamer wird. Schließlich kommt er näher und wirbelt dadurch Schnee auf, was als Pulver in Emilia's Gesicht landet. Sie hustet einmal und wischt es sich weg. Emilia will gerade los schimpfen, als sich der Snowboarder seine Schneebrille abnimmt. „Grusha? Was machst du denn hier?"
„...Das gleiche könnte ich dich auch fragen! Was zur Hölle treibst du hier eigentlich?" Emilia würde erröten, wenn ihre Wangen nicht schon von der Kälte rot wären. Sie weiß genau, dass das eine Anspielung auf den Notizzettel gewesen ist. Glücklich sieht er nicht aus. Seine eisblauen Augen funkeln sie einmal giftig an, bevor der Eisklotz von seinem treuen Partner steigt und ihn sich über die Schulter wirft. „Komm mit, ich weiß, wo wir einen Unterschlupf finden."

Durch das laute Pfeifen des Windes hat sie ihn nicht richtig verstanden. „Ich soll aus deinem Leben verschwinden? Ich kann mich nicht daran erinnern, mich da überhaupt eingemischt zu haben." Er antwortet darauf nicht, sondern umfasst nur ihr Handgelenk und zerrt sie hinter sich her. Emilia fiepst überrascht und stolpert ihm schließlich nach. Ein paar quälend langen Minuten später, hat Grusha sie in eine ausgehöhlte Einbuchtung gebracht. Hier ist es zwar auch kalt, doch zumindest sind sie vor dem Schneesturm geschützt. „...Das ist doch jetzt nicht wahr, oder...?" Sie klopft sich die Schneereste aus ihrem Haar heraus. Um wirklich ganz sicher zu sein, überprüft Emilia noch einmal den Wetterbericht. Und tatsächlich: Auf dem Montanata ist kein Schnee und gleich zweimal kein Schneesturm gemeldet.

„...Ich verstehe das nicht, es wurde doch gar kein Sturm gemeldet. Was machen wir jetzt?" Grusha lässt sein Snowboard fallen und setzt sich darauf. „Wir warten."
„Und auf was?"
„...Das der Schneesturm vorbeizieht. Bei dem Wind ist es viel zu gefährlich wieder zum Fuß des Berges zurückzukehren." Emilia stöhnt einmal schwer. „...Na großartig...", brummt sie. „...Jetzt sitze ich hier mit meiner schlechten Laune und einem Eisklotz fest..." Grusha reagiert darauf nicht. Er hat seinen kalten Blick stur in den Schneesturm gerichtet. Nach etwa fünf Minuten, nimmt Emilia ihren Rucksack ab und setzt sich neben ihn hin.

Nun schweigen sie sich gegenseitig an. Weder der eine noch der andere sagt etwas. Eine halbe Stunde später ist Emilia komplett durchgefroren. Aus ihrem Rucksack holt die junge Frau ihre Thermoskanne, um den Deckel ein letztes mal mit dem heißen Kakao zu befüllen. Nun ist das Gefäß leer. Emilia trinkt einen Schluck davon. Sofort merkt sie, wie das heiße Getränk seinen wertvollen Dienst verrichtet und sie von innen heraus wieder aufwärmt. Was für eine Wohltat. Am liebsten würde sie den Rest auch gleich noch austrinken. Emilia schluckt einmal. Schließlich überwindet sie ihren inneren Schweinehund und bietet Grusha den Rest ihres Heißgetränkes an. Er sieht zu ihr. Normal würde er auf der Stelle ablehnen, doch er ist ebenfalls am frieren. Sein Körper schreit nach Wärme. Daher nimmt er den Deckel und kippt sich dessen Inhalt rein. Es brennt. Doch es holt seine Lebensgeister wieder zurück.

„...Wieso hast du meine Nachricht ignoriert...?" Emilia zuckt zusammen. „...Keine Ahnung..." Sie zieht die Beine an und schlingt die Arme darum. „...Weil ich davon ausgegangen bin, dass du mich einfach nur ärgern willst..." Grusha dreht den Kopf zu ihr und sieht sie erneut an. „Und...wieso sollte ich das tun...?" Emilia antwortet nicht. Es ist ihr einfach zu peinlich um zuzugeben, dass sie mit dem Korb nicht umgehen konnte. Erneut tritt eisernes Schweigen auf. Zusammen beobachten sie weiterhin den Schneesturm, der unbarmherzig sein Unwesen treibt. „...Irgendwas hat den Berg verärgert...", sagt er schließlich. Emilia zieht eine Augenbraue hoch. „Du hast sie echt nicht mehr alle..." Auch diesmal bleibt die Antwort aus. Zwei Stunden vergehen, in denen die beiden schon in der Höhle gefangen sind. Emilia ist müde geworden. Immer wieder blinzelt sie, doch irgendwann fallen ihr die Augen zu.

Ein eisblaues Augenpaar richtet sich auf sie, als ihr Kopf auf seine Schulter gesunken ist. Grusha mag es nicht angefasst zu werden. Trotzdem lässt er es zu. Im Halbschlaf angekommen, bemerkt es Emilia daher nicht einmal, wie sie etwas unsanft mit dem Kopf weiter auf seinen Schoß rutscht. Er seufzt einmal. „...Verschneite Berge sind gefährlich. Ein falscher Schritt kann dein Leben komplett aus der Bahn werfen." Etwas anderes als abwarten kann er sowieso nicht machen. Außerdem strahlt ihr Kopf eine angenehme Wärme an seinen Beinen aus. Seinetwegen kann sie ruhig so liegen bleiben. Auch wenn das eine riesengroße Ausnahme ist.

„...Emilia, wach auf..." Grusha weckt sie. „...Hää...? Ist es schon morgen...?" Im nächsten Moment wird sie feuerrot als sie begreift, was passiert ist. „....Tschuldigung...!" Er reagiert nicht darauf. „...Schau..." Sie folgt seinem Finger. „...Der Schneesturm...er ist vorbei..." Es schneit nur noch leicht. „...Wie...lange sind wir jetzt eigentlich schon hier...?" Emilia hat total das Zeitgefühl verloren. „...Ich weiß es nicht...lass uns von hier verschwinden..." Das lässt sich die junge Frau nicht zweimal sagen. Also stehen sie beide auf. Emilia setzt ihren Rucksack wieder auf und geht einen Schritt. Es knackt. Sie wird kreidebleich deswegen. „...Grusha...was war das...?"

„...Scheiße...", sagt er nach einem langen Moment. Er weiß genau, was dieses Geräusch zu bedeuten hat. „...Emilia...", sagt er mit einer ungewöhnlich harten Stimmlage. „...Keine...hektischen Bewegungen..."
„Wieso, was ist los?"

„...Wir stehen auf einer zugeschneiten Eisplatte. Und die ist gerade dabei einzubrechen..." Plötzlich macht sich Panik in ihr breit. Ihr Puls erhöht sich und statt zu frieren fängt sie an zu schwitzen. Oder kurz mit anderen Worten gesagt: Sie hat Angst. „...Oh mein Gott...und was machen wir jetzt?" Grusha streckt seinen Arm aus. „Gib mir deinen Rucksack..." Emilia stellt keine Fragen, sondern tut was er sagt. Diesen wirft er aus der Höhle hinaus und schiebt das Snowboard hinterher. „...Und jetzt leg dich auf den Bauch. Wir müssen unser Gewicht verteilen." Leichter gesagt als getan. Sie schluckt einmal bitter. Beide legen sich auf den Bauch. Es knackt erneut. Das Eis unter ihnen hat weitere Risse bekommen.

„Beweg dich wie eine Schnecke vorwärts, langsam und vorsichtig."
„Ich hoffe, du weißt was du da tust..." Mit jeder Bewegung knackt das Eis mehr. Emilia schreit auf, als ein kleines Stück hinter ihr wegbricht. So wird das nichts werden. Also kriecht Grusha voraus, um ihr danach die Hand reichen zu können. Es knackt erneut. „Emilia, beeil dich!" Sie springt auf und wird von ihm gerade noch weggezogen, als die Eisplatte dann schon in sich zusammen fällt. Beide stöhnen einmal erleichtert auf. „Danke...das ist echt knapp gewesen." Angsterfüllt blickt Emilia in den Schlund, der sich vor ihr aufgetan hat. Da geht es echt weit runter. „...Lass uns gehen..." Grusha bekommt ganz große Augen, als beide plötzlich den Boden unten den Füßen verlieren. Ein lauter Schrei hallt durch die Gegend, während Emilia und Grusha in die Tiefe stürzen. So wie es aussieht, war die Eisplatte am Ende doch größer, als ursprünglich angenommen...


Eiskalt erwischt (Abgebrochen)Où les histoires vivent. Découvrez maintenant