54 // ich liebe dich leider

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Mit schnellen Schritten laufe ich auf den Tisch zu, an dem Shalik sitzt. Vom Boden bis zur Decke ist eine Trennwand aus Plexiglas installiert, die den Tisch in der Mitte teilt. "Bitte nicht an die Scheiben fassen", mahnt ein laminiertes Schild. Willkommen in Deutschland.

Mein Herz rast, doch als Shalik mir ein einnehmendes Lächeln schenkt, fällt mir ein Stein vom Herzen.

Er sieht hübsch aus, die schwarzen Haare für seine Verhältnisse ungewöhnlich lang und er trägt ein hellblaues Shirt, welches ihm gut steht.

Neben Shalik tritt ein Beamter, rückt sich einen Stuhl zurecht und nickt ihm kurz zu. Während der junge Mann mit den hellblonden Haaren Platz nimmt, greift Shalik nach dem Hörer und tippt auf den Tasten des neben ihm befindlichen Telefons herum. Auch der Beamte greift nach einem Hörer, da klingelt das Telefon, das links von mir steht.

Ich greife nach dem Hörer und presse ihn mir ans Ohr.

"Hey", ertönt Shaliks tiefe Stimme und ich habe mich selten so gefreut, sie zu hören, wie in diesem Moment.

"Hey", antworte ich aufgeregt. "Wie geht's dir?"

So oft habe ich mich das gefragt. Wie geht es Shalik? Wie kommt er mit der Isolation klar? Machen ihn seine Gedanken verrückt? Oder geht es ihm im Gegenteil schon wieder etwas zu gut in Haft?

"Gut, wie geht's dir?", antwortet er leichthin.

"Danke geht und wie geht's dir wirklich?"

Shalik schluckt und wirft einen Seitenblick auf den Beamten neben sich, der teilnahmslos durch die Gegend schaut. Es scheint in uns beiden gleichermaßen Unbehagen auszulösen, dass eine dritte Person unserem Privatgespräch beiwohnt.

"Es geht. Ich habe mich langsam eingelebt und komme klar. Ich vermisse dich nur sehr. Und Chico natürlich, den vermisse ich auch." Über sein trauriges Gesicht huscht ein kurzes Lächeln bei dem Gedanken an den treudoofen Staffordshire Terrier. "Und wie ist es bei dir? Kommst du klar, alleine mit Chico?"

"Klar", ich schenke ihm ein aufmunterndes Lächeln. "Wir gehen jetzt jeden Abend joggen, das mag er total. Wir laufen immer ein paar Runden um den See bei uns."

"Echt, der Dicke geht mit dir joggen? Mich schaut er schon immer vorwurfsvoll an, wenn ich beim Spaziergang einen schnellen Schritt vorlege, weil ich noch weg muss. Er läuft zwar gerne lange, aber eben lieber gemütlich."

"Ne, es gefällt ihm gut und er weiß, dass er danach Zuhause immer eine Fleischwurst von mir bekommt", grinse ich.

"Achso, daher weht der Wind. Dann ist mir alles klar. Für Essen macht Chico alles", lacht Shalik und mein Herz geht auf bei dem kehligen Klang und seinen leuchtenden Augen.

Ich erzähle Shalik von meinem neuen Alltag ohne ihn und er berichtet mir davon, wie es im Knast abläuft. "Ich bin in einer Einzelzelle. Das Essen ist okay, aber ich würde lieber wieder dein Essen essen", jammert er. "Du fehlst mir wirklich, Tiara. Ich würde dich so gerne in den Arm nehmen, aber leider müssen wir hier mit dieser Scheibe sitzen", verdreht er die Augen.

"Weißt du noch, als ich dich damals mal gefragt habe, ob man sich wenigstens küssen kann, wenn man jemanden im Gefängnis besucht? Du hast mich ausgelacht und mir gesagt, ich hätte zu viele schlechte Ami-Filme gesehen und jetzt sitzen wir hier und können nicht mal unsere Hände halten", erinnere ich ihn mit vorwurfsvollem Unterton in der Stimme.

Shalik grinst, bevor er wieder ernst wird. "Vermisst du mich denn auch, oder hast du dich bereits an ein Leben ohne mich gewöhnt?" Seine hellgrünen Augen taxieren mich durch die glasklare Scheibe hindurch.

"Ich vermisse dich, aber ich komme auch ohne dich klar", gebe ich ehrlich zurück. "Ich bin froh, dass ich mir momentan keine Sorgen machen muss und irgendwie gerade ein bisschen zur Ruhe kommen kann nach den stürmischen letzten Wochen."

NOT YOUR BONNIEWhere stories live. Discover now