"War ok", sagte er. "Miss Macdonald hat uns gezeigt wie man schriftlich subtrahiert, aber ich glaube, ich habe es noch nicht ganz verstanden." 

Remus grinste. 

"Das fand ich auch immer schwer", sagte er, legte den Schinken auf den Käse und dann noch eine zweite Scheibe Käse darauf, bevor er das Sandwich zu klappte. So viel würde sich gar nicht ändern, dachte er, würde Harry wirklich bei ihnen wohnen. Er wusste jetzt schon, wie er seine Sandwiches mochte. Er schob dem Jungen das Brot hinüber. 

"Hör mal, Harry, ich wollte dich etwas fragen", brach er dann das schwierige Thema an. Harry sah misstrauisch von seinem Sandwich hoch. "Und bevor ich das mache, möchte ich, dass du weißt, dass jede Antwort von dir absolut ok ist. Du kannst ja sagen, du kannst nein sagen, du kannst sagen, dass du nochmal drüber nachdenken willst. Du musst mir keinen Grund nennen, ok?" 

Harry wirkte immer noch verunsichert, aber er nickte. 

"Mary und mir ist aufgefallen, dass du nicht besonders...glücklich wirkst, bei deiner Tante und deinem Onkel. Wir machen uns Sorgen, dass du von ihnen nicht so gut behandelt wirst, wie du es verdient hast." 

Harry öffnete den Mund und Remus wusste genau, dass er protestieren würde. Er wusste nicht, was es war - ob die Dursleys ihn lange genug indoktriniert hatten, dass er wirklich dachte, dass es in Ordnung war, dass er so anders behandelt wurde als Dudley oder ob ihm die Ansicht, dass er dankbar sein musste, dass sie ihn überhaupt nahmen, so lange eingedrillt wurde, dass er sie inzwischen glaubte. 

"Es geht mir gut", erklärte Harry, ganz wie erwartet. Remus nickte. 

"Ich weiß", sagte er. "Aber ich möchte, dass es dir besser geht als gut." Er holte tief Luft. "Harry, du weißt, dass deine Eltern gute Freunde von mir waren. Und deshalb haben sie damals in ihrem Testament geschrieben, dass ich auf dich aufpassen soll, wenn ihnen etwas passiert. Es gab ein paar Schwierigkeiten, deshalb durfte ich dich am Ende doch nicht aufnehmen. Aber ich habe noch einmal nachgefragt und die Probleme gelöst." 

Es waren Halbwahrheiten, aber für den Moment waren sie nah genug an der Realität. Wenn Harry älter würde, würde er irgendwann die ganze Fassung bekommen. Im Augenblick schien ihn selbst diese Version schon zu überfordern. Wer konnte es ihm verübeln? 

"Harry, was ich damit sagen will", fasste Remus also für ihn noch einmal zusammen: "wenn du lieber hier wohnen möchtest, bei Mary und Jules und mir und Jerry. Dann wäre das eine Möglichkeit." 

Er sah Harry prüfend an, der immer noch viel zu schockiert zu sein schien, als dass er irgendwas dazu sagen konnte. 

"Es ist deine Entscheidung", wiederholte Remus noch einmal. "Wir würden uns freuen, dich aufzunehmen. Wir sind aber auch nicht böse, wenn du lieber bei deiner Tante und deinem Onkel bleiben möchtest. Und wir sind ganz bestimmt nicht sauer, wenn du eine Nacht drüber schlafen möchtest." 

Harrys Augen huschten durch die Küche, zu Remus, dann zum Sandwich, das er immer noch nicht angefasst hatte. Remus bereute es, nicht gewartet zu haben, bis er seinen Hunger gestillt hatte, bevor er ihn mit einer solchen Frage überrollte. 

"Ich möchte Ihnen keine Last sein", sagte Harry schließlich leise. Und Remus hätte weinen können. Wie bei Merlins Bart konnte es sein, dass dieser siebenjährige Junge dachte, er könnte irgendjemandem eine Last sein? 

Remus ging zu ihm hinüber und hockte sich vor seinem Stuhl auf den Fußboden, sodass er sogar etwas zu ihm hoch schauen musste. 

"Harry, hör mir gut zu", sagte er leise, "du könntest uns niemals, niemals eine Last sein. Ich hab dich gehalten, als du noch keinen Tag alt warst und ich wollte dich nicht mehr hergeben. Und als deine Eltern gestorben sind, hätte ich alles dafür gegeben, dich zu mir zu nehmen und großzuziehen. Mary kennt dich, seit dem du zwei Tage alt bist und für sie gilt genau das gleiche. Und Jerry und Jules? Sie liegen mir seit Wochen in den Ohren, dass sie dich als Bruder wollen. Du wärst keine Last für diese Familie, du wärst eine Bereicherung." Er sah Harry direkt in die Augen. "Du bist ein freundlicher, cleverer junger Mann. Wir könnten uns glücklich schätzen, dich zu haben."

Kurz passierte gar nichts. Dann füllten sich Harrys Augen mit Tränen. 

"Wirklich?", schniefte er leise. Es brach Remus ein klein wenig das Herz, wie ungläubig er klang. 

"Wirklich", sagte er. "Du bist keine Last, Harry. Du bist gewollt. Wir wollen dich als Teil unserer Familie." 

Harry schluckte, wischte sich über seine Augen, aber es half nicht wirklich, die Tränen kamen immer noch nach. 

"Ich will auch Teil Ihrer Familie sein", gab er dann flüsternd zu. Remus konnte nicht verhindern, dass sich ein breites Lächeln auf sein Gesicht stahl. 

"Wirklich?", fragte er begeistert. Harry nickte ein klein wenig, dann stärker und auch auf seinem Gesicht breitete sich ein Grinsen aus. 

"Wirklich, wirklich", sagte er laut. Remus strahlte ihn an. Harry zögerte kurz, dann fragte er ein bisschen unsicher: "Wann...wann kann ich denn weg von den Dursleys?" 

Remus legte den Kopf schräg. 

"Wenn du möchtest...noch heute", bot er an. Dann schob er schnell hinterher: "Aber wenn dir das zu schnell geht, können wir auch noch ein paar Tage warten." 

Harry schüttelte schnell den Kopf. 

"Nein, heute", sagte er wie aus der Pistole geschossen. "Äh...wenn das...wenn das nicht zu schnell geht." 

Remus lachte und fuhr ihm durch die Haare. 

"Es ist nicht zu schnell", beruhigte er ihn. "Weißt du noch, als wir letztens darüber geredet haben, dass du mit Schlangen sprechen kannst? Und ich dir davon erzählt habe, dass wir Zauberer sind?" 

Harry nickte (auch wenn er es immer noch nicht ganz begriffen zu haben schien). Remus schmunzelte. 

"Siehst du? Wir sind Zauberer - zu schnell gibt es bei uns gar nicht." Er sah zwischen Harry und dem Sandwich hin und her, dann stand er auf (sein Knie knackte, entweder er wurde alt oder das waren schon wieder die Anzeichen für den Vollmond nächste Woche). "Was hältst du von der Idee, dein Sandwich auf dem Weg nach unten zu essen? Und dann legen wir uns mit deiner Tante an?" 

Harry nickte stürmisch, schnappte sich das Sandwich und sprang auf. Remus hielt ihm die Hand hin und Harry griff danach, obwohl er eigentlich schon viel zu alt und zu cool war, um die Hand eines Erwachsenen zu halten. Remus erwärmte es das Herz. 

Er öffnete die Wohnungstür. Zeit, Harry Potter endlich in seine Familie zu holen - sechs Jahre später, als es eigentlich hätte passieren sollen. 



Ich weiß, ich weiß, ich löse KEINEN der Cliffhanger aus dem letzten Kapitel, da müsst ihr euch noch bis Samstag gedulden. Aber dafür passiert jetzt endlich das, worauf wir alle seit Kapitel sieben von TEIL EINS warten, dafür muss ja auch Zeit sein xD

Falls es jemand noch nicht gesehen hat: ich habe vorgestern ein 3000-Follower-Special hochgeladen, bei dem ihr mir Prompts schicken könnt, die ich dann (vielleicht, es sind aktuell schon fast 40) schreibe. Da sind ein paar richtig coole Ideen dabei, es lohnt sich, da mal vorbeizukommen!

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