Kapitel 1 /Moon

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Wenn ich gewusst hätte, dass das meine letzte Nacht als glücklicher Mensch sein würde, hätte ich mehr daraus gemacht. Vielleicht wäre ich ja total verrückt geworden, und hätte das, was ich mit Draco und Mattheo haben hätte können, durchgezogen. Vielleicht hätte ich nackt auf dem Tisch bei der Party im Gemeinschaftsraum getanzt, und Draco hätte mich von unten angehimmelt. Vielleicht hätte ich mehr gelacht, so viel, bis mir die Brust weh getan hätte. Vielleicht hätte ich Gefühle zugelassen, und auch mal den Anderen die ‚echte' Moon gezeigt. Und vielleicht, wirklich nur vielleicht.. hätten sie mich ja gemocht. So, wie ich war.

Zu viele Vielleicht's.

Am Ende ist es doch egal.

Am Ende war da nur ich.

Und nach dieser Nacht war ich innerlich tot.

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Am Tag vor meiner Abfahrt nach Hogwarts hätte ich nicht mal geträumt, dass mir so etwas jemals passieren würde. Vor einer Woche war ich morgens aufgestanden, mit roten und verquollenen Augen, vom ganzen Weinen. Ich hatte mich aus meinem Himmelbett gequält, war in meine rosa Plüschsandalen geschlüpft und hatte mir meinen -ebenfalls- rosa Bademantel angezogen. Ich hatte mir weinend die Zähne geputzt, war dann weinend nach unten gegangen und hatte mir weinend ein Brot geschmiert.

Als ich danach am Küchentisch saß, an dem eigentlich meine Eltern mit mir hätten sitzen sollen, sah ich auf die Wiese hinaus, die man vom Küchenfenster aus gut sehen konnte. Hinter der Wiese war ein großes Waldstück, in dem mein Vater und ich oft Verstecken gespielt hatten und ich jeden Herbst mit meiner Mutter zum Pilze sammeln war.

Die Sonne schien durch das Küchenfenster und blendete mich, sodass ich aufstand und zum Fenster ging. Ich wollte die Rolladen herunterlassen und dann wieder nach oben in mein dunkles Zimmer verschwinden. Als ich dann aber am Fenster stand, sah ich am Waldrand zwei Eulen. Es war das erste Mal, dass ich echte Eulen sah, denn meine Eltern besaßen nur Katzen. Ich war wie gebannt vom Anblick dieser zwei Eulen. Sie saßen dort am Ast, so voller Frieden.

Ich erinnerte mich an meine unbeschwerte Kindheit...

Mein blaues Kleidchen mit den aufgestickten, kleinen gelben Sonnenblumen wehte im Wind. Die Sonne streifte den Saum, der mir um die Beine wehte. Ich lachte. Es war eines dieser Art Lachen, das jeden um mich herum glücklich machte und jeder einfach nur mitlachen konnte. ‚Moon!' Ich drehte mich um, das Lächeln noch auf den Lippen, und streckte im selben Moment die Hand nach der Frau aus, die neben mich trat. Sie hatte dunkelgraue, hervorstechende Augen, fast wie Gewitterwolken, ein wirklich schönes Grau, in das man versinken konnte. ‚Wollen wir essen?', fragte mich meine Mutter. Ich war das Ebenbild dieser wunderschönen Frau, die nach mir gerufen hatte. Wir hatten beide rote Haare und große, graue Augen. Ein Grau, fast so wie die Sturmwolken in den Highlands, in denen wir in meiner frühen Kindheit gewohnt hatten. ‚Mami, ich hab dich so lieb.' Ihre Augen glitzerten in der Sonne. Dann hob sie mich hoch und gab mir einen Kuss. ‚Ich dich auch, mein Schatz.'

Der Schmerz der Erinnerung überkam mich wie ein Gewitter an einem Sommertag.

In diesem Moment, da am Fenster, beschloss ich, dass es Zeit für mich wurde, erwachsen zu werden.

Ich sah an mir herunter, wie ich da stand. Ich sah aus wie ein kleines Kind, das ich doch schon lange nicht mehr war. Ich schluckte den letzten Bissen meines Butterbrotes hinunter und seufzte. Dann strich ich mir meine Tränen aus den Augen und fuhr mir durch die Haare. Ich konnte so nicht weitermachen.

Nach einem langen Bad und einer ausgiebigen Haarwäsche sah ich wieder aus wie ein normaler Mensch. Ich hatte mich die ganze Zeit über zusammengerissen und keine einzige Träne vergossen, nicht einmal, als ich es erst nicht schaffte, meine Haare zu entwirren, die ich seit Tagen nicht gebürstet hatte.

Ich war aus der Wanne gestiegen und stand vor dem großen Spiegel im Badezimmer und sah an meinem nackten Körper herunter. Ich hatte mich seit Monaten nicht angesehen. Abgenommen hatte ich, man konnte sogar meine Rippen sehen. Es wunderte mich nicht, ich hatte kaum gegessen und sah aus, als wäre ich am Verhungern.

Ich hätte nicht zählen können, wie oft ich damals vor meinem Spiegel stand und in meine vor Trauer geprägten Augen starrte und am Liebsten einfach ‚Obliviate' gesagt hätte. Ich hätte mich lieber selbst gelöscht, als diesen Schmerz weiterhin zu ertragen. Ich hätte mich aufgegeben. Wie gerne ich es getan hätte. Doch am Ende ließ ich jedes Mal meinen Zauberstab fallen und verkroch mich wieder weinend in meinem Bett.

Mit einer Hand griff ich nach meinem Handtuch und verhüllte den Anblick im Spiegel. Ich wollte ab jetzt nicht mehr dieses weinerliche Etwas sein. Ich wollte jemand sein, auf den meine Eltern stolz sein würden.

An diesem Tag verbrachte ich die Zeit damit, meinen ganzen Kleiderschrank nach allem zu durchsuchen, was nicht nach ‚Kleinmädchen' aussah. Ich warf alles weg, was mich an meine Kindheit erinnerte. Am Ende behielt ich nur meine Schneekugel und eine Ausgabe von Beedle dem Barden, die ich von meinen Eltern bekommen hatte.

Meine Koffer waren voll von meinem ‚neuen' Ich. Mein Herz war voll von Schmerz. Meine Augen waren voller Sehnsucht und meine Hände voll mit alten Fotoalben meiner Eltern.

Mein neues Ich war bereit für mein neues Leben.

Selenophile. [Draco Malfoy] GERMANWhere stories live. Discover now