Wiedersehen

8 0 0
                                    

Es war ein heißer Tag und die Sonne prallte bereits am Vormittag auf die Großstadt hinab. Der Asphalt der Straßen war durch die warmen Tage zuvor unlängst aufgeheizt und ließ die Luft flimmern. Kaoki war froh, dass er in der Nähe des Meeres arbeitete und nicht inmitten der Betonklötze der City. Zum Strand musste er nur die Straße überqueren, auch wenn er sich hüten würde ins Wasser zu steigen.

"Diese Rollen sind etwas weicher. Sollte genau das sein, was du benötigst." Er reichte das kleine Päckchen an den Jungen weiter, der sein Skateboard unter dem Arm hielt und erleichtert lächelte. "Sind auch in deinem Budget", fügte Kaoki an. "Du kannst direkt in die Werkstatt nebenan. Mein Kollege bringt sie an. Bezahlen kannst du danach."

"Danke!" Sein Kunde ließ sich das nicht zweimal sagen und war schon von dannen.

Zwei Jahre arbeitete er mittlerweile in diesem Shop für Skate- und Surfbedarf. Sein Bruder hatte ihm diesen Job besorgt und gegenüber Meneo würde er es niemals zugeben, aber er hatte die Arbeit lieb gewonnen. Die glücklichen, zufriedenen Gesichter der Kunden waren Balsam für seine Seele, insbesondere an jenen Tagen, an denen er nichts Gutes an sich selbst fand. Wenn er zu sonst nichts fähig war, dann wenigstens dazu anderen einen Dienst zu erweisen.

Er trat wieder hinter den Kassentresen und nahm erneut die Arbeit auf die Schlüsselanhänger auszupacken, die mit der letzten Lieferung gekommen waren. Niedliche, kleine Surfbretter... Er würde seinem Bruder eines davon schenken. Noch während er einen Blauen heraussuchte, die Farbe von Meneos tatsächlichem Brett, vibrierte sein Smartphone in seiner Hosentasche.

Kao fischte es hervor und entdeckte den Namen seines Bruders auf dem Anzeigebild. Für den Moment überlegte er, ob er den Anruf nicht einfach ignorieren sollte, schließlich war er bei der Arbeit und hatte seinen Bruder bereits mehrfach darum gebeten, ihn nicht während der Arbeitszeit anzurufen. Dann aber ertappte Kao sich selbst dabei, wie großartig er fand, dass ihre Zwillingstelepathie mal wieder zugeschlagen hatte und sein Bruder im selben Augenblick wie er an ihn gedacht zu haben schien. Kaoki nahm den Anruf entgegen. "Mach schnell, Neo, ich bin bei der Arbeit."

"Hey Kao. Ich bin mit den Jungs am Strand und es waren ein paar fremde Surfer da und -"

"Komm auf den Punkt, Neo." Unruhig warf Kao einen Blick über seine Schulter, als er seinem Zwilling ins Wort fiel, doch der Laden war aktuell unbesucht.

"Wie sich herausgestellt hat, gibt es wohl ein Trainingscamp für mehrere Institute und Teams in der Stadt." Meneo machte deutlich den Anschein als wollte er auf irgendetwas hinaus, was er sich nicht gänzlich traute in Worte zu fassen. Sein Bruder war sonst stets immer sehr direkt und frei heraus, was also bereitete ihm derartiges Kopfzerbrechen? Hinter sich hörte Kao das Windspiel läuten, welches an der Eingangstür befestigt war und neue Kunden ankündigte. "Unter den Surfern war auch -"

Kao drehte sich um, lächelte zur Begrüßung und entschuldigend gleichermaßen, da er am Telefon war. Doch dieses herzerwärmende Lächeln erstarb zu Eis. "Brynn...", beendete er den Satz seines Bruders, seine Stimme tonlos und ohne jegliche Tiefe.

"Oh nein..." Meneos Reaktion deutete daraufhin, dass er ganz genau wusste, was gerade geschehen war. „Ich bin gleich da!"

Kao ließ sein Smartphone sinken, sein Gesicht war zu einer ausdruckslosen Maske verkommen. Brynn stand vor ihm. Seine erste, große und einzige Liebe. Sein Ex-Freund - der ihn vor vier Jahren verlassen hatte.

"Kaoki!"

Er war es. Tatsächlich. Diese klare Stimme, die immer diesen heiteren Unterton in sich getragen hatte, der er über Stunden hinweg hatte zuhören können, war noch immer die Gleiche. Brynn sah noch immer aus wie an dem Tag, als er ihn das letzte Mal gesehen hatte... vor drei Jahren? Ja. In Etwa. Es war Weihnachten gewesen. Nur ein paar neue Lachfältchen umspielten die meeresblauen Augen, die ihn immer an den Ozean erinnert hatten, in den er sich in jeder freien Sekunde bereitwillig gestürzt hatte - und der ihn jetzt heillos überforderte.

Brynn fuhr sich durch die kurzen, braunen Haare. Man konnte ihm ansehen, dass er genauso überrascht von dieser Situation war, wie Kao selbst. "Du arbeitest hier?", stellte er das Offensichtliche fest. Die zwei anderen jungen Männer, in deren Begleitung er hergekommen war, schienen zu verstehen, dass sie einander kannten.

Sein Mund war trocken, seine Zunge fühlte sich schwer an, ganz so als würde er kein Wort formen können. Kaoki spürte das Beben seiner Hände, als er das Handy beiseitelegte und versuchte sich am Tresen festzuhalten. Das Klopfen seines Herzens war gefährlich unregelmäßig. Auf ihn rauschten Empfindungen ein, die er Jahre lang nicht mehr erfahren hatte, die ihn an Dinge erinnerten, die er lieber vergessen wollte, die er vergessen musste um weiter machen zu können. Kao hatte den Atem angehalten. "Ja", brachte er gepresst hervor.

"Wie steht das Training?"

Natürlich. Was sollte man auch sonst anderes fragen...? Kaoki biss sich auf die Unterlippe um ihr Zittern zu verbergen. Die Überraschung des Wiedersehens war ernsthafter Sorge gewichen, das konnte Kao nun deutlich in Brynns Gesicht erkennen. Dafür kannte er diesen Menschen zu gut.

Warum nur? Warum war sein Ex hier? Warum fühlte er sich so hilflos? Eigentlich war er ihm überhaupt keine ehrliche Antwort auf diese Frage schuldig. Seine Therapeutin würde ihm jetzt allerdings dazu raten es nicht zu leugnen. Daher holte Kaoki tief Luft. "Ich bin ausgestiegen aus dem Sport." Und nachdem er diese Worte ausgesprochen hatte, ging es ihm tatsächlich besser. Keine Geheimniskrämerei. Wenn er es ihm nicht erzählte, dann war es ein anderer Weg, auf dem Brynn dies erfahren würde.

Sein Ex-Freund tat einen Schritt auf ihn zu. "Warum?"

"Kao!" Die Tür zum Geschäft wurde begleitet von dem Brüllen seines Namens förmlich aufgerissen. Meneo stürzte herein mit sandigen Beinen und Armen, die dunkelblonden Haare ein durchnässtes Chaos, völlig außer Atem, als wäre er die volle Strecke zu ihm durchgesprintet. In den hellblauen Augen stand ein fast panischer Blick aus der Furcht heraus geschrieben, dass er die Situation nicht abhandeln konnte...

Aber er war okay. Womit Kao selbst nie gerechnet hätte. Der erste Schock war verklungen und es hatte sich ein mattes Lächeln auf sein Gesicht gelegt. Zwar erreichte es nicht seine Augen, aber es bedeutete, dass er sich diesen Umständen stellen konnte.

Es war Brynn, der zuerst reagierte und sich an seine zwei Freunde wandte. "Hey, wollt ihr nicht schon mal nach einem Platz im Café schauen? Die Zwillinge sind Schulfreunde von mir. Wir quatschen kurz." Brynns Begleiter wirkten nicht unbedingt überzeugt, schienen aber zu verstehen, dass sie fehl am Platze waren und hoben zum Abschied die Hand, ehe sie kehrt machten und den Laden verließen.

Brynn hatte seine Stirn in tiefe Falten gelegt und sich ihnen wieder zugewandt. "Was ist los?", erkundigte er sich abermals, der Tonfall dieses Mal strenger.

"Verletzungen", gab Kaoki die kurze, aber präzise Antwort.

"Ah. Verstehe. Hoffe nichts allzu Ernstes."

Meneos Blick sprang zwischen ihm und seinem Ex-Freund hin und her, wusste wohl auch nicht so genau, was er nun unternehmen oder sagen sollte.

"Wie geht's euch sonst so? Studierst du noch, Neo?" Die Anspannung erfasste nun auch Brynn, ihm wurde offenbar unwohl. Kaoki bekam Mitgefühl. Die Anwesenheit seines Bruders machte die Situation nicht leichter für sie.

"Ja", antwortete sein Zwilling genauso kurzangebunden wie er zuvor.

"Okay..." Brynn räusperte sich. "Na ja, ich bin eine Weile in der Stadt. Vielleicht ergibt sich eine Gelegenheit für ein Treffen. Wäre schön. Der alten Zeit willen."

Die alte Zeit... in der Meneo und Brynn engste Freunde gewesen waren, in der er sich noch nicht als Krüppel gesehen hatte und in der er und Brynn noch ein glückliches Paar gewesen waren.

Die Zeiten waren vorbei.

Burning Oaths at the Beach of PearlsTempat cerita menjadi hidup. Temukan sekarang