✔Kapitel 12

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Kapitel 12

Harry setzte sich auf und schaute den Jungen, der an der Tür stand, an. Louis, der unsicher von einem Bein auf das andere trat, wusste nicht so recht, was er tun sollte. Sollte er zu Harry gehen? Oder wollte Harry ihn vielleicht gar nicht sehen? "Ähm, hi ... ich ... ich sollte wieder gehen, du wolltest gerade schlafen." Louis drehte sich um und legte seine Hand auf die Türklinke. Was tat er hier? Er machte sich vor Harry gerade völlig lächerlich, dachte er. "Du musst nicht gehen", hielt Harry ihn auf. Louis blickte nun wieder zu ihm und ging nach einem einfachen Okay auf ihn zu.

"Wie geht's dir?" Louis traute sich nicht Harry direkt anzusehen, er fühlte sich schuldig, weswegen er seinen Blick auf die gelbe Bettdecke richtete. "Besser", antwortete der nur. Er hatte schon wieder dieses komische Gefühl im Bauch. Was war das bloß, fragte er sich. Er kannte dieses Gefühl nicht. Vielleicht sollte er mal einen Arzt fragen, um auszuschließen, dass er krank war.

Beide schwiegen, wussten nicht, was sie sagen sollten. Harry, weil er Probleme hatte Gespräche aufrechtzuerhalten, und Louis, weil er ein schlechtes Gewissen hatte. Die Stille wurde immer unangenehmer für beide und Louis entschied, dass er unbedingt was sagen musste, damit das Ganze nicht in einem völligen Desaster endete. "Es tut mir leid, dass das passiert ist. Jonathan ist eindeutig zu weit gegangen." Harry schüttelte den Kopf. "Du kannst nichts dafür. Ich muss mich bedanken, du hast mir das Leben gerettet." Ein leichtes Lächeln umspielte Louis' Lippen. "Jeder Zeit wieder." Auch auf Harrys Gesicht schlich sich ein Grinsen. "Wie bist du eigentlich hier reingekommen? Die Besuchszeit ist doch längst vorbei." Lässig zuckte Louis mit den Schultern. "Hab mich reingeschlichen." Harry konnte sich ein Lachen nicht verkneifen bei die Art, wie Louis es sagte, als wäre es das Normalste der Welt. "Magst du vielleicht einen Film gucken? Ich hab einen Laptop dabei." Louis wollte mit ihm einen Film schauen. Harry hatte das Gefühl, er wäre in einer anderen Welt. "Was ist, wenn sie dich erwischen?" Louis packte seinen Laptop aus und stellte ihn neben Harry aufs Bett. "Ich denke nicht, dass es dazu kommen wird. Die Schwester schien ziemlich beschäftigt mit dem Oberarzt zu sein. Wenn du verstehst, was ich meine." Louis wackelte mit den Augenbrauen und Harry verstand. "Okay", antwortete er deshalb und richtete seinen Blick auf den Laptop. "Also, ich habe The Avangers, The Fast and the Furious oder GI Joe." Harry gefiel Louis' Filmgeschmack. Auch er mochte diese Filme. Einen ganz besonders. "The Avangers", antwortete er deshalb und mit einem Nicken startete Louis den Film. Er zog sich den Stuhl ans Bett und setzte sich darauf. Klar hätte er auch im Bett genug Platz gehabt, aber er wusste, dass Harry diese Nähe nicht mochte.

Als sie den Film sahen, dachte Louis weiter über Harry nach. Er wusste eigentlich kaum etwas über diesen Jungen mit den traumhaft grünen Augen. Seinen Namen, sein Alter und natürlich, dass er Asperger hatte. Aber was genau dies zu bedeuten hatte, wusste er noch nicht. Er entschloss sich dazu, sich später darüber etwas genauer zu Informieren. Vielleicht würde er manche Handlungen dann besser verstehen. Aber über eines war er sich sicher, er wollte ihn besser kennenlernen. Natürlich nur, wenn Harry dies zulassen würde.

Sie schauten den Film schweigend, lachten hin und wieder, wenn Hulk mal wieder seine fünf Minuten hatte, oder über einen Spruch von Iron Man. Langsam wurde es doch unbequem auf dem Stuhl. Louis' Hintern schmerzte und er rutschte immer wieder hin und her, um sein Gewicht so zu verlagern, dass es ihn nicht mehr schmerzte.

Harry nahm dies zur Kenntnis und schielte hin und wieder zu Louis, der seinen Blick auf den Laptop gerichtet hatte. Sollte er ihn vielleicht fragen, ob er auf dem Bett sitzen möchte? Normalerweise ließ Harry nur seine Familie so nah an sich heran, aber Louis hatte ihm das Leben gerettet und er wollte es irgendwie wiedergutmachen. Auch wenn ein angenehmer Sitzplatz nicht ansatzweise gleichgestellt wäre wie ihm das Leben zu retten. Aber es wäre ein Anfang. "Möchtest du vielleicht mit auf dem Bett sitzen?". fragte er deshalb unsicher. "Wäre das okay für dich? Ich kann auch hier sitzen bleiben, wirklich" Harry schmunzelte. "Es ist okay." Erleichtert stand Louis auf. "Gott, danke. Mein Hintern tut höllisch weh. Ich sollte mich bei den Leuten hier beschweren, dass die Stühle so unbequem sind." Harry lachte wieder und Louis gefiel dieses Lachen. Es klang wie Honig in seinen Ohren. Gott, was dachte er da? Schnell schüttelte er den Gedanken beiseite und setzte sich neben Harry ins Bett, mit der Vorsicht ihm nicht zu nahe zu treten.

Als er eine gute Position gefunden hatte, schaute er noch mal zu Harry. "Ist das okay so?" Harry fand es wirklich süß, wie unsicher und vorsichtig Louis sein konnte. Nie hätte er gedacht, dass sich hinter Louis' sonst so fiesen Fassade ein wirklich netter Mensch versteckte. Harry war sich nicht sicher, aber vielleicht bestand doch eine kleine Chance, dass sie noch Freunde werden könnten. Dann hätte er zwei, mehr als jemals in seinem bisherigen Leben. Er nickte Louis zu und lehnte sich dann wieder entspannt zurück, um den Film weiterzuschauen.

Es herrschte wieder Schweigen zwischen den beiden, aber diesmal war es kein unangenehmes, es war perfekt so. Harry konnte es aber nicht lassen, immer wieder unbemerkt zu Louis hinüberzuschielen. Louis war vertieft in den Film und bemerkte Harrys Blicke nicht. Zum Glück, dachte Harry, sonst wäre das wirklich peinlich geworden. Bei einer lustigen Filmszene musste Louis so laut lachen, dass dieses den ganzen Raum erfüllte. Harry musterte sein Gesicht und die Lachfältchen, die um seine Augen traten, machten Louis perfekt. Noch nie hatte Harry einen Jungen als wunderschön oder perfekt bezeichnet, doch hätte man ihn gefragt, was für ihn Perfektion bedeutete, hätte er ohne zu zögern Louis gesagt.

Völlig in Gedanken und seine Augen ununterbrochen auf Louis gerichtet, vergaß Harry den Film. Seine Gedanken kreisten nur noch um Louis, der neben ihm der gerade wieder herzhaft lachte. "Harry, hast du das gesehen, wie Hulk ..." Louis stoppte mitten im Satz, als er zu Harry blickte und bemerkte, wie er ihn anstarrte. Leicht musste er schmunzeln. Noch immer wurde er angestarrt und Harry schien nicht zu bemerken, dass Louis es bereits gesehen hatte. "Ähm, Harry? Alles okay?", fragte er, noch immer mit einem wissenden Grinsen im Gesicht. Blitzschnell erwachte Harry aus seiner Trance und schaute mit roten Wangen verlegen zurück auf den Laptop. Gott, es war ihm unendlich peinlich. "Sorry." Louis lehnte sich zurück ins Bett. "Schon okay. Du bist nicht sehr gesprächig, oder?" Harry räusperte sich, versuchte einen klaren Gedanken zu fassen und seine Stimme wiederzufinden. "Es tut mit leid. Ich bin nicht besonders gut darin, Gespräche zu führen. Ich ... ich würde gern, aber manchmal weiß ich einfach nicht, wie ich das anstellen soll. Es überfordert mich meistens." Aufmunternd sah Louis den schüchternen Jungen an. "Hey, entschuldige dich nicht dafür. Es ist nicht deine Schuld. Und außerdem bin ich sowieso eine Labertasche, da kommst du kaum zu Wort." Harry lächelte und fragte sich erneut, wo dieser Louis die ganzen letzten Jahre gesteckt hatte. "Aber Harry ... ich weiß nicht, wie ich es sagen soll, manche Dinge, die du tust, verstehe ich nicht. Aber ich möchte es gern verstehen." Harry war erstaunt, Louis interessierte sich wirklich für ihn. "Dann frag mich, Louis."

✔Asperger 1 - I'm not a Freak •|• Larry [In Überarbeitung]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt