48. Ein Wiedersehen

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Ich werde euch nicht noch einmal den Schmerz von dem Tod des kleinen Jungen unter die Nase reiben. Wir alle haben genug gelitten, findet ihr nicht?
Ich zumindest war absolut schockiert und kaum in der Lage, an etwas anderes als den sterbenden Jungen zu denken, ganz zu schweigen von Jansons ekelhaftem Kichern, als ich wenige Minuten später in meinem neuen Zimmer lag und die Decke anstarrte. Ich hatte einige wenige Stunden Zeit, bis ich zur Untersuchung der Lichter angesetzt war, die mir mehr als nur ein wenig Bauchschmerzen bereitete. Würde ich es schaffen, mein Spiel weiterzuspielen, wenn meine Freunde direkt vor mir saßen und mich nicht erkannten? Konnte ich durchhalten?

Die Zeit, bis ich dies herausfinden sollte, verging für meinen Geschmack viel zu schnell. Im Nachhinein betrachtet, konnte ich nicht einmal mehr sagen, ob ich ein wenig geschlafen hatte, oder ob es mein Zustand eher eine Art Wachkoma gewesen war, bis ich von einer Ärztin, die sich mir als Dr. Crawford vorstellte, zu meinem ersten Dienst abgeholt wurde. Alles, was ich wusste, war dass ich Chucks sterbenden Körper gesehen hatte, wie er dort in den Armen des Mädchens gelegen hatte, zwischen den wenigen Überlebenden, die sich jetzt, in diesem Moment, auf dem Weg hierher befanden.
Stumm durchquerten wir die endlosen weißen Gänge, nachdem die Ärztin mir eine personalisierte Chipkarte ausgehändigt hatte. Ich hatte das Gefühl, dass es sich bei dieser Frau um eine von der Sorte handelte, die hier waren, weil sie keine Perspektive sahen. Aus irgendeinem Grund wirkte sie nicht so grundlegend böse, wie viele andere hier.
Sie führte mich zu dem Labor, in dem laut ihrer Aussage alle Probanden, die aus den Labyrinthen kamen, getestet und für die weitere Verwahrung vorbereitet wurden. Wie sie das sagte, klang es, als handelte es sich um Gegenstände und keine Menschen.
"Deine Aufgabe für heute ist es, dich um die Jugendlichen aus dem A-Labyrinth zu kümmern. Wenn sie in wenigen Minuten landen, werden sie von einigen Mitarbeitern erst einmal im Hangar zu ihrer ersten Station, dem Essen geführt. Nicht in den Speisesaal zu den anderen Probanden, dort können sie erst hin, wenn wir sie gänzlich durchgecheckt haben. Das wird hier passieren, nachdem sie von Mr. Janson in Empfang genommen und zu den Duschen gebracht wurden - wo du ins Spiel kommst", erklärte sie. "Juliet wird dich zu den Gemeinschaftswaschräumen bringen, wo du auf die Probanden aus A warten, sie mit Handtüchern und frischer Kleidung versorgen und dann hier her, zum Labor führen wirst. Klar soweit?"
Ich nickte langsam und blickte sie wohl mit solch großen Augen an, dass sie Mitleid mit mir bekam. Ganz offensichtlich deutete sie meinen Blick aber falsch.
"Keine Sorge, das mag für dich wie ein Praktikantenjob klingen, aber du wirst in nächster Zeit immer mehr Aufgaben übernehmen. Wenn die Probanden erst einmal im Labor sind, ist es deine Aufgabe, die Daten der beiden Renner zu analysieren, etwas, was du sonst von deinem alten Arbeitsplatz aus gemacht hast. Klar soweit?"
"Läufer", rutschte es mir heraus.
"Wie bitte?", fragte Dr. Crawford.
"Läufer. Sie nennen es Läufer, nicht Renner", erklärte ich, jetzt lauter.
Die Ärztin nickte langsam. "Nun gut. Wie man das System verwendet weißt du."
"Oh ja, das weiß ich", stimmte ich zu.
Nachdem sie mich Juliet, einer jungen Frau in ihren Zwanzigern, vorgestellt und diese mir die Laufbänder, auf denen ich später Minho und Anna untersuchen sollte, gezeigt hatte, führte sie mich zu den Duschen.
Während ich mir den Weg gut einprägte, um ihn gleich auf Anhieb zu finden, wenn ich die Lichter zum Labor bringen sollte, plapperte die Frau vor sich hin.
"Wie aufregend, dass du gleich deinem Labyrinth gegenüberstehen wirst. Meine Probanden sind schon vor über einer Woche angekommen. Es war so verrückt, sie alle in echt zu sehen. Mittlerweile sind die meisten von ihnen bereits bei der Entnahme. Aber einige sehe ich bis heute jeden Tag, wenn ich am Speisesaal vorbeilaufe."
Bei dem Gedanken daran, dass auch die Lichter bald alle von der Decke hängen sollte, drehte sich mir der Magen um. Ich konnte das nicht zulassen. Ich durfte einfach nicht.
"Du hast mitgeholfen, die Labyrinthe zu bauen, richtig?", riss mich Juliets Stimme aus meinen Gedanken.
Ich nickte langsam.
"Muss aufregend gewesen sein, zu sehen, was das eigene Werk so tun konnte", sagte sie und blieb stehen.
Wir hatten die Duschen erreicht. Ich entgegnete nichts, zuckte nur mit den Schultern.
Aufregend? Mir fielen viele Worte dazu ein, aber aufregend gehörte sicherlich nicht dazu. In mir kam das Gefühl hoch, dass Juliet so einiges "aufregend" fand, was mir die Nackenhaare zu Berge stehen ließ.
Endlich verließ sie mich und überließ mich meinen Gedanken. Auf der einen Seite war ich dankbar darüber, gleichzeitig spürte ich, wie mir schwindelig bei den Gedanken wurde, dass Thomas, Teresa und die anderen Lichter sich gerade auf dem Weg zu mir befanden.
Was, wenn ich mich verriet, indem ich mich seltsam verhielt? Was, wenn meine beiden Freunde mich erkennen würden? Was, wenn sie wussten, dass ich zu WICKED gehörte? Was, wenn alles schief gehen würde?
Doch mir blieb keine Zeit, mir all diese Fragen, vor deren Antworten ich Angst hatte, zu stellen. Denn jetzt hörte ich eine Stimme, die verkündete, dass sie gleich da seien. Ich spürte, wie mir schwindelig wurde und musste mich an dem Rahmen der Tür festhalten, die zu den Duschen führte.
Und dann sah ich sie. Thomas führte sie an, lief beinahe Seite an Seite mit Janson. Da war Teresa, ganz in seiner Nähe, Newt und Anna, Minho, Fry Pan, Winston und Jack. Um mich herum drehte sich alles, als ich ihnen entgegenstarrte. Zu meinem Glück schienen sie so sehr auf die Tatsache fixiert zu sein, dass sie kurz davor waren, eine heiße Dusche zu nehmen, dass keinem von ihnen mein Gesichtsausdruck auffiel, als sie nun einer nach dem anderen Handtücher und frische Kleidung von mir entgegennahmen, die ich ihnen wie in Trance hinhielt.
Janson schenkte mir eines seiner falschen Lächeln, bei dem sein Kinn ganz besonders stark zuckte, bevor er sich mit einem Nicken verabschiedete und mich mit den Lichtern alleine ließ.

Behind The WICKED Truth | A Maze Runner NovellaWhere stories live. Discover now