9 // schneller und klüger als die polizei

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"Aber jetzt machst du nichts mehr, oder?"

"Naja", antwortet er zähneknirschend. "Es gibt da eine Sache.."

Ich werfe ihm einen fassungslosen Blick zu. "Ich habe Schulden bei Leuten, bei denen man keine Schulden haben will. Ich muss das Geld unbedingt zurückzahlen und dafür verkaufe ich am Wochenende in 'ner Disco Teile."

Ich bin sprachlos. Ich weiß nicht, was ich darauf antworten soll. Meine Gedanken überschlagen sich und die Fragezeichen in meinem Kopf werden mit jeder seiner Aussagen nur noch größer. Es fällt mir schwer, seine Worte zu realisieren und sie in den Zusammenhang zu bringen.

Es dauert einen Moment, bis ich mich einigermaßen gefangen habe und ihn anfahre: "Wieso tust du das? Wenn du dabei erwischt wirst, musst du wieder zurück in den Knast, oder nicht?"

Ich kann nicht glauben, dass er so dermaßen fahrlässig seine Bewährung gefährdet. Er muss doch selbst wissen, dass das ein Spiel mit dem Feuer ist und nur eine Frage der Zeit, bis ihm die ganze Nummer um die Ohren fliegt.

"Ehrlich gesagt gehe ich lieber wieder in den Knast, bevor meine Eltern meine Einzelteile vom Bordstein kratzen müssen", gibt er trocken zurück und reibt sich über seinen kurzen Dreitagebart. "Aber da wird nichts passieren, Tiara. Ich verkaufe die Teile in einer Disco, in der diese Leute die Tür machen, das ist alles safe. Außerdem sind es vielleicht noch ein paar Wochen, dann bin ich mit dem Thema durch. Ich habe von den 10.000 Euro schon 7.000 Euro zurückgezahlt. Ich habe selbst keine Lust mehr auf dieses Leben. Ich will zur Ruhe kommen."

Ich schüttele ungläubig den Kopf. Ich dachte immer, sowas gibt es nur in schlechten Filmen, aber doch nicht im echten Leben - schon gar nicht in meinem?!

"Zehntausend Euro", wiederhole ich leise. Das muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen. Zehntausend Euro sind absurd viel Geld. Dafür gehe ich ein ganzes Jahr lang arbeiten.

"Wie kommt man denn in unserem Alter zu 10.000 Euro Schulden?"

Shalik lehnt sich zurück gegen die Rückenlehne der braunen Bank. Scheint so, als würde er für eine zufriedenstellende Antwort auf meine Frage weiter ausholen müssen.

"Als wir damals nach Deutschland gekommen sind, konnte ich kein einziges Wort Deutsch. Ich musste auf die Hauptschule, weil das die einzige Schulform war, in der es Deutsch-Förderkurse gab. Ich habe die anderen Kinder nicht verstanden und wenn sie alle miteinander gelacht haben, dachte ich, sie lachen über mich. Das hat mich wütend gemacht und weil ich mich nicht anders wehren konnte, habe ich irgendwann zugeschlagen. Das war meine erste Straftat.

Mit vierzehn habe ich meine beiden besten Freunde kennen gelernt, Ziyad und Dion. Die anderen in unserem Alter haben alle irgendwann eine Ausbildung begonnen, hatten Geld auf der Tasche, konnten sich was leisten - Führerschein, Markenkleidung, teure Sneakers, Zigaretten, Weed, Alkohol. Wir waren immer die dummen Penner, die nichts hatten. Keinen guten Schulabschluss, keine Arbeit und demnach auch kein Geld.

Es ging damals damit los, dass wir unseren Dealer abgezogen haben. Wir haben alle drei gekifft, aber Gras ist auf Dauer teuer. Und was macht jemand, dem seine Drogen geklaut werden, nicht?"

Shalik macht eine kurze Pause. "Richtig, zu den Bullen gehen. Wir waren zu dritt gegen einen, wir hatten Erfolg und es war so leicht. Wir haben Blut geleckt, haben ein paar andere Dealer abgezogen und dann irgendwann angefangen, in Wohnungen einzubrechen, von denen wir wussten, dass sie als Drogenbunker dienen. Das Ganze hat sich mit der Zeit langsam aber stetig hochgeschaukelt.

Je mehr Geld man hat, mit desto weniger gibt man sich zufrieden. Irgendwann waren es nicht mehr nur Dealer, sondern auch Geschäfte, Arztpraxen oder Privatwohnungen, in die wir eingebrochen sind. Wir hatten plötzlich eine Menge Geld und haben das mit vollen Händen ausgegeben. Wir haben uns teure Klamotten gekauft, jedes Wochenende Party gemacht mit Massen von Alkohol und täglich ohne Ende gekifft. Wir sind in die Spielo gegangen und manchmal drei Tage nicht mehr rausgekommen, bis unser ganzes Geld weg war. Dann sind wir wieder los und haben uns neues beschafft. Das war unser Alltag. Wir haben uns unbesiegbar gefühlt, wurden nie gepackt, konnten immer weiter machen. Wir waren schneller und klüger als die Polizei, sind immer irgendwie davongekommen, zumindest dachten wir das, bis es dann das erste Mal schiefgelaufen ist.

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