Burning Oaths at the Beach of Pearls

Perfektion

Die Stimmung während eines Turniers war immer eine andere als bei Veranstaltungen, an deren Ende keine Titelverleihung stand. Auch das Publikum war ein Größeres. Die Meisterschaften fanden immer zur Hochsaison des Tourismus' statt, weswegen entsprechend viele Schaulustige sich am Strand, an den Klippen und auch auf den im Meer treibenden Booten versammelt hatten. Es spielte Musik, Essen und Trinken gab es zu kaufen, Snacks, Leckereien. Es war ein großes Sportevent, welches von unzähligen Sponsoren getragen wurde, die hier ihre Werbung machten.

Es waren schon einige namenhafte Kandidaten gestartet. Und als nächstes stand der Sprung der Sprünge an. Etsu. Auf dem jungen Mann musste eine Erwartungshaltung lasten, die ihn entweder beflügeln oder aber hinunterzerren würde in einen viel zu tiefen Abgrund.

Dieser Moment der Stille kurz vor dem Absprung... Kaum jemand wagte sich zu bewegen um die Konzentration des Springers nicht zu stören. Jeder abweichende Zentimeter konnte ernst zu nehmende Folgen haben. In knapp 20 Metern Höhe am Rande dieser rauen Klippe, auf diesem felsigen Vorsprung stand Etsu atmete mehrfach tief durch. Der junge Mann würde wissen, dass alle Augen auf ihn gerichtet waren. So war es Kaoki auch immer ergangen. In Gedanken ertappte er sich dabei, wie er Etsu anfeuerte, wie er ihn förmlich beschwor, dass er es schaffen würde.

Etsu stieß sich ab. Der Absprung war kraftvoll gewesen, gerade. Beste Voraussetzung. Er ging in einen dreifachen Vorwärtssalto über, gewann an Geschwindigkeit. Zu schnell. Die angeschlossene Schraube kurz vor der Wasseroberfläche würde überdrehen, wenn er nicht - Etsu gewann die Kontrolle wieder und glitt mit einer Geschmeidigkeit ins Wasser hinein, die kaum einen überflüssigen Spritzer verursachte.

Jubel brach aus und die Punkterichter gaben ihre Wertung ab. Kaoki musste gar nicht erst auf die Anzeigetafel schauen um zu wissen, dass es für Etsu den nächsten Sieg bedeutete. Fantastisch. Es war fast, als wäre er selbst gesprungen. Ganz genau wusste er, wie Etsu sich jetzt fühlte, als er aus dem Wasser stieg und ihm der nach oben gereckte Daumen des Trainers das Signal gab, dass sie ihr Ziel erreicht hatten. Für Etsu war der Weg frei bei den ganz Großen ihrer Disziplin mitzuspielen und Kaoki teilte die Euphorie, die der andere empfinden musste. Er freute sich für den Jüngeren - und auch wenn es egoistisch war... Etsu war das nur wegen ihm vergönnt. Wenn er vor vier Jahren nicht eingegriffen hätte, würde die Welt des Klippenspringens ohne dieses Talent auskommen müssen. Sie hätte nicht nur ihn verloren, sondern auch Etsu.

Während ihn die Narben optisch entstellt hatten, waren die Schrauben und Bolzen in seinen Gliedmaßen der Grund, warum er körperlich dermaßen eingeschränkt war, dass er selbst nicht mehr springen konnte, doch das hielt ihn doch nicht länger davon ab wieder an der Welt teilzuhaben, die so viele Jahre von Kindesbeinen an sein Zuhause gewesen war...

All seine vormaligen Trainingskameraden und Konkurrenten konnten in körperlicher Perfektion performen - und er war in der Lage darüber mit Fachwissen und Kenntnis, Erfahrungen aus eigener Hand zu urteilen. Das musste man auch erst einmal erreichen. Weder Neid, noch Missgunst erfüllten ihn. Es war eine Art Sehnsucht, die er nicht leugnen konnte, doch was viel bewegender war, war die Tatsache, dass er Stolz empfand. Er hatte zu diesen Spitzenathleten gehört.

"Dein Lächeln ist wundervoll."

Er lächelte? Er lächelte. Kaoki wandte den Kopf demjenigen zu, der ihn daraufhin gewiesen hatte. Brynn. Sein Ex-Freund reichte ihm gerade ein Eis, seine Lieblingssorte. Dankend nahm er es an. „Müsstest du nicht trainieren?"

"Wir haben uns rausgeschlichen", flüsterte Brynn kichernd.

"Ungezogen..." Kao wackelte mit den Augenbrauen und nahm einen Happen des Eises, welches bereits zu schmelzen begann.

Brynn schmunzelte verschmitzt. "Ich erinnere mich an Tage, da hat dich das richtig angemacht." Er hielt seine Stimme gesenkt, hatte sich zu ihm geneigt und Kao ließ das Eis in seiner Hand ein Stückchen sinken.

War er dumm sich wieder darauf einzulassen? Sich Brynn noch einmal hinzugeben, als wäre nie etwas zwischen ihnen vorgefallen? Als wäre dies das erste Mal? Kaoki wusste nicht, ob er nicht klüger sein sollte, als das... doch sein Herz schrie ihm förmlich entgegen, dass er Brynn lieben sollte mit allem, was er hatte. Und er hatte dem anderen seine fortdauernde Liebe doch bereits gestanden, also warum dachte er nun an Zurückhaltung?

Der Gedanke, dass sich Brynn für die Karriere anstatt für ihn entschieden hatte, hatte ihn verletzt. Das konnte Kao nicht leugnen. Aber sie waren jung... und die Chance zu lieben würde immer wieder kommen... die Chance einen beruflichen Weg einzuschlagen irgendwann nicht mehr... Eine verlorene Liebe verzieh einem das Leben eher als eine verpatzte Gelegenheit sich einen Weg zu ebnen, der das Leben tragen würde. Wie konnte er Brynn diese Entscheidung also vorhalten? Oder waren das alles nur Rechtfertigungen? Selbstgemachte Erklärungen, damit man irgendetwas hatte, an dem man sich festhalten und orientieren konnte?

Er sah Brynn an. "Flirtest du mit mir?", fragte er frei heraus um Missverständnisse vorzubeugen.

Der Brünette verzog das Gesicht. "Erwischt... Scheiße, ja. Offensichtlich war das ein kläglicher Versuch, aber dein Lächeln ist magisch. Es kriegt mich immer wieder." Das klang ja beinahe nach einer Entschuldigung.

Kaoki widmete sich dem Eis ohne Brynn eine Reaktion zu geben.

Unruhig trat der Surfer von einem Bein auf das andere. "Kao. Mir ist egal, ob das ein schlechter Zeitpunkt ist oder ob es überhaupt angemessen ist. Mir ist völlig egal, was andere darüber denken mögen -"

"Psst!", machte Kaoki entrüstet. Der nächste Springer hatte sich bereit gemacht. "Du redest zu viel", fügte er an und deutete nach oben auf den Vorsprung, an den der nächste Kandidat sich bereits vorgewagt hatte.

"Geh mit mir aus!", platzte es aus Brynn heraus und Kaoki sah ihn entgeistert an - in dem Moment, als er hinter sich das Eintauchen des Klippenspringers hörte, weiteten sich seine Augen, weil er die Tragweite von Brynns Frage erst jetzt begriff. Mit geöffnetem Mund starrte er seinen Ex-Freund an. Das schmelzende Eis tropfte auf seine Finger. Sein Puls beschleunigte sich und sein kaputtes Knie wurde weich. Brynn sah ihn mit leicht zusammengezogenen Brauen an, als würde er sich dafür wappnen einen Korb zu erhalten. Dennoch wartete er sein Zögern ab und wollte eine Antwort.

Sollte er diese Forderung ablehnen? Ein Flirt war das eine... ein Date etwas anderes. Doch da war es wieder... dieses leise Rufen seines Herzchens, von dem Brynn noch immer ein ziemlich großes Stück gehörte. Kaoki nickte mehrfach und Brynns Miene hellte sich auf, die Furcht wich Freude. Und es geschah viel zu schnell, als dass er es hätte verhindern können, der Brünette griff sich seine Hand, hob sie an und platzierte einen Kuss auf dem Handrücken, schenkte ihm ein glückliches Lächeln. "Sonntag, 15 Uhr? Du weißt wo."

Wieder nickte Kaoki. Er wusste ganz genau wo Brynn ihn treffen wollte. Ein wohliges Gefühl erfüllte seine Brust. Glückliche Erinnerungen wurden wach, die er nur mit diesem Mann teilen konnte.

"Ich muss los. Freu mich auf dich." Brynn gab seine Hand wieder frei und machte sich dann auf den Weg.