Je mehr Jungkook sprach, desto ruhiger schien Taehyung zu werden. Sein Kiefer schien nicht mehr so angespannt und auch seine Haltung war nicht mehr so verkrampft. Es sah aus, als würde er einfach in Jungkooks Schoß liegen und... es passieren lassen.

„Sie ist weg, oder?", flüsterte Jungkook leise.

Taehyung brachte nur ein steifes Nicken zustande und kniff die Augen zusammen.

Jungkooks Brust zog sich zusammen. „Okay. Ich kann... reden. Du musst nicht—lass dir Zeit. Es tut mir leid. Gibt es irgendetwas, dass ich tun kann, damit deine Stimme wieder—"

Ein Kopfschütteln. Taehyungs Körper begann wieder zu beben.

„Nein, nein, nein. Taehyung. Nicht weinen, es ist alles okay. Sie kommt wieder, oder? Du hast gesagt, wenn du—wenn du überfordert bist, dann—verschwindet deine Stimme, aber sie kommt wieder. Okay? Okay."

Jungkook begann wieder, mit den Fingern durch Taehyungs Haar zu streicheln. Es erinnerte ihn daran, dass Taehyung dasselbe beim ihm getan hatte, als ihm nach Weinen zumute war, weil ihn seine Gefühle überwältigt hatten und er sich so schlecht fühlte, wie noch nie zuvor. Er hoffte, dass es Taehyung genauso half wie ihm damals. Dass er sich auch sicherer und wohler fühlte und seine Gedanken—seine schrecklichen, von Schuld geplagten Gedanken—nur ein bisschen beruhigt wurden.

Jungkook konnte sich nicht vorstellen, mit welchen Gedanken sich Taehyung tagtäglich auseinandersetzen musste. Wie sehr ihn die Schuld lebendig aufzufressen schien. Er wollte sich nicht vorstellen, dass Taehyung jahrelang mit keinem über sein Trauma gesprochen hatte, dass seine einzige Familie—seine Tante—ihm nicht helfen wollte. Oder nicht helfen konnte.

Taehyung wollte etwas sagen, aber aus seiner Kehle kam nur ein Krächzen. Sein Atem wurde schneller.

„Jedes Mal, wenn ich Panik schiebe, weil ich zu viel gegessen habe und ich dieses... ekelhafte Gefühl in mir bekomme, sagt meine Mutter zu mir: ‚Atme. Es ist okay. Alles wird okay. Atme.' Und ich atme und erinnere mich an all die Male in der Vergangenheit, wo ich Angst hatte und mich elend gefühlt habe. Also, atme, Tae. Denk an all die Male, in denen du dich so hilflos und überfordert gefühlt hast, in denen der Schmerz so groß war, dass du dachtest, du kommst nie wieder aus dem Loch und denk daran: Du hast es geschafft. Du bist hier bei mir und du hast es geschafft und—ich bin so stolz auf dich." Jungkook lehnte sich wieder nach unten und stützte seine Stirn gegen Taehyungs Kopf. Taehyungs Haare kitzelten seine Haut. „Solange du nicht aufgibst und weitermachst, egal wie hoffnungslos alles scheint, du wirst es schaffen. Du musst jetzt nicht sprechen, lass dir Zeit, bis du dich wieder bereit fühlst. Ich weiß, es überfordert dich." Er stoppte und blickte nach unten. „Soll ich weiterreden, oder ist es zu viel?"

Bin ich zu viel?

Taehyung vergrub den Kopf tiefer in Jungkooks Bauch und Jungkooks Herz machte einen Satz, so stark, dass seine Hand zuckte und er die Augen für einen kurzen Moment schließen musste.

Jungkook schluckte und hauchte: „Okay."

Seine Hand massierte weiter Taehyungs Kopfhaut, dann stillten seine Finger. Er sagte leise: „Ich glaube, ich mag deine Tante nicht." Er biss sich auf die Lippe. „Es ist nicht so, dass—sie—ich glaube nicht, dass sie eine schlechte Person ist oder du ihr egal bist, aber ich denke, sie versteht dich nicht. Sie versucht nicht mal, dich zu verstehen. Du redest nicht mit ihr, aber sie besteht trotzdem darauf, dass du sie anrufst und das ist nicht okay. Du verdienst es, Grenzen zu haben. Du solltest dich nicht unter Druck setzen lassen zu sprechen oder das Gefühl haben, dass die einzige verwandte Person, dich nicht akzeptiert, so wie du bist— Sie ist die Einzige, die du noch hast, oder? Ist sie die Schwester deiner Mutter oder deines Vaters?"

All The Words You Never Said [VKOOK]Where stories live. Discover now