17 // resting bitch face

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"Ich hoffe du hast deinem Shalik gesagt, dass er dich heute an der Haustür abholen soll - und vorher muss er an mir vorbei", ertönt die helle Stimme meiner Mutter hinter mir, als ich mich gerade an meinem Schminktisch für mein heutiges Date mit Shalik zurecht mache.

Heute werde ich zum ersten Mal bei ihm Schlafen und zu sagen, dass ich mich darauf vorbereitet habe, wäre untertrieben. Meine Beine sind rasiert, mein Körper frisch gepeelt und sogar die Zehnägel habe ich in einem leuchtenden Rot lackiert. Ich habe meine schönste Unterwäsche an und den Inhalt meiner kleinen Reisetasche vor lauter Aufregung mehrfach gründlich überdacht.

"Du wirst ja wohl unser letztes Gespräch nicht vergessen haben, jetzt, wo ihr sogar zusammen seid", holt Mama mich zurück aus meinen Gedanken.

Die schlanke Frau mit den zusammengebunden braunen Haaren und den belustigt funkelnden, blauen Augen tritt neben mich und betrachtet mich überlegen durch den Spiegel.

"Ich muss dich echt endlich für meinen Status sperren", bemerke ich kopfschüttelnd und lege den großen Rougepinsel auf die weiße Tischplatte, um mich zu ihr umzudrehen.

"Ist ein schönes Foto von euch", übergeht sie meine Aussage gekonnt und sieht mir ruhig in die Augen. "Du hast so richtig von Herzen gestrahlt. Das gefällt mir viel besser, als deine gestellten Instagrambilder, auf denen du so ausdrucklos in die Kamera blickst."

"Resting Bitch Face nennt man das", korrigiere ich sie in Gedanken, spreche es aber nicht aus. Gestern Abend habe ich Shaliks und mein erstes gemeinsames Foto mit einem Herzen und "18.05.", dem Datum, an dem wir zusammengekommen sind, in meinen Status gepostet, worauf meine Mutter ganz offensichtlich ziemlich plakativ anspielt.

"Ich sage ihm gleich, dass er klingeln soll, zufrieden?", verspreche ich meiner Mama, drehe mich schmunzelnd wieder von ihr weg und schraube die Mascara auf. Der Gedanke, wie der volltätowierte, hafterfahrene Baum von einem Mann sich höflich bei meiner kleinen, schmalen und unglaublich anständigen Mutter vorstellt, belustigt mich schon im Vorfeld.

Shalik und ich wollen heute zur Sterkrader Fronleichnamskirmes, einem riesigen Jahrmarkt in der benachbarten Stadt Oberhausen, die einst Europas größte Straßenkirmes war, bis der Platz durch verschiedene Bauvorhaben in den letzten Jahren immer weiter eingeschränkt wurde. Nichtsdestotrotz ist die Kirmes jedes Jahr wieder eine Mordsgaudi, die Menschen aus dem gesamten Ruhgebiet anlockt.

Ich bin schon seit jeher ein großer Fan, da ich neben den zahlreichen Imbissbuden auch die wenigen, aber abenteuerlichen Fahrgeschäfte zu schätzen weiß. Schon von Kindesbeinen an bin ich ein Adrenalinjunkie. Höher, schneller, weiter. Ob Loopings oder steile Abfahrten – bisher haben mich noch kein Karussell und keine Achterbahn abgeschreckt, auch wenn man mir das nicht ansieht.

"Ich freue mich schon", ruft meine Mutter zum Abschied, während sie bereits genau so schnell wie sie kam durch meine weiße Zimmertür wieder in den Flur verschwunden ist.

"Du musst gleich klingeln, habs meiner Mama versprochen. Sie will dir mal Hallo sagen :D", tippe ich in mein Handy und schicke die Nachricht mit gemischten Gefühlen an Shalik. Ich kann nicht einschätzen, wie ihm das gefällt – wenn er dieser Bitte überhaupt nachkommt. Vielleicht beängstigt ihn ein so kurzfristiges Zusammentreffen mit meiner Mutter auch viel zu sehr.

Unwillkürlich muss ich an Helins Worte vom gestrigen Abend denken. Dass zwischen seinem und meinem Leben auch kulturelle Unterschiede bestehen, lässt sich nicht von der Hand weisen. Ob er jemals überhaupt die Eltern seiner Freundinnen kennen gelernt hat, geschweige denn die Mädchen zuhause vorgestellt hat? Und wird er mich seiner Familie vorstellen oder bleibe ich sein jahrelanges Geheimnis, wie es bei Volkan und Helin war?

NOT YOUR BONNIEWhere stories live. Discover now