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Remus hatte Angst gehabt, dass nach der ersten Welle der Neugier niemand mehr in den Buchladen kommen würde, aber er hatte Unrecht gehabt. Die Zahl der Besucher ebbte ab, pendelte sich aber in einer angenehmen Menge ein. Mary und Remus brauchten eine Weile, um Julie und den Laden zu koordinieren, in den ersten Wochen hing immer und immer wieder ein Schild in der Tür, dass sie gleich wieder kommen würden, wenn sie gleichzeitig gebraucht wurden. 

Im März fing sich Julie eine heftige Erkältung ein und der Laden blieb für eine Woche geschlossen, während Mary und Remus zwischen Beruhigen des Kindes, Beruhigen des Anderen und panischen Besuchen bei Edyta oder den Jacksons oder Rezas versuchten, damit umzugehen, dass sie das ersten Mal wirklich krank war. 

Aber auch das ging vorbei und irgendwann hatten sie eine Routine gefunden, mit der es sich gut leben ließ. Julie gefiel der Laden mit Menschen deutlich besser als ohne. Sie war ein ausgesprochen soziales Kind, liebte Leute über alles. Und wenn sie auf ihrer Decke saß und spielte oder durch den Laden krabbelte und irgendwelchen Unsinn anstellte (sie war wirklich eindeutig Sirius' Kind), fand sich oft auch ein Besucher oder das Kind eines Besuchers, der sich für einen Moment mit ihr beschäftigte. 

Remus' Büro wurde als überflüssig erklärt, sieben Jahre in Hogwarts hatten dazu geführt, dass er beim Arbeiten alles und jeden ausblenden konnte und so wurden die Ladentheke und der Küchentisch in der Wohnung oben sein Schreibtisch und der kleine Raum, der in der unteren jetzt frei war, ein Spielzimmer, in das sich einer von ihnen mit Julie zurück ziehen konnte, wenn ihr die Menschen doch zu viel wurden. 

Die größten Herausforderungen waren eigentlich, sie im Auge zu behalten (denn sie war schnell unterwegs, obwohl sie noch nicht laufen konnte), sie mittags zu einem Mittagsschlaf zu überreden und sie zu füttern (denn der Laden war meist viel spannender als was auch immer Remus und Mary ihr als Mahlzeit vorzusetzen versuchten). 

Verglichen mit anderen Kindern in ihrem Alter wurde mehr und mehr deutlich, dass sie eine überdurchschnittliche Neugier und Spaß an Schabernack hatte (woher das nur kommen konnte), ihnen grobmotorisch und sozial eine Nasenlänge voraus war, feinmotorisch und intellektuell ein Stück hinterher, alles in allem also vollkommen durchschnittlich. Sie war inzwischen gut elf Monate alt und zog sich schon eine ganze Weile an Regalen oder Möbeln in eine stehende Position und von da aus an der Wand entlang. Allein laufen konnte sie noch nicht, aber lange würde es wohl nicht mehr dauern, denn ihre Neugier war Motivation genug. 

Mit dem Sprechen hatte sie es auf der anderen Seite nicht so. Sie ahmte wild alles mögliche nach und brabbelte aufgeregt vor sich hin, ein richtiges erstes Wort war jedoch noch nicht gefallen, es sei denn man zählte "bah", was aktuell die Universalbezeichnung für alles von Essen über Remus und Mary bis hin zu ihrem Teddy war. 

Aber das Leben war gut. Es wäre besser gewesen, wenn Remus endlich mehr Ergebnisse zu Sirius gehabt hätte, aber egal wie viel er recherchiert hatte, ein paarmal sogar verreist war, er kam keinen Schritt weiter. Natürlich hing Sirius' Abwesenheit kurz vor Julies erstem Geburtstag immer noch über allem. Aber das Leben passierte trotzdem. Julies Leben passierte trotzdem. Und auf eine eigenartige Weise hatte sich alles in einen Rhythmus gesetzt, in dem die Welt irgendwie in Ordnung war. 

Zwei Wochen vor Julies erstem Geburtstag wurde dieser Rhythmus jedoch wieder ordentlich durchgeschüttelt. 

Remus war gerade oben in der Wohnung, hatte Julie zu ihrem Mittagsschlaf überredet und die Reste ihres Mittagessens beseitigt, als er unten die Ladenglocke hörte, ein Geräusch, das inzwischen so gewöhnlich war, dass er es kaum noch registrierte, als er die Treppe wieder nach unten hüpfte. 

"Entschuldigung, aber jemanden unter diesem Namen kenne ich nicht", sagte Mary gerade, als er den halben Treppenabsatz erreichte und weckte damit wieder seine Aufmerksamkeit. 

Der Buchladen im LigusterwegWo Geschichten leben. Entdecke jetzt